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Politik

Lieber Can Dündar…

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Can Dündar, der von der Regierung ins Gefängnis geworfen wurde, bat in seiner Kolumne darum, ihm Briefe zu schreiben. Seiner Einladung wollte ich Folge leisten. Es sind meine Gefühle.

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Lieber Can,

Du sitzt jetzt im Gefängnis. Man wirft Dir Verrat vor, aber auch Terrorismus.

Ich weiß nicht, ob es heutzutage für einen Journalisten in der Türkei überhaupt gut ist, wenn er nicht als Terrorist oder Verräter beschuldigt und beschimpft wird.  

In normalen Zeiten, in normalen Ländern ist es schlimm, wenn man so beschuldigt wird. Es kann aber Zeiten geben, in denen solche Anschuldigungen einen auszeichnen. Die Türkei erlebt eine solche Zeit.

Es ist nunmal so: In Diktaturen werden die Aufrichtigen beschuldigt, die Mutigen ins Gefängnis geworfen.

Ich weiß nicht, ob Du unfrei bist. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, im Gefängnis zu sitzen. Rein materiell gesehen bist Du im Gefängnis. Aber ob andere, die draußen sind, freier sind als Du – das wage ich zu bezweifeln.

Gewiss: Gefängnis ist etwas Unangenehmes. Auch wünsche ich, dass Du sobald wie möglich wieder in die Freiheit kommst.

In Wahrheit kann aber das Einstehen für seine Prinzipien einen frei machen, auch wenn man dafür ins Gefängnis kommt. Ich denke: Die vielen, die draußen sind und Angst haben, die nicht den Mut haben, für ihre eigene Meinung einzustehen oder ihr Gewissen betäubt haben, die sind viel unfreier als Du.

Angst ist etwas Menschliches. Kein Mensch ist ohne Angst. Wissenschaftler, Psychologen sprechen der Angst wichtige Funktion im Überleben eines Wesens zu. Aber wir alle werden die Erfahrung gemacht haben, dass wir uns viel stärker und selbstbewusster fühlen, wenn wir uns der Angst gestellt haben.

Diejenigen aber, die vor ihrer Angst weglaufen, die werden diese Last vermutlich ein Leben lang zu tragen haben. Deshalb werden sie nicht aufrecht laufen können.

Lieber Can,

ich blicke auf das, was Du als Journalist schreibst, wie Du für Werte eintrittst mit Respekt und Achtung.

Dabei ist es vermutlich so, dass wir soziologisch gesehen unterschiedlichen Milieus entstammen. Wir haben vermutlich unterschiedliche Sozialisationen erlebt. Gäbe es diese Krise der Türkei nicht, so würden wir vielleicht einander unseren gegenseitigen Gefühlen gegenüber noch fremder sein.

Die derzeitige politische Konjunktur hat dich hinter Gitter gebracht. Die Türkei erlebt eine tiefe Krise. Nein, es ist nicht nur eine politische Krise. Es ist mehr. Es ist zugleich eine weltanschauliche Krise.

Ich denke: Es ist zugleich eine Krise des real existierenden Islams. Vielleicht nicht des Islams, der in den Büchern steht, aber gewiss des Islams, wie er verstanden und von den Muslimen in der Türkei umgesetzt wird.

Die derzeitige Regierung macht in meinen Augen vieles falsch. Ich blicke auf vieles mit Enttäuschung, Wut, Frustration. Manchmal bin ich sogar deprimiert, blicke mit Pessimismus in die Zukunft.

Was aber vielleicht noch schlimmer ist: Eine Regierung kann so manches falsch machen. Das ist nichts Neues oder Ungewöhnliches. Wir aber haben die Situation, dass die Fehler dieser Leute von fast der Hälfte der Bevölkerung mit ihren Stimmen gestützt werden.

Diese Regierung, die Eigentum privater Leute widerrechtlich verstaatlicht, Journalisten rauswirft, ihnen sogar das Arbeitslosengeld verwehrt, sie buchstäblich dem Hunger aussetzt, die in ihrer Wut und Unbarmherzigkeit ja sogar einfache Menschen und ihre Familien, Frauen und Kinder bestraft, ja diese Regierung wird von Wählern unterstützt, die sich ausdrücklich als muslimisch bezeichnen. Die vorgeben, für die Werte des Islams zu stehen.

Diese Regierung wurde auch von der Mehrheit der Wähler gewählt. Es ist irgendwie paradox und absurd: Menschen, die wir hier vor Rechtsextremismus, vor der Gesinnung von Pegida in Schutz nehmen und für deren Rechte wir einzutreten versuchen, ja diese Menschen wählen für die Türkei eine Gesinnung, die nicht viel besser als die von Pegida ist, vermutlich sogar viel schlimmer.

Ich gehe freitags zum Freitagsgebet. Was ich da aber höre, hat nichts, aber auch gar nichts mit der traurigen Realität in der Türkei zu tun.

Als ihr gesagt hattet, Religion und Staat gehören getrennt, als ihr von Laizismus geredet habt, da hatten wir Euch kritisiert. Wir dachten, ihr seid gegen die Religion. Wenn Leute an die Macht kommen, die sich religiös geben, dann wird alles besser, dachten wir.

Heute aber sehen wir: Es wird alles schlechter! Religion wird missbraucht, als eine Decke, mit der eigene Fehler, eigene Habsucht, eigene Gehässigkeiten verdeckt werden. Andererseits sehen wir, dass viele Muslime zwar Religion und Staat nicht trennen, aber doch Religion und Moral, Religion und Anstand, Religion und gesunden Menschenverstand.

Neulich habe ich einen Ausschnitt aus dem türkischen Fernsehen gesehen, in dem sich religiös-konservative Journalisten über Deine Verhaftung und Dein Privatleben mit Deiner Frau unterhielten und sich lustig machten. Es war einfach abscheulich, dass sich Journalisten über einen ihrer Kollegen, dem die Freiheit geraubt wurde, und sein Privatleben auf diese Weise lustig machten und kicherten. Hätte man mir vorher so etwas erzählt, ich hätte das nicht geglaubt.

Lieber Can,

auch wenn die Krise vielleicht in naher Zukunft vorüber sein sollte, wir werden nicht mehr so tun können, als sei nichts geschehen. Es wird nicht mehr möglich sein, einfach zur Tagesordnung zu übergehen. Dafür ist einfach viel zu viel Porzellan zerbrochen worden. Es wird vermutlich niemals mehr so werden wie vorher, auch wenn diese Tage vorbei sein werden. Die Verletzungen sind einfach zu viele und zu tief.

Wir werden das alles analysieren und daraus die Lehren ziehen müssen. Für den Moment wünsche ich nur, dass Du weißt, dass nicht alle ’Muslime’ so denken wie die.

Die Schuldfrage ist aber nicht auf die konservativen Muslimen beschränkt. Sie tragen zwar die Hauptverantwortung. Sie haben die heutige Situation gewählt. Ich denke aber, viele tragen an der heutigen Situation Mitverantwortung, Mitschuld.

Selbstkritik ist für viele immer noch ein Fremdwort. Viele sind immer noch damit beschäftigt, sich einander ihre alten Fehler vorzuwerfen. Bei dieser Schuldfrage nehme ich die Hizmet-Bewegung nicht aus. Wahrscheinlich ist es so, dass man bisher die Gefühlslage von anderen nicht emphatisch nachvollzogen hat. Ich denke, es war nicht Unwille, sondern Unvermögen, Unkenntnis.

Aber all das ist mittlerweile Vergangenheit. Ein Sprichwort sagt: Es ist nicht verwerflich, etwas nicht zu wissen, es ist verwerflich etwas nicht zu lernen. Es liegen viele Schlüsse, Schlussfolgerungen vor uns, die gezogen werden müssen.

Lieber Can,

ich hoffe, Du kommst bald frei. Ich hoffe, all dieses Leid sind die Geburtswehen einer neuen, guten Zeit. Einer modernen, freien, demokratischen türkischen Gesellschaft.

Auch wenn Du es nicht unbedingt weißt: Unsere Kommunikation steht. Ich lese Deine Artikel in Deiner Zeitung Cumhuriyet.

Ich wünsche Dir alles Gute und alle Kraft der Welt, hoffentlich werden wir uns eines Tages in Freiheit begegnen.

Mit freundlichen Grüßen aus Berlin,

İsmail Kul