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Gesellschaft

„Genau das, weshalb ihr nicht akzeptiert werdet, das schätzen wir“

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Lamya Kaddor sprach in Berlin zusammen mit Bundestagspräsident Norbert Lammert über ihr neues Buch über jugendliche Dschihadisten. Dabei wurde deutlich: Wer meint, dies wäre allein ein Problem der Muslime, der irrt.

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Lamya Kaddor mit Norbert Lammert
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„Sie sprechen aber gut Deutsch.“ – „Sie aber auch.“

„Wir würden keine Probleme haben, wenn alle Muslime so wären wie sie.“ – „Wir aber würden erheblich mehr Probleme haben, wenn alle Deutschen so wären wie sie!“

Diese Wörter stammen von Lamya Kaddor, Islam-Wissenschaftlerin, Religionslehrerin und mittlerweile bekannte Autorin aus Duisburg. Sie würde so auf Bemerkungen über ihre Deutsch-Kenntnisse oder ihre muslimische Identität antworten, sagte sie anlässlich der Vorstellung ihres neuen Buches vergangene Woche in Berlin. Sie las in der Bibliothek der Humboldt-Universität aus ihrem Buch, als Diskussionspartner erschien Bundestagspräsident Norbert Lammert hochpersönlich; das Gespräch wurde von Deutschlandradio Kultur aufgezeichnet.

Ihr Buch trägt den Titel „ZUM TÖTEN BEREIT. Wie deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen“ und ist erschienen beim Piper Verlag, wo es zum Preis von 14,99 Euro erworben werden kann. Sie beantwortete Fragen darüber, warum in Deutschland aufgewachsene Jugendliche in die Fänge von Dschihadisten geraten, warum sie nach Syrien ziehen, welche Gefahren von ihnen ausgehen und was zu tun wäre.

Was Dschihadisten mit uns zu tun haben

Und was haben die eingangs erwähnten Bemerkungen ihr gegenüber mit dem Problem von Jugendlichen zu tun, die sich radikalisieren?

Folgt man ihren Ausführungen, die übrigens ganz plausibel klingen, eine ganze Menge. Sie drücken die gesellschaftliche Dimension eines Problems aus, das auf den ersten Blick als ein Problem der betroffenen Jugendlichen selbst oder der muslimischen Gemeinschaft erscheinen mag. Sie erklärt, wie der Weg nach Syrien vor der eigenen Haustür beginnt, mit Problemen in der Schule oder auf den Straßen.

In Syrien stammen um die 500 Dschihadisten aus Deutschland. Nach ihrer Einschätzung sind etwa 10 Prozent von ihnen herkunftsdeutsche Konvertiten. Was sie besonders interessiert: Einige von ihnen hatte sie selbst als Schüler im Religionskundeunterricht an ihrer Schule.

Sie meint, die Radikalisierung gehe sehr schnell vor sich. Einige Monate würden ausreichen. Was die betroffenen Jugendlichen eine, sei, das sie alle in Deutschland aufgewachsen seien. Sie empfänden ein Gerechtigkeits-Defizit. Sie würden mit ihrer Religion nicht anerkannt und die Salafisten würden ihnen sagen: „Genau das, weshalb ihr nicht akzeptiert werdet, das schätzen wir.“ Aber die Jugendlichen, die in die Fänge von Salafisten geraten, würden sich primär gar nicht für Religion interessieren. Aber wofür dann?

Jugendliche suchen nach Akzeptanz und finden Ideologie

Genau an diesem Punkt komme die gesellschaftliche Dimension zum Tragen: Die Jugendlichen würden eigentlich nach Akzeptanz, nach Wärme und Anerkennung suchen. Diesen Punkt hätten alle Extremismen gemeinsam. Wenn diese Jugendlichen aber einmal Kontakt zu Salafisten bekommen haben, dann wird ihnen deren Verständnis vom Islam, ihr Weltbild von Schwarz und Weiß – hier die guten Muslime, dort die bösen Ungläubigen – eingetrichtert.

Was tun?

Die Islamverbände, kritisiert Lamya Kaddor, würden nicht genügend Position beziehen. Sie hätten Angst, Salafisten zu kritisieren, da sie befürchteten, als unislamisch bezeichnet zu werden. Man wüsste von ihnen, wogegen sie seien, aber nicht, wofür sie stehen.

Den Staat kritisiert sie dahingehend, dieser würde Schülern keine entsprechenden Angebote an Religionsunterricht machen. In Nordrhein-Westfalen bekämen gerade mal 6800 Schüler Religionsunterricht – bei insgesamt 350 000 muslimischen Schülern. Das mache lediglich zwei Prozent aus, womit Nordrhein-Westfalen aber sogar noch Spitzenreiter in Deutschland wäre.

Und die Gesellschaft kritisiert Lamya Kaddor dahingehend, sie würde hier in Deutschland geborene muslimische Kinder nicht als deutsch anerkennen. Sie selbst sei sowohl arabisch als auch deutsch, werde aber lediglich als Muslimin wahrgenommen.

Wir können uns weder religiösen Extremismus noch Islamfeindlichkeit leisten

Norbert Lammert pflichtete ihr bei: Integration könne nur gelingen, wenn beide Seiten sie wollen. An dieser Mindestvoraussetzung hätte es aber in der Vergangenheit auf beiden Seiten lange Zeit gefehlt. Zur Lösung der Probleme brauche man beide Seiten.

Auf die Frage, was sie Norbert Lammert, der Politik, mit auf den Weg geben wolle, regte Kaddor an, die islamfeindliche Hetze als Straftatbestand zu akzeptieren. Denn: „Unsere Gesellschaft kann sich keinen Islamhass leisten, genauso wenig, wie sie sich religiösen Extremismus leisten kann.“

Alles in allem war der Abend recht informativ. Sie sorgte für ein Stück Aufklärung über ein Thema, das Menschen weit über die Muslime hinaus betrifft. Dabei sorgte sie mit ihrer Prognose, dass ein islamistischer Anschlag in Deutschland nur eine Frage der Zeit wäre, für Besorgnis. Umso wichtiger sind aufklärerische, besonnene Stimmen.

Denn bei diesem Thema liegen Gift und Gegengift so eng beieinander, dass man sie leicht verwechseln kann. Eine pauschale Kritik der Muslime ohne die nötige Differenzierung wäre so, als wolle man mit Benzin einen Brand löschen wollen.