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Kolumnen

Demokratie ohne Freiheit geht nicht

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Die Fälle Bradley Manning und Edward Snowden haben gezeigt, dass der Drang nach immer größerer Ausweitung von Geheimdienstbefugnissen am Ende an den Menschen selbst scheitert – sogar an solchen, die Teil dieses Systems sind. (Foto: dpa)

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Edward Manning wurde jüngst zu 25 Jahren Haft verurteilt.
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In der vergangenen Woche hat ein US-Gericht den 25 Jahre alten Soldaten Bradley Manning zu 35 Jahren Haft verurteilt. Er wird sein Leben hinter Gittern verbringen, weil er hunderttausende vertrauliche Dokumente der US-Armee an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergegeben hatte. Unter diesen Dokumenten war unter anderem das unter dem Titel „Collateral Murder“ im Internet zu findende Video, in dem zu sehen ist, wie US-Soldaten aus einem Apache-Hubschrauber heraus das Feuer auf eine Gruppe von Menschen eröffnen und dabei unter anderem zwei Reuters-Reporter töten. Das Gericht erklärte Manning in vier Punkten für schuldig. Es verurteilte ihn wegen Geheimnisverrats, Spionage, Computerbetrugs und Diebstahls.

Sollte Edward Snowden jemals den US-Behörden in die Hände fallen, weiß er nun, was ihm droht. Snowden war früher Techniker des US-Geheimdienstes NSA und hat wie Manning geheime Dokumente an die Öffentlichkeit gegeben. Durch Snowden erfuhren die Bürger der westlichen Demokratien, dass die Geheimdienste sie im Namen der von ihnen selbst gewählten Regierungen rund um die Uhr ausspähen. Ihnen ist bewusst geworden, dass der gläserne Bürger längst Wirklichkeit ist und die Bürokratie der Sicherheitsapparate ihre Feinde rund um die Uhr unter jenen Bürgern sucht, die sie mit ihren Steuern finanziell am Leben erhalten.

In dieses Bild passt auch das Vorgehen der britischen Sicherheitsbehörden, die David Miranda, den Lebensgefährten des NSA-Enthüllers Glenn Greenwald, als Terrorverdächtigen auf dem Londoner Flughafen Heathrow festnahmen und ohne rechtlichen Beistand oder irgendwelche Beweise neun Stunden lang festhielten. Dieselben Sicherheitsbehörden zerschlugen vor den Augen des Chefredakteurs der britischen Zeitung „The Guardian“ Festplatten und Computer, auf denen das restliche Material Snowdens gespeichert war.

Demokratie ohne Freiheit geht nicht

„Die Balance zwischen bürgerlicher Freiheit und den Interessen von Bürokratie und Industrie ist zerstört“, schreibt der „Freitag“-Herausgeber Jakob Augstein. War das Interesse westlicher Nachrichtendienste früher maßgeblich auf den äußeren Feind gerichtet, so richtet es sich jetzt nach innen. Für Demokratien ist dies eine perverse Situation, weil sie sich damit selbst ins Visier ihrer Abwehrtätigkeit nehmen. Sie handeln wie Diktatoren, die ihre Macht nur dadurch sichern können, dass sie ihrem Volk, das sie am Leben erhält, die Freiheit nehmen.

Wer aber einem Volk die Freiheit nimmt, der erstickt es. Das ist der Grund, warum letztlich alle Diktaturen zerbrechen. Denn ohne Freiheit schwinden die vitalen Kräfte einer Gesellschaft. Ihre Kreativität lässt nach und damit auch ihre ökonomische Wettbewerbsfähigkeit. Neben der Freiheit mangelt es den Menschen an materiellen Gütern und sozialer Sicherheit. Daran ist der gesamte Ostblock zerbrochen. Und so war der Fall der Mauer 1989 nicht ein Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus, es war ein Sieg der Freiheit über die Unfreiheit.

Die Freiheit lässt sich nicht besiegen. Machthaber oder Geheimdienste können sie einschränken, sie können Menschen verfolgen und drangsalieren. Aber niemals können sie gegen die Kraft der Freiheit gewinnen.

Allein die Sehnsucht nach Freiheit gibt Leuten wie Bradley Manning und Edward Snowden die Kraft, die Machenschaften der Geheimdienste öffentlich zu machen. Dabei hilft ihnen das System selbst. Denn je weiter die technologischen Fähigkeiten zur Überwachung und Ausspähung voranschreiten, desto größer werden die Möglichkeiten, dass all dies öffentlich wird.

Denn mit dem technologisch Machbaren steigt auch der technische und personelle Aufwand, der nötig ist, die beständig wachsenden Bedürfnisse der Geheimdienste und ihrer Auftraggeber zu befriedigen. Und mit dem Aufwand steigt das Risiko, dass sich die Machenschaften der Geheimdienste nicht mehr restlos verheimlichen lässt.

Überkomplexität als Anfang vom Ende

Schließlich werden in diesen Systemen Menschen eingesetzt, die nicht von politischen oder ideologischen Interessen geleitet sind. Diese Menschen sind das Herz-und Kreislaufsystem der neuen digitalen Überwachungssysteme, nicht Agenten, wie wir sie aus James-Bond-Filmen kennen. Es sind Techniker, Programmierer, Entwickler und Ingenieure. Es Menschen mit Moral und Gewissen, die selbst die Androhung drakonischer Strafen nicht davon abhalten kann, über Unrecht zu schweigen.

Und so, wie biologische Systeme irgendwann aufgrund ihrer schieren Größe kollabieren, zerbrechen auch Überwachungssysteme an ihrer Überkomplexität. Denn durch die Anmaßung, alles kontrollieren zu wollen, sind sie selbst irgendwann nicht mehr kontrollierbar.

Schon heute ist das Internet voll mit Informationen, die dem Bürger noch vor einem Jahrzehnt nicht zugänglich gewesen wären. Je restriktiver Staaten gegen die Veröffentlichung vorgehen, desto mehr Lecks scheinen sich im Sicherheitssystem aufzutun.

Alle diese Informationen verändern die Welt. Geheimdienste erkennen, dass sie keine Geheimnisse mehr wahren können. Das Bild, das Menschen von Regierungen und Sicherheitsapparaten haben, wird sich wandeln. Ihr Blick auf den Parlamentarismus und letztlich auf die Demokratie wird ein anderer sein. Und dann werden sie sich fragen, was aus der Herrschaft des Volkes geworden ist.