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Gesellschaft

Lieber lebe ich in der Gesellschaft der ‚Ungläubigen‘, als…

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Seit den Anschläge von Paris ist ‚der‘ Islam wieder in aller Munde. Aber ‚den‘ Islam gibt es natürlich nicht, dennoch ist es falsch, die Muslime pauschal in Schutz zu nehmen. Auch ich habe vor dem Islamverständnis vieler Muslime Angst.

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MEINUNG Als ich am Freitagabend den Fernseher einschaltete, lief Fußball, Frankreich gegen Deutschland. Deutschland lag mit null zu eins zurück. „Mal was Neues“, dachte ich, „es lohnt sich, dieses Spiel anzuschauen.“

Aber die Stimmung war eigenartig. Der Kommentator sprach von Explosionen in der ersten Halbzeit, von Schießereien. Lange war mir die Tragweite nicht bewusst. Als mir langsam dämmerte, es handelt sich wohl um Terroranschläge, war der erste Gedanke sofort: „Hoffentlich sind es nicht Muslime.“

Meine egoistischen Gedanken

Als die Moderatoren später in den Nachrichtensendungen anfingen, von islamistischem Terror zu sprechen, gingen mir eine Weile egoistische Gedanken durch den Kopf: „Was könnte das für uns in Deutschland bedeuten? Wie beeinflusst das unser Leben? Was, wenn in Frankreich die Rechtspopulisten noch weiter zulegen…“

Wir hoffen, dass die Terroristen unsere Freiheit hier in Europa nicht zerstören. Derzeit glaube ich das auch nicht. Was sie auf jeden Fall können: Sie können unsere Tagesordnung bestimmen. Sie geben die Themen vor, über die wir hier diskutieren.

Deshalb sprechen wir heute wieder über den Islam. Über seinen Bezug zur Gewalt. Über Muslime und Integration. Wie Deutschland, wie Europa mit den ankommenden Flüchtlingen – die mehrheitlich Muslime sind – umgehen soll und wie nicht.

Erklärungen, wonach das Ganze nichts mit dem Islam zu tun habe, empfinde ich als nicht befriedigend. Ich mache auch nicht ‚den‘ Islam verantwortlich. Was ‚der‘ Islam genau sein soll, weiß ich ehrlich gesagt auch gar nicht.

Natürlich kenne ich die Entstehungsgeschichte des Islam, die Glaubensgrundlagen, bestimmte religiöse Praktiken. Aber was ‚der‘ Islam uns heute sagt, was islamisch ist, wie Menschen sich ethisch verhalten sollen: Die Antworten darauf sind nicht so offensichtlich.

Vielmehr habe ich den Eindruck, es gibt ‚den‘ Islam gar nicht. Es gibt Menschen, die in unterschiedlichsten Kontexten leben, den Islam nach ihren Vorlieben, Vorurteilen, manchmal Interessen verstehen. Dementsprechend gibt es auch so unterschiedliche Islame. Das wäre auch nicht weiter schlimm, wenn man sich dessen bewusst wäre, und nicht ‚den einen‘ Islam vor sich hätte.

Die bequeme religiöse Unmündigkeit in der islamischen Welt

Dem ist aber nicht so. Der Islam wird mit den ganz normalen und menschlichen Möglichkeiten interpretiert, aber das Produkt wird als ‚der eine‘ Islam ausgegeben. Und ich muss zugeben: Auch ich als Muslim habe vor dem Islamverständnis vieler Muslime oder muslimischer Gruppen Angst. Ich glaube, ich will lieber in einer Gesellschaft von lauter ‚Ungläubigen‘ leben, als in einer Gesellschaft, in der die Muslime das Sagen hätten, um die es meistens geht.

Denn viele Muslime haben es sich in ihrer religiösen Unmündigkeit gemütlich gemacht. Sie werden auch von vielen Religionsgelehrten darin gehalten. Die Leute werden davon abgeschreckt, sich einen eigenen Zugang zu verschaffen. Den Leuten wird Angst gemacht, sie könnten das eine oder andere ‚falsch‘ verstehen und schon sind sie Ungläubige und verlorene Seelen. Man soll lieber die Gestaltung des eigenen Lebens Anderen anvertrauen, statt eigene Schlüsse zu ziehen.

In solchen Gesellschaften wird dann das, was eben unter Islam verstanden wird, zum Spielball der Interessen. Die einen verteidigen mit dem Islam den Krieg, die anderen den Frieden. Zur Zeit Atatürks haben manche muslimischen Gelehrten den Kampf Atatürks verdammt, manch andere ihn verteidigt. Alle mit islamischen Argumenten.

Ich glaube, viele Muslime haben auch ihren Bezug zur Realität verloren. Sie leben in einer Scheinwelt, die sie sich zurechtgebogen haben. Ähnlich wie manche im Westen sich ein Weltbild malen, in dem sie das Eigene mit den Idealen und die Anderen mit dem Schlechtesten identifizieren, so gehen auch Muslime vor. Das Eigene wird mit ethischen Idealen, mit Tugenden identifiziert, die Anderen, der Westen, mit Dekadenz, sozialen Verfallserscheinungen, mit Imperialismus.

In der Praxis sehen wir aber: Auch die Muslime erweisen sich als verführbare Menschen, derzeit vermutlich viel mehr als andere, sich der eigenen Fehlbarkeit bewusstere Völker. Wir sehen: Auch viele Muslime handeln nach der Devise, „Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral“.

Was nicht widerlegt werden kann

Ich bin überzeugt: Diese Position wird von vielen mit islamischen Argumenten widerlegt werden können. Was sie aber nicht widerlegen können, ist die Welt da draußen. Die Tatsache, dass die Menschen aus muslimischen Ländern fliehen und in Richtung Westen gehen. Zuflucht da suchen, wohin sie – der Theorie zufolge – nicht gehen dürften.

Ich glaube, eine Gesellschaft, in der religiöse Wahrheiten als nicht auf die eigene religiöse Gruppe beschränkt aufgefasst werden, sondern mit dem Anspruch vertreten werden, damit die ganze Gesellschaft zu regeln, auch über Andersgläubige, weniger Gläubige und ‚Falschgläubige‘ – in einer solchen Gesellschaft gibt es keine Freiheit; eine solche Gesellschaft kann keinen Frieden finden. Einen Frieden, den Menschen aller Art und Glaubensrichtungen in diesen Tagen mehr denn je nötig haben.