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Politik

Laschet: „Die zehn Gebote sind keine christliche Erfindung“

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Im DTJ-Interview nimmt der Landesvorsitzende der CDU in NRW, Armin Laschet, Stellung zur Situation der Muslime im größten Bundesland und in seiner Partei. Dabei spricht er auch die Rolle islamischer Verbände bei der Integrationsarbeit an. (Foto: H. Aydın)

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Armin Laschet
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Armin Laschet ist seit Juni 2012 Landesvorsitzender der CDU in Nordrhein-Westfalen. Er ist zudem stellvertretender Bundesvorsitzender seiner Partei. Im Interview mit DTJ spricht er unter anderem über die Pegida-Demonstrationen, die Islamophobie in Deutschland, die Haltung seiner Partei gegenüber muslimischen Einwanderern und den islamischen Religionsunterricht.

Wie weit darf Ihrer Meinung nach die Meinungsfreiheit gehen?

Die Meinungsfreiheit geht sehr weit, sie wird nur durch wenige Gesetze begrenzt. Volksverhetzung ist ein Beispiel für so eine Grenze. Das hat sich zuletzt bei Herrn Bachmann gezeigt, dem früheren Pegida-Organisator in Dresden, der in sozialen Netzwerken Muslime und Zuwanderer generell beschimpft und beleidigt hat. Da wurde jetzt ein Strafverfahren eingeleitet. Bei der Verletzung von religiösen Gefühlen aber geht die Meinungsfreiheit an sich sehr weit. Da müssen auch die katholische und evangelische Kirche, Christen überhaupt, gleichermaßen Kritik gegen sich gelten lassen.

Bei den Demonstrationen fielen unter anderem Slogans wie etwa „Wir sind das Volk“. Wer ist denn nun das Volk, das fremden- und islamfeindliche Pegida-Bündnis, die schweigende Mehrheit? Und wer sind dann die Muslime und Zuwanderer in diesem Land? Gehören die nicht zum „Volk“?

Die Muslime und Zuwanderer sind auch ein Teil des Volkes. Auch der Islam ist Teil der deutschen Gesellschaft, da hat die Bundeskanzlerin Recht. Und 200 bis 300 Leute können nicht für die Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen sprechen, denn das sind nahezu 18 Millionen Menschen. Und die sehen das anders als die paar Demonstranten. Der Satz „Wir sind das Volk“ aus den Mündern der Pegida-Demonstranten ist eine Anmaßung.

Nach dem Terrorangriff auf Charlie Hebdo durchsuchte kürzlich die Polizei in Berlin mehrere Wohnungen. 250 Beamte waren daran beteiligt. Gibt es Ihrer Ansicht nach eine erhöhte Gefahr durch (islamistischen) Terror?

Das Beispiel Frankreich zeigt, dass es erstmals einen Angriff auf drei Religionen gegeben hat. „Je suis Charlie“ war die Zeitung. Sie haben alle Religionen kritisiert, auch die katholische beispielsweise. Der Polizist, der Opfer war, war Muslim. „Je suis Ahmed“, sagten auch viele. Und der Supermarkt war jüdisch ausgerichtet, verkaufte vor allem koschere Lebensmittel – „Je suis Juif“ sagten daher andere. Die gesamte Gesellschaft ist für diese drei Religionsgruppen aufgestanden.

In Berlin haben wir eine vom Zentralrat der Muslime initiierte Kundgebung erlebt, bei der sich die Muslime eindeutig von den Übergriffen in Frankreich distanziert haben. Viele Menschen haben daran teilgenommen. Das ist für den Zusammenhalt der Gesellschaft zunächst mal ein gutes Signal.

Müssen Muslime Angst haben?

Nein, das müssen sie nicht. Ich glaube auch nicht, dass es den Rechtsextremen den Rücken stärkt. Denn das war ja das Interessante: Nach Paris hat es in Deutschland Demonstrationen gegeben in Solidarität mit Paris. Aber die Leute, die da Solidarität bekundet haben, waren nicht die, die auf Pegida-Kundgebungen gehen. Sondern das war unabhängig davon. Und diese Differenzierung finde ich gerade für Deutschland sehr hilfreich. Christen, Juden und Muslime stehen zusammen gegen Islamisten. Das ist die deutsche Lage, die wir im Moment erleben. Und insofern müssen die Muslime, die im Land leben, keine Ausgrenzung durch unsere Gesellschaft befürchten.

Aber…

Dennoch gibt es Islamophobie. Auch das muss man sehen. Es gab in diesen Wochen vermehrt Übergriffe auf Moscheen. Und da muss man gleichermaßen sagen: Wir werden auch das nicht tolerieren. Wir stellen uns auch schützend vor die Moscheen. Zum Glück hat es keine Brandanschläge auf Menschen gegeben. Aber auch die Übergriffe gegen Moscheen und Synagogen darf und wird der Staat nicht tolerieren.

Sehen Sie da Bedarf, die Moscheen polizeilich zu schützen, wie dies bei einigen Synagogen der Fall ist?

Gott sei Dank nicht flächendeckend. Ich finde das schon bei Synagogen befremdlich, wenn vor jeder Synagoge Polizeibeamte stehen müssen. Das ist für eine Glaubensgemeinschaft nicht schön. Wenn man jeden Tag hineingeht und merkt: Ich kann hier nur unter Polizeischutz hinein. Bei den Moscheen glaube ich, dass man eine individuelle Gefährdungsanalyse machen muss. Da, wo Gefährdungen sind, muss man sich intensiv kümmern.

Unter den Opfern in Paris waren auch Muslime. In dem jüdischen Supermarkt hat ein muslimischer Mitarbeiter mehreren Menschen das Leben gerettet. An den Trauermärschen in Paris nahmen auch Muslime teil. Auch hier sah man bei den Solidaritätsdemonstrationen ähnliches. Glauben Sie, dass die muslimische Gemeinde genug tut?

Genug kann man nie tun. Aber es ist schon bemerkenswert: Der zentrale Akt vor dem Brandenburger Tor, eine Aktion in dieser Breite, das war etwas Neues. Angeregt hatten das der Zentralrat der Muslime und die Türkische Gemeinde zu Berlin. Und dass die gesamte Staatsspitze und alle Parteien gekommen sind und tausende Berliner noch dazu, das hat es in der Form noch nicht gegeben.

NRW ist das Bundesland mit der größten türkischstämmigen Bevölkerung. Wie möchte die CDU ihre Beziehung zu dieser Gruppe künftig gestalten? Ist die CDU für alle offen?

Ja, eindeutig. Seit vielen Jahren bemühen wir uns, das auch in der Parteiarbeit deutlicher zu machen. Wir haben schon lange ein Deutsch-Türkisches Forum. Aber unsere Bemühungen haben sich früher nie in Mandaten niedergeschlagen. Bei den letzten Wahlen ist es jedoch gelungen, dass mit Cemile Giousouf zum ersten Mal eine Abgeordnete, die Muslimin ist, in den Bundestag eingezogen ist. Mit Serap Güler sitzt eine Muslimin im nordrhein-westfälischen Landtag. Daneben sitzen seit den letzten Kommunalwahlen in vielen Stadträten Mandatsträger, die muslimischen Glaubens sind, und auch meistens türkischstämmig sind.

Die CDU Nordrhein-Westfalen arbeitet gerade an einem neuen Grundsatzprogramm, in dem sich die CDU noch einmal dazu bekennt, dass sie offen ist für Christen, Juden und Muslime und auch für Menschen, die vielleicht gar keiner Religion angehören.

Sehen Sie, dass die muslimischen Bürger abgeschreckt werden vom „C“ der CDU?

Früher vielleicht ja. Heute dürfte das aber niemanden mehr abschrecken. Es gibt muslimische Vorbilder in der Partei, die einem sagen können, warum sie sich für die CDU entschieden haben: Weil sie Familienwerte noch höher hält als andere Parteien. Weil die CDU Respekt vor Gott hat. Und Gott ist nicht nur der christliche Gott, Gott ist universell. Das überzeugt aus meiner Sicht zunehmend auch Muslime, Mitglied zu werden.

Juden und der jüdische Glaube gelten als Teil Deutschlands. Muslime und der Islam werden erst seit kurzem als „zu Deutschland gehörend“ angesehen. Spiegelt sich das auch in den Parteien wider?

Das ist eine sehr historische Diskussion um die Frage, welche Werte haben eigentlich dieses sogenannte christliche Menschenbild geprägt? Natürlich sind für Christen immer das Alte Testament und auch das Judentum quasi die Vorgänger. In jedem Gottesdienst wird eine Stelle aus dem Alten Testament gelesen.

Also gibt es Gemeinsamkeiten?

Ja, diese Gemeinsamkeiten gibt es. Das Gebot der christlichen Nächstenliebe, die zehn Gebote stammen aus dem Alten Testament. Das sind dreitausend Jahre alte Weisheiten. Du sollst den Fremden annehmen, du sollst deinen Nächsten lieben: Das sind keine christlichen Erfindungen. Die sind nur durch Jesus neu übersetzt worden. Die Werte des Christentums und des Judentums haben Europa und Deutschland über Jahrhunderte stark geprägt. Der Islam hat Europa auch geprägt, aber nicht in dem Maße.

Heute haben wir eine hohe Zahl an Muslimen im Lande; nicht zuletzt durch die Anwerbeabkommen der fünfziger Jahre. Sie sind Teil der deutschen Gesellschaft geworden. Sie haben Europa und Deutschland jetzt nicht seit Jahrhunderten geprägt. Aber wenn man die Werte der Muslime an sich betrachtet, das Fasten, den Ramadan, den Respekt vor Gott und Familie, den Respekt vor dem Alter, merkt man, dass auch diese Werte Werte unserer Gesellschaft sind, die auch zum Grundgesetz passen.

Und…

Man muss wissen, dass es den Islam nicht gibt. Der Islam ist vielfältig und nicht hierarchisch organisiert wie zum Beispiel die Katholische Kirche. Es gab etwa immer Menschen, die mit der IRA in Irland sympathisiert haben. Auch da habe ich immer gesagt: „Ich bin Katholik, aber du kannst nicht jeden Morgen von mir erwarten, dass ich mich von der IRA distanziere.“ Ich kann mich nicht jeden Tag entschuldigen, wenn ein katholischer Terrorist in Nordirland Menschen umbringt.

Aber genau das wird von den Muslimen erwartet.

Ich finde, die Muslime tun bereits viel. Wir können nicht erwarten, dass die vier Millionen Muslime in Deutschland sich ständig distanzieren. Aber wir können wie die Bundeskanzlerin darauf drängen, dass die islamische Theologie ihr Verhältnis zur Anwendung von Gewalt klarstellt.

Wie sollte die Zukunft der Beziehungen zu den islamischen Verbänden aussehen, vor allem im Hinblick auf Radikalisierungstendenzen unter den Jugendlichen (Jugendsozialarbeit) sowie die Betreuung der steigenden Anzahl von älteren und kranken Muslimen (muslimische Wohlfahrtsverbände)? Gibt es Pläne, den Aufbau eines solchen Wohlfahrtsverbandes zu unterstützen?

Ich glaube, dass die muslimischen Gemeinden sich stärker auch bei den sozialen Fragen ihrer Mitglieder engagieren müssen. Einige Gemeinden tun das ja bereits. Die Frage eines muslimischen Wohlfahrtsverbandes wird in der Deutschen Islamkonferenz erörtert. Da stellt sich die Frage, wie man einen solchen Verband rechtlich verfasst. Grundsätzlich befürworte ich einen solchen Verband, ähnliches gibt es ja mit Caritas und Diakonie bei der katholischen und evangelischen Kirche auch.

Islamische Verbände kennen zwar solche Bestrebungen, aber sind dennoch nicht so stark und organisiert. Hat die CDU Interesse daran, solche Aktionen zu unterstützen?

Die CDU hat daran Interesse. Es ist gut, wenn muslimische Gemeinden hier Verantwortung für ihre Mitglieder übernehmen. Der Staat muss solche Bestrebungen anerkennen und fördern. Wo die Gemeinden das nicht können, muss es der Staat machen. Aber wenn die kleinere Einheit das kann – das gilt für die Kommune, das gilt für die Familie, das gilt für die Pfarrgemeinden –, dann sollte sie es auch tun. Das heißt für muslimische Wohlfahrtspflege: Wenn hier ein Prozess angestoßen wird, muss der Staat das unterstützen.

Der Islamische Religionsunterricht ist nach Paris wieder in den Fokus geraten. Er soll den Schülern die Möglichkeit geben, über ihre Religion zu reflektieren, Radikalisierungstendenzen vorbeugen, die Integration fördern, sprachliche Kompetenzen fördern. Wird ihm nicht zu viel aufgelastet bei einer Stunde pro Woche? Bei so einer großen Verantwortung, läuft da der Ausbau nicht schleppend voran?

Ja, es läuft schleppend, das stimmt. Man braucht natürlich Lehrer, die müssen aber auch an einer theologischen Fakultät studiert haben. Da die theologischen Fakultäten gerade erst aufgebaut werden, dauert es nun seine Zeit, bis die ersten Lehrer ein solches Studium durchlaufen haben werden. Um dieses Problem zu lösen, können Lehrkräfte, die Muslime sind, in Sonderfortbildungen auf den Religionsunterricht vorbereitet werden und diesen dann geben.

Aber durch Sonderweiterbildungsprogramme gibt es bereits viele islamische Religionslehrer. Sie finden aber keine Anstellung.

Das ist ein Problem der momentanen Schulpolitik besonders in Nordrhein-Westfalen. Wenn man diesen Religionsunterricht möchte, dann muss man ihn auch gezielt fördern und Lehrer, die diese interkulturelle Kompetenz haben, auch bevorzugt einstellen. Gerade wenn man den Religionsunterricht flächendeckend organisieren will.

Der Fachkräftemangel in Deutschland nimmt dramatische Ausmaße an. Die Zahl der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ohne Lehrstelle ist ebenfalls dramatisch hoch. Hat die CDU konkrete Pläne, diese Diskrepanz aufzuheben?

Mein Eindruck ist, dass viele Berufsgruppen offensiv um Migranten werben. Das deutsche Handwerk hat kürzlich eine Werbekampagne gemacht: „Der Meister der Zukunft ist ein Türke.“ Damit wird jedem Betrieb klargemacht: Deine Zukunft ist ein Zuwanderer, kümmere dich darum. Mein Eindruck ist, dass beide Seiten gefordert sind. Die Betriebe müssen sich jedem öffnen, jedem eine Chance geben und Zeugnisse unabhängig von der Herkunft lesen und bewerten. Aber auch die Migranten selbst müssen erkennen, was es für Berufe gibt. Alle, auch die Deutschen, wollen meistens die gleichen zehn Ausbildungsberufe erlernen. Dabei gibt es über 300 tolle Berufe.