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DTJ-Blog

Loyalität?! Wir können, wenn wir erkennen, dass wir müssen!

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Rana Argan möchte endlich in Deutschland ankommen – und wieder wird etwas von ihr eingefordert. Dabei sind ihre „anatolischen Werte“ kein Hindernis für sie, sich loyal zu zeigen.

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Nun, wie stehe ich dazu, dass unsere Bundeskanzlerin, die Diskussion rund um die Loyalität Deutschland gegenüber eingeleitet hat? Ich fühle mich angesprochen und möchte meine Gedanken mit Euch teilen:

Ich bin diesem Land dankbar

Das ist auch einfach zu verstehen. Ich bin hier aufgewachsen. Das geworden, was und wer ich bin. Ich spreche und verstehe nicht nur eine Sprache, sondern gleich zwei. Denke zweisprachig. Handle jedoch immer herzlich. Wenn meine türkische Seite verletzt ist und ich mich distanzieren will, dann tue ich das, indem ich wie bescheuert Deutsch lese. Suche Flucht in der deutschen Sprache, die ich mir mit sehr viel Mühe aneignete.

Ich verstehe Goethe, aber auch Nazım Hikmet. Ich kann meinen beiden Kindern zwei Sprachen gleichzeitig beibringen. Ich kann ihnen erlauben, mit dem Sohn meiner Freundin in ihrem Garten zu zelten. Und das, obwohl der Ehemann meiner Freundin Pastor ist. Er ist Pastor und ich bin muslimisch!

Ich kenne Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen. Habe die Möglichkeit, auf ihre Lebensrealitäten zu blicken, z.B. auf jene meiner Nachbarin, die hier bei mir auf Facebook berühmte 95-Jährige, die mir sagte:

„Das Leben ist ein Fluss mein Kind. Solange dieser fließt, musst du darin schwimmen.“

Eine Frau, die den 2.Weltkrieg erleben musste und nach Kasachstan vertrieben wurde. Eine Frau, die mich motiviert. Die sich Sorgen macht, wenn ich mich über das Stechen auf meiner linken Brusthälfte beschwere und mir die Kontaktdaten ihres Hausarztes mit bester Empfehlung in die Hand drückt. Wie eine Mutter. Obwohl zwischen uns beiden nicht nur Jahre, sondern verschiedene Kultur- und Religionsangehörigkeiten stehen! Wo ansonsten hätte ich die Möglichkeit, sie in dieser Welt zu treffen? Die russischen Nachbarskinder nennen mich „Anne“, da sie meinen, ich würde so heißen, weil meine Kinder mich mit „Anne“ (türkisch für Mutter) rufen. Wo ansonsten habe ich die Möglichkeit, die Kunst meines Schöpfers zu betrachten und zu verstehen, dass Er alle so verschieden geschaffen hat, nur damit wir einander kennen lernen?! Wo?!

Es sei denn, ich würde die Möglichkeit besitzen, mal nach Russland, mal nach Kasachstan, Polen und sogar Kambodscha zu reisen! Neulich nach Syrien oder Afghanistan. Und ich sage euch, die Zeit würde nicht reichen, auch wenn das Geld es tun würde. Diese Erfahrungen, die ich hier machen darf, sind: unbezahlbar!

Bin ich, wenn ich das sage, eine Vaterlandsverräterin?!

Vor einiger Zeit bin ich von Hagen nach Nürnberg gereist. Ganz alleine habe ich mich ins Auto gesetzt. Mehrere Tankstellen angefahren. Kurze Pausen gemacht. Kaffee getrunken.
Da ist mir der folgende Gedanke gekommen:
Während den Frauen in Afghanistan z.B. nicht erlaubt ist, Bilder über WhatsApp o.ä., selbst mit ihren eigenen Kindern, zu teilen, sitzt du hier und nimmst diese lange Strecke auf dich.
Hauptsache, dein Auto funktioniert. Du wirst nicht angehalten. Nein. Du bist frei. Dieselbe Strecke bin ich dann nachts zurückgefahren! Sei dankbar! Sei einfach nur dankbar! Ähnliche Gefühle entwickle ich auch, wenn ich auch nur eine kurze Individualreise mit meiner Familie mache, nach Bosnien oder Kroatien, wie dieses Jahr: Ich bin dem Frieden und der Ordnung, die vor Ort herrschen, einfach nur dankbar! Den Einheimischen dankbar! Es ist ein Gefühl, das ich dann unbedingt äußern muss. In Kroatien habe ich es der Dame im Supermarkt gesagt und in Bosnien unserem Ferienhaus-Vermieter! Warum soll ich es diesem Land verwehren, das es mir erst möglich macht?

Bin ich, wenn ich das sage, eine Vaterlandsverräterin?

Nein. Ich bin dann nur Mensch. Einfach nur ein dankbarer Mensch! Der, den Frieden und die Freiheit sehr schätzt! Was ist anderes von einem Menschen zu erwarten?

Doch um all diese Möglichkeiten weiter aufrecht zu erhalten, muss ich die Regeln einhalten, die in diesem Lande herrschen. Und da muss ich meine Gedanken eingrenzen, auf folgendes Beispiel:

Mein Nachbar ist 80 Jahre alt. Putzt zweimal in der Woche den Flur. Alle anderen Nachbarn meinen, ich solle mich nicht seinem Gesetz unterordnen und auch zweimal putzen. Lediglich einmal in der Woche bräuchte man zu putzen. Was in allen anderen Häusern hier in der Straße gang und gäbe ist, läuft bei uns anders. Ich schließe mich diesem ungeschriebenen Gesetz an und putze ebenfalls zweimal die Woche die Flure.

Wenn ein 80-Jähriger dies tut, muss ich das als 35-Jährige ebenfalls tun. Denn ich sehe ein, dass wir auch ihm die saubere und gepflegte Wohnumgebung bei uns im Hause zu verdanken haben. Und hier sehe ich meinen Aktionsradius. Hier bei uns im Haus.

Und das bin ich nicht nur diesem Opa schuldig, sondern auch meinem Vater, der am Aufbau dieses Landes, mit seinem Schweiß und seinem Fleiß, mitgewirkt hat. So sehe ich das.

Zur Sache der Loyalität:

Ja. Ich möchte durch mein Wirken diesem Land dienen. Und das heißt keineswegs, dass ich mich von meinem Ursprung distanziere. Ganz im Gegenteil. Ich habe den kulturellen Ursprung in dem Land, ja mehr in dem Dorf, in dem mein Vater geboren wurde. In seiner Literatur. In Aşık Veysel sehe ich mich. In Yunus Emre verbirgt sich die Liebe, die mich motiviert.
Anatolisch. Pur. Das bin ich. Anatolische Grundwerte trage ich in mir, die ich auf mein praktisches Leben reflektiere. Reich bin ich. Sehr reich. Denn nicht nur sie, auch Goethe lässt mich von sich teilhaben! Da staunen sogar die puren Deutschen, wenn ich in Zweiergesprächen auf Lessing-Zitate zurückgreife. Ich bin ich, weil ich hier leben und mich entfalten durfte, wie mein individuelles Leben mir erlaubte.
Mit all den Sorgen und Freuden seit meiner Kindheit.

Ganz ehrlich frage ich mich, wie es sein kann, primär als Frau betrachtet, dass man von so vielen Möglichkeiten (siehe obiges Beispiel, meine Fahrt nach Nürnberg) eines freien Landes Gebrauch machen kann und trotzdem diese in Frage stellt und kritisiert. Sich mit diesem Land nicht identifiziert.
Während man auch von so vielen Möglichkeiten eines Staates profitiert: Arbeiten, Geld verdienen, dazu beitragen, dass Kinder gute Schuhe tragen, einen Verein besuchen, teures Geschirr kaufen; kurz, sich hohe Standards setzen und diese verfolgen. Das kann nicht in Ordnung sein.

Sollten wir denn nicht vor allem dankbar sein, nicht in einem Land leben zu müssen, in dem wir eingesperrt werden in die Gedanken der Anderen, der Machthabenden, die einem selbst keine Möglichkeit lassen, man selbst zu sein? Als Individuum und eigenständig denkendes Wesen zu agieren? Mal ein Bildchen mit dem Sohn, der wiederum aufgrund der gegebenen Umstände fliehen musste, zu teilen? Es ist die Realität vieler Frauen, in vielen anderen Ländern, die täglich Angst um ihre Existenz haben müssen. Die ihre Kinder losschicken, von Afghanistan nach Deutschland, damit sie in irgendeiner Weise sich selbst verwirklichen! Und ist es nicht dieses Land, das sie wiederum auffängt und sehr viel daran setzt, ihnen genau das zu verwirklichen?

Meine Freiheit endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt

Vor allem wir Frauen, die Kinder erziehen, sollten uns bewusst dafür einsetzen und uns anbieten, wo es auch immer geht. Für die Aufrechterhaltung der noch herrschenden guten Verhältnisse.

Natürlich gibt es Missstände in unserer Gesellschaft, die es dringend zu benennen gilt. Ich habe mich hier lediglich auf meine eigenen Erfahrungen konzentriert. Veränderung kann ich nur bewirken, wenn ich meine eigenen Umstände charakterisieren und definieren kann. Ich kann nur bei mir beginnen. Bei dem Anderen anzufangen wäre und ist einfach nur kontraproduktiv.

Und ich sage Euch:
Es ist herrlich und wertvoll, ein Buch in die eine Hand zu nehmen, eine Tasse Kaffee in die andere und sich unter einem Baum zu setzen.
Ohne gefragt zu werden, warum, wohin und wie? Einfach so. Weil Dir gerade danach ist. Ein Wald. Ein Baum. Ein Buch. Das ist Freiheit.

Wir können uns gegenseitig die Angst nur nehmen, wenn wir miteinander reden. Uns unsere Geschichten erzählen. Diese Verantwortung kann uns die Politik nicht nehmen. Uns lediglich die Rahmen schaffen, indem wir unserer Verantwortung folgen: nicht als diese Türken, sondern als verantwortungsbewusste Individuen.

Liebe Frau Bundeskanzlerin Merkel,

ich liebe dieses Land. Ich habe meinen kulturellen Ursprung in einem anderen Land. Mein Vater hat mir die Liebe zu all den anderen Lebewesen beigebracht. Auch er hatte seinen Ursprung in einem anderen Land! Und auch er hat bei dem Aufbau dieses Landes mitgewirkt! An die vierzig Jahre lang! Aufrichtig.
Er nannte sie: Anatolische Werte! Wenn ich agiere, dann aus Liebe heraus. Wenn ich denke und Gedanken äußere, dann immer aus diesem Blickwinkel.
Aus diesem Fenster, das ich täglich putze, indem ich lese, lese und lese!

Loyalität?!

Ja. Ich bin diesem Land gegenüber völlig loyal, da ich es schätze.

Aber… Ich möchte auch einfach nur als Mensch endlich ankommen. Und nicht als Futter dienen, für diejenigen die Hunger darauf haben, mal hier, mal da, über mich zu diskutieren! Wir können, wenn wir erkennen, dass wir müssen! Und ja! Wir müssen.