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Gesellschaft

Kritik, Diffamierung und Trolling in den Sozialen Medien

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Ganze 67% der deutschen Internetnutzer nutzen soziale Netzwerke aktiv. Der Ton ist zuweilen rau. Selbst unter Klarnamen posten User haarsträubende Kommentare. Woran liegt das?

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Wer kennt sie nicht, die kleinen Wortscharmützel auf Facebook, die Promi-Tweets auf Twitter und die nervigen Babyfotos der digitalen Freunde.

Ganze 67% der deutschen Internetnutzer nutzen soziale Netzwerke aktiv. 38% dieser Nutzer verfolgen dort das Tagesgeschehen, sprich sie nutzen die sozialen Medien als Nachrichtenquelle. Vor allem der unmittelbare Austausch mit den Produzenten (Unternehmen, Journalisten, Künstler, Sportler, etc.) der konsumierten Inhalte wird den Einfluss und die Nutzungshäufigkeit noch weiter steigern und verändern.

Besonders bemerkbar macht sich dieses gegenseitige Beeinflussen bei Personen des öffentlichen Lebens. Journalisten, Schauspieler, Sportler und viele andere bekommen hierbei die volle Dosis ab. Hinter einer scheinbaren Anonymität geben Nutzer die haarsträubendsten Kommentare und Beleidigungen von sich. Oft artet das Ganze in Shitstorms aus.

Auf dem amerikanischen Markt reagiert man auf diese Phänomene mit Humor. In der Late-Night-Show „Jimmy Kimmel Live!“ wird seit geraumer Zeit mit der Sparte „Mean Tweets“ auf das „Haten“ in sozialen Medien, in diesem Fall Twitter, eingegangen. Prominente Gäste aus der höchsten Riege Hollywoods lesen bösartige Tweets über sich selber vor und kommentieren diese mit einer kurzen Reaktion. Für Zuschauer und Promis eine augenscheinlich humorvolle Idee.

Wäre dieses Konzept auch in Deutschland denkbar?

Unter dem Titel „Hate Poetry“ treffen sich bereits einige Journalisten auf der Bühne, um Leserbriefe und Kommentare vorzutragen. Leider fällt dabei der extrem rassistische Ton der Kommentarverfasser auf. Wahrhaft humoristische oder kreative Töne sind selten zu hören. Die Journalisten und Autoren nehmen es trotzdem mit viel Humor.

Auf Facebook, Twitter und Co. ist der Ton noch rauer

Soziale Medien erlauben einen unmittelbareren Zugang zu den „Opfern“ sprachlicher und menschlicher Ausfälle. Während des türkischen Wahlkampfes und auch nach dem Ende der Wahlen toben viele Diskussionen in der digitalen Welt. Nichts scheint dabei heilig zu sein. Selbst unter Klarnamen posten Nutzer haarsträubende Kommentare. Ähnliche Erfahrungen machen interessanterweise Personen aus fast allen (politischen) Lagern.

Vor einigen Wochen hat die Stiftung Dialog und Bildung mit einem ihrer Posts das neue deutschsprachige Buch Fethullah Gülens („Was ich denke, was ich glaube“, Herder Verlag) per Facebook beworben. Laut Facebook haben ca. 80.000 Nutzer diese Buchwerbung gesehen und über 60 Personen „kommentiert“. Diese, oft türkischstämmigen, Nutzer haben innerhalb weniger Wochen die Grenzen der türkischen und deutschen Fäkalsprache ausgemerzt. Satte Schmähungen statt gesittete Kritik.

Es stellt sich die Frage, ob diese Kritikunfähigkeit ein Resultat der hetzerischen Polarisierung der türkischstämmigen Menschen ist. Oder mangelt es schlicht an charakterlicher Reife? Der Umgang miteinander ist stark vergiftet. Wer trägt die Verantwortung?

Bei der kleinsten Kritik an türkischen Regierungspolitikern, oder auch der Türkei an sich, hagelt es an Beleidigungen.

Menschen im Lager der Hizmet-Bewegung müssen dabei noch nicht einmal Kritik aussprechen. Die Erdoğansche Hexenjagd wird ohne Vorbehalte importiert. Ein Kampf gegen alle „Feinde der Türkei“ wird dabei schnell heraufbeschworen.

Was wird gegen wen verteidigt?

Sich selbst inszenieren diese Nutzer oft als Bewahrer des Vaterlandes und der Werte des Islams. Dabei genügt selbst ein kurzer Blick in die Geschichts- und Lehrbücher, um zu sehen, wie weit die Aussagen auf Social Media Plattformen von den Kerninhalten des Islams entfernt sind. Während dort von der Wichtigkeit von Selbstkritik und der Vorsicht einer Verurteilung von Menschen gesprochen wird, scheint im digitalen Raum keiner etwas von religiöser Zurückhaltung und dem Respekt vor dem Geschöpf gehört zu haben. Eine muslimische Erziehung warnt vor eigener Selbstverherrlichung und hält dazu an, die (nur ihn betreffenden) Fehler seiner Mitmenschen nicht öffentlich an den Pranger zu stellen. Vielmehr wird ein dialogischer und pädagogischer Weg aufgezeigt, der dem Menschen nachhaltig helfen soll. Beleidigungen, Schmähungen und üble Nachreden trüben vielmehr die Herzen und verursachen tiefe Gräben zwischen den Menschen.

Wohin führt uns eine digitale Entfremdung?

Ich sehe im digitalen Raum die filterlose Spiegelung des gesellschaftlichen Zustands, zumindestens derer, die es im öffentlichen Raum nicht gesittet tun (können). Die vielen Kommentare und Aussagen führen uns vor Augen, wo sich viele Menschen geistig befinden. In einem Niemandsland fernab von kulturellen, religiösen und mitmenschlichen Sensibilitäten.

Formale Bildung scheint daher nicht alleine auszureichen. Der Charakter eines Menschen muss auch geschult werden. Im türkischen Milieu, im Hinblick der starken Polarisierung, auf die Fähigkeit richtige Kritik und Selbstkritik ausüben zu können.

Das Wort zum Schluss:

„Sen de gel, sana da bağrımı açıyorum!”

„Komm auch du! Auch für dich öffne ich meine Arme.“