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Kultur/Religion

Makaber: Comedian macht sich über Aleviten lustig − oder doch nicht?

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In der Türkei sorgt derzeit ein Auftritt einer jungen Frau für großen Wirbel. Sie sagt, dass sie missverstanden worden und das Video aus dem Kontext gerissen worden sei.

Als Pınar Fidan sich auf die Bühne von „Tuz Biber“ begibt, plant sie eigentlich eine witzige Show. Doch der Witz ist scheinbar, dass sie von Ironie nichts versteht. Mit ihrem Auftritt offenbart Fidan vielmehr ihre fragwürdige Weltanschauung. Doch ebenso fragwürdig bleibt, warum so viele im Saal keinen Protest starten, sondern über die unsäglichen Zeilen der jungen Frau lachen und sie applaudieren.

Wer sind schon die Aleviten?

In einer Passage kommt Fidan auf die Aleviten zu sprechen. Ins Zentrum ihrer Ausführungen stellt sie das Posting eines Aleviten in den sozialen Medien. Dabei habe diese Person eine Analogie zwischen türkischen und finnischen Politikern gezogen. Das Foto eines finnischen Ministerpräsidenten, der mit dem Nahverkehr zur Arbeit fährt, zeige, dass er eine gute Person sei und das Paradies verdiene. Türkische Politiker würden, so der Umkehrschluss, im Vergleich eher in die Hölle gehören. Für Fidan sind aber Aleviten nicht die geeigneten Personen, so etwas zu bewerten. Sie spricht nicht davon, dass es unpassend sei, solch eine Bewertungen vorzunehmen. In ihrer Ausführung konzentriert sich die junge Frau dezidiert auf die Konfession des Kommentierenden. Schließlich macht sie einen fatalen Schlenker und weicht vom Thema ab.

Brandanschlag auf Aleviten in Madımak

In dieser Passage erinnert Fidan an das grauenvolle Massaker an Aleviten aus dem Jahre 1993. In der türkischen Stadt Sivas wurde am 2. Juli jenes Jahres ein Brandanschlag auf die größte religiöse Minderheit in der Türkei, die Aleviten, verübt. Sie machen etwa ein Viertel der türkischen Gesamtbevölkerung aus. Sivas ist seit jeher mit der alevitischen Tradition verbunden und stand gleichzeitig auch immer für das friedliche Miteinander von Aleviten und Sunniten. Doch an jenem Sommertag war davon wenig zu spüren. 35 Menschen starben einen grauenvollen Tod.

Der Auftritt von Pınar Fidan im Wortlaut

„Eine Person hat das Foto eines finnischen Politikers kommentiert. Darauf ist er zu sehen, wie er mit der Bahn zur Arbeit fährt. Er beurteilt das Foto und sagt: „Das sind die Politiker, die ins Paradies kommen werden. Politiker in unserem Land gehören in die Hölle. Er beurteilt das so, als könnte er es so entscheiden. Es sei bemerkt, dass diese Person auch noch ein Alevit ist. Also einer, der glaubt, ins Paradies zu kommen, ohne dafür irgendetwas tun zu müssen.“

Gelächter im Publikum 

„Dann urteilt der auch noch über andere. Manchmal lese ich Artikel, in denen es darum geht, dass ein Cemhaus (Anm. d. Red.: Religiöse Versammlungsstätte von Aleviten) angegriffen wurde. Schaut, solche Nachrichten gibt es regelmäßig auf der dritten Seite einer Zeitung. […] Aber nie kommt dabei ein Alevit ums Leben. Warum? Weil sie leer sind, weil keine Aleviten in die Cemhäuser [mehr] gehen.“

Noch mehr Gelächter im Publikum

„Wir müssen gar nichts besonderes tun. Die Angreifer gehen öfter in Cemhäuser als die Aleviten selbst. Das muss zunächst einmal festgehalten werden.“

Gelächter und Applaus

„Wenn du unbedingt [welche töten] willst, geh in eine Kneipe oder du kannst sie alle in ein Hotel stecken und sie verbrennen, wie es schon in der Vergangenheit geschehen ist…“

Unterstützung für Fidan

Neben der großen Welle an Kritik gab es vereinzelt auch Unterstützung für Fidan. So teilte beispielsweise der Regisseur und Stand-Up Künstler Onur Ünlü dieses Foto des Instituts für türkischen Stand-Up. Darauf steht als dritter Punkt des Instituts-internen Manifestes: „Lustig und Anstand können nicht nebeneinander stehen. Der Lustige ist von jeglichem Anstand befreit“. Darüber schrieb Ünlü: „Lasst das Mädchen in Ruhe!“.

Auch Osman Akyol unterstützte die junge Frau und schrieb auf Facebook, er habe sich das besagte Video abermals angesehen. Etwas Verwerfliches sei ihm keinesfalls aufgefallen. Die türkische Bevölkerung könne Ironie nicht verstehen und nicht lachen. Es sei denn, er sei nicht ganz normal. Akyol war in der Türkei seinerzeit für seine islamkritischen Zeilen in seinem Buch „Kommunismus, die göttliche Gerechtigkeit“ angefeindet worden. Für ihn müsse sich nicht Fidan, sondern die Bevölkerung verändern.

Komikerin verteidigt sich

In einem Posting verteidigte sich Pınar Fidan und meinte, missverstanden zu sein. Sie meine das genaue Gegenteil und bediene sich bei ihrer Aufführung dem Instrument der Ironie. Sie sei sogar selbst Alevitin und es habe sie verletzt, dass so viele Personen dennoch Beleidigungen von sich gegeben hätten. Auch sei eine Ursache für dieses Missverständnis, dass das Video aus dem Kontext gerissen worden sei.

Aziz Nesin war auch im Madımak Hotel

Aziz Nesin war ein linker Schriftsteller und Intellektueller, der an jenem Treffen der Aleviten am 2. Juli 1993 in Sivas teilnahm, obwohl er kein Alevit war. Er war bei dem Anschlag auch im Hotel. Im Vorfeld wurde Nesin für seine geplante Teilnahme kritisiert. Seine Antwort auf solche Fragen hat sich bis heute in die Gedächtnisse eingeprägt. Nesin erklärte damals: „Sie sagten, du bist doch kein Alevit, was geht dich das an? Ich sagte ihnen, du bist doch kein Mensch, wie soll ich es Dir erklären?“.