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Kolumnen

Wer Säkularität mit Laizismus verwechselt

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Es war von Anfang an klar, dass das erste Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2003 von eben diesem wieder kassiert werden würde – zumindest denjenigen, die das Grundgesetz ernst nehmen. Die damalige Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts an die Bundesländer, die „Kopftuchfrage“ zu regeln und gegebenenfalls Kopftuchverbote für Lehrkräfte an Schulen zu erlassen, würde einer weiteren Prüfung nicht standhalten, denn unsere Verfassung ist eine säkulare. Das bedeutet, dass sie Religion unterordnet, diese aber auch schützt und einschließt.

So sind grundsätzlich religiöse Symbole in öffentlichen Gebäuden nicht verboten, wie man unter anderem an Kreuzen in bayerischen Gerichtssälen sieht. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass gleiches Recht für alle gelten müsse. Stattdessen wurde es mit dem damaligen Urteil aber ermöglicht, dass lange Jahre das medial symbolisch aufgeladene Kopftuch noch weiter stigmatisiert wurde und mit Ängsten und Abwehr zu Lasten der Frauen, die eines tragen, überfrachtet werden konnte. In diesem Punkt schafft auch das neue Urteil keine Abhilfe, wenn es von einer „konkreten Gefährdung“ schwadroniert, die von einem Kopftuch bzw. seiner Trägerin ausgehen könne – hier wird erneut der islamophoben Instrumentalisierung von kopftuchtragenden Frauen Vorschub geleistet.

Dies alles geschah und geschieht ja angeblich, um „die muslimische Frau“ zu befreien, egal ob sie das will oder nicht. Ich schrieb dazu 2005: „Es ist aber auch nicht leicht, sich an seinen eigenen Maßstäben messen zu lassen. Viel leichter ist es da in die EU-anwartende Türkei zu blicken, die ein solches Kopftuch in keinem öffentlichen Amt oder gar Gebäude dulden würde. Dabei übersieht man leicht, dass es sich hierbei um einen laizistischen Staat handelt, was die Bundesrepublik nicht ist.“

Welches Recht gilt hier eigentlich?

Erstaunlich ist nach wie vor, dass bei aller behaupteten Aufklärung so manche unaufgeklärten Diskurse geführt werden. Denn in Bezug auf Islam und Muslime wird nicht säkular, sondern laizistisch argumentiert – wie ich 2013 bereits in „Der Wisch“ unter dem Titel „Aufklärung tut Not“ ausführte. Dabei wird gerne auf Frankreich oder auch die Türkei verwiesen, die aber als laizistische Staaten religiöse Symbole jedweder Art aus öffentlichen Räumen heraushalten – theoretisch. In Deutschland ist das auf Grund der anderen Verfasstheit aber nicht so. Bis jetzt. Dort wird Religion eben untergeordnet, aber behält ihren Platz im öffentlichen Raum.

Aber vielleicht wäre es ja an der Zeit, einmal darüber nachzudenken, ob es noch zeitgemäß und für die deutsche Gesellschaft angebracht ist, als säkularer Staat verfasst zu bleiben. Vielleicht wäre es allerhöchste Zeit, eine ehrliche Debatte über Laizität und Säkularität zu beginnen und zu überlegen, ob wir als zunehmend areligiöse Gesellschaft die Verankerung in der Säkularität noch aufrechterhalten wollen. Laizität würde eine klarere Trennung von Religion und Staat bedeuten, die Religionssteuer abschaffen und alles Religiöse tatsächlich ins Private verlagern – soweit so theoretisch und idealtypisch. Das ist weder in Argentinien, dem Erfinderland der Laizität, noch in Frankreich oder der Türkei realisiert, aber theoretisch so angelegt und als Ziel vielleicht passender als der ständige Rückbezug auf ein angeblich noch christliches Abendland.

Diese Debatte könnte man dann unabhängig von einzelnen Religionen führen und würde helfen, den Missstand abzuschaffen, dass die etablierten Religionen in Deutschland in Medien und Politik säkular behandelt werden, der vergleichsweise neue Islam aber stets mit laizistischen Argumentationen vom Erhalt der ihm zustehenden verfassungsmäßigen Rechte abgehalten wird. Wofür auch immer wir uns entscheiden, es wird gleiches Recht für alle gelten müssen. Und das hätte man vor 12 Jahren auch schon wissen müssen, und diese Erkenntnis spiegelt auch das aktuelle BVerfG-Urteil nur ansatzweise wider.