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Gesellschaft

„Marhaba“: „Man kann Integration nicht erzwingen, man muss sie vorleben“

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„Marhaba“ ist die erste arabischsprachige Sendung für Flüchtlinge in Deutschland. Das Programm, das bisher nur im Internet ausgestrahlt wurde, kommt nun aufgrund seines großen Erfolges ins Fernsehen. Wir sprachen mit dem Moderator.

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Ein deutscher Journalist, der über Flüchtlinge berichtet, ist mittlerweile nichts Neues mehr. Doch ein Journalist, der in ihrer Muttersprache über sie – aber vor allem MIT ihnen – spricht, ist eine Seltenheit. Der n-tv-Journalist Constantin Schreiber erregte Anfang Oktober mit seiner ersten arabischsprachigen Sendung große Aufmerksamkeit. „Marhaba“, so heißt das Programm, ist das erste seiner Art in Deutschland. In der fünfminütigen Sendung spricht er von der deutschen Kultur und den Gesetzen und Rechten im Land.

„Marhaba“ wurde so erfolgreich, dass die Sendung, die bisher nur im Internet zu sehen war, nun ins Fernsehen kommt. Am Donnerstag wird die erste deutsch-arabische Talkshow um 17:10 Uhr auf n-tv ausgestrahlt. In seiner Talkshow spricht Schreiber sowohl mit Politikern über die aktuelle Flüchtlingsdebatte und stellt zudem Einzelschicksale von Flüchtlingen vor, die es bereits geschafft haben, erfolgreich zu werden oder sich auf bestem Wege befinden. DTJ war bei den Dreharbeiten der ersten Folge dabei und hat anschließend mit dem Journalisten gesprochen.

Erst einmal herzlichen Glückwunsch zur ersten Sendung Ihrer deutsch-arabischen Talkshow. Hätten Sie gedacht, dass es Ihre Sendung vom Internet ins Fernsehen schafft?

Schreiber: Überhaupt nicht. Wir hatten an das Online-Format auch keine besonderen Erwartungen. Es war nichts, von dem wir groß gedacht hätten, dass es sich tatsächlich so verbreiten würde oder dass es große Aufmerksamkeit bekommt. Wir hatten gedacht, wir bieten praktische Anleitung. Da hätte ich nie daran gedacht, dass es auch ins Fernsehen kommt.

Aber die Internet-Version von „Marhaba“ unterscheidet sich ja nun von der Fernseh-Version insofern, dass online auf Arabisch gesprochen wurde und nun auf Deutsch.

Schreiber: Genau, wir werden dennoch zweisprachige Elemente haben. Einige Teile werden auf Arabisch untertitelt. Es wird in den jeweiligen Interviewstrecken und –stücken im Internet dann auch trotzdem zweisprachig verbreitet werden. Ich würde sagen, es ist die Eigenheit dieses Programms, dass es diese beiden Zielgruppen hat und diese möchten wir eigentlich auch so gut es im Fernsehen geht erreichen.

Also richtet sich das Programm nicht nur gezielt an Flüchtlinge, sondern vielleicht auch an Flüchtlingskritiker?

Schreiber: Richtig. In der deutschen Zielgruppe an Flüchtlingskritiker oder sagen wir kritische Menschen dieser Erscheinung. Und auf Arabisch haben wir schon den Anspruch, dass wir arabischstämmige, arabischsprachige Zuschauer in gewissen Teilen erreichen, wo wir es zweisprachig bringen.

2016 kommt auch das Buch zur Sendung. Wie sieht es damit aus? Wird es auch auf Arabisch und Deutsch erscheinen?

 Schreiber: Genau, auch auf Deutsch und Arabisch. Es handelt sich dabei um eine „Insgesamtbetrachtung“ natürlich wieder auf beiden Ebenen: Wie sieht die arabische Welt uns? Was wird da vielleicht auch erwartet? Welche Hoffnungen werden gesetzt und wie sehen wir uns angesichts dieser Herausforderung, vor der wir stehen? Wie ist unser Verhältnis zur arabischen Welt? Wie sind unsere Möglichkeiten, tatsächlich unsere Offenheit zu zeigen? Also da werden auch wirklich beide Blickrichtungen aufgefangen, um eine Diskussion wiederzugeben.

Die Tagesschau wird neuerdings im Internet auf Arabisch ausgestrahlt und auch die Sendung mit der Maus wurde ins Arabische übersetzt. Glauben Sie, dass sie von Ihrer Sendung inspiriert wurden und dass Sie den Grundstein gelegt haben für diese Entwicklung, dass man Flüchtlinge jetzt in ihrer eigenen Sprache anspricht?

Schreiber: Ich glaube es wurde schon wahrgenommen, dass es unsere Sendung gibt und ich glaube, dass sie auch ein bisschen mit Überraschung wahrgenommen worden ist und aus einer Ecke kam, mit der keiner gerechnet hat. Klassischerweise würde man so etwas tatsächlich eher bei den Öffentlich-Rechtlichen vermuten, als bei den Privaten. Wir verdienen ja auch nichts daran, im Gegenteil, es kostet uns auch einfach Geld und wir nutzen das nicht zur PR. Wir machen da keine Presseerklärung und keine Pressearbeit dazu.

Warum machen Sie es dann?

Schreiber: Wir haben tatsächlich ein geringaufwändiges Projekt am Anfang geplant. Es waren ja wirklich diese kurzen Clips, überschaubar und relativ kurzfristig gedreht. Ich will jetzt nicht sagen, wir sind Menschen, die irgendwas Gutes tun wollen, aber ich glaub wir alle hatten als dieses Thema so groß wurde, gedacht, irgendwas muss man da auch machen, um die Leute zu erreichen. Und das war etwas, wo man das mit geringen Mitteln probieren konnte. Wir haben wie gesagt ganz bewusst keine Presserklärung gemacht. Wir haben es nur ins Internet gestellt und hatten da keine Programmplanung. Es ist wichtig, politische Debatten, die wir führen, Leuten, die hier bei uns leben, mitzuteilen. Medien haben ja die Funktion, in dem Land wo sie sind, auch die Menschen zu erreichen, die die Information brauchen. Und die Leute sind ja schon hier. Wir tun immer so als seien sie noch ganz woanders. Aber sie sind ja hier und müssen auch irgendwie etwas mitbekommen, von dem, was in unserem Land stattfindet.

Gerade weil Sie keine PR gemacht haben, gab es die Kritik, dass die Flüchtlinge nichts von Ihrer Sendung mitbekommen würden, da sie sich „nicht direkt vors Internet oder den Fernseher setzen, wenn sie hier ankommen“. Wie haben Sie dann dafür gesorgt, dass die Flüchtlinge davon mitbekommen und wissen Sie überhaupt, ob Ihre Sendung Flüchtlinge erreicht?

Schreiber: Da können wir uns relativ sicher sein. Wir können ja anhand der Abrufzahlen und den Klickzahlen verfolgen, wo sie sind. Wir haben ungefähr 60% im Nahen Osten, das heißt natürlich nicht, dass es Flüchtlinge sind, aber wir erreichen zumindest arabische Menschen im Nahen Osten und ansonsten sehen wir bei den Klicks, dass es tatsächlich die sind, wo die Flüchtlinge z.B. auf den Balkanrouten unterwegs sind, wo wir sonst Null Klicks haben. Das können wir relativ genau checken. Und von den Reaktionen, das hat uns ja selber überrascht. Wir haben in den ersten Wochen tausende Zuschriften bekommen, sowieso von vielen Flüchtlingen, von Helfern, Flüchtlingsunterkünfte, die uns angeschrieben haben, das sie die Sendung haben möchten, um sie vor Ort auszustrahlen, auch an Schulen, um sie als Unterrichtsmaterial vielen Flüchtlingskindern zur Verfügung zu stellen. Auch über Social Media hat sich das sehr gut verbreitet.

Es gab sowohl Kritik auf der arabischen als auch auf der deutschen Seite. In der 5. Folge z.B. sprechen Sie davon, dass Frauen und Männer in Deutschland vor der Ehe gemeinsam leben dürfen. Viele arabische bzw. muslimische Eltern könnten nun Angst bekommen, dass ihre Kinder dazu ermutigt werden. Geht es bei Ihrer Sendung darum, dass die Flüchtlinge das akzeptieren oder auch teilweise übernehmen sollen? Wo ist hier die Grenze zwischen Integration und Assimilation?

Schreiber: Ich finde schon Integration ein schwieriges Wort, also von Assimilation ganz zu Schweigen. Integration setzt ja nicht voraus, dass die anderen sich bei uns integrieren und wir bleiben wie wir sind. Ich glaube das ist nicht, wie es funktioniert. Kulturen nähern sich immer an, alles verändert sich, wenn Menschen zusammen kommen. Ich vermeide eigentlich dieses Wort Integration, weil ich es nicht richtig finde. Ich weiß nicht, ob es als Aufforderung oder Ermutigung verstanden wurde, aber ich kann für mich sagen, ich stehe schon dahinter. Es ist mir schon wichtig zu sagen: Das ist bei uns möglich und das ist unser reales Leben in Deutschland!

Geht es darum, es nur zu akzeptieren?

Schreiber: Zu wissen, dass es das gibt und dass es hier möglich ist. Dass es nicht ok ist, jemandem so etwas zu verbieten. Es ist letztlich eine persönliche Entscheidung, aber sie sollen wissen, dass es ihr Recht ist. Es ist möglich und das sind unsere gesetzlichen und rechtlichen Rahmen, die das zulassen.

Man nennt Sie teilweise „Mr. Marhaba“ oder „den Flüchtlingsversteher“. Verstehen Sie denn die Flüchtlinge und wenn ja, was erwarten sie denn von uns?

Schreiber: Menschen ticken unterschiedlich, bringen unterschiedliche Fähigkeiten mit und haben unterschiedliche soziale Prägungen. Deswegen kann man das gar nicht verallgemeinern und da sträube ich mich auch allgemein zu sagen, wie das ist oder ob man sie versteht. Es gibt Dinge, bei denen ich sehr kritisch bin und sage, ja klar, das sind auch nicht die richtigen Motive oder das ist vielleicht auch nicht die richtige Herangehensweise. Andererseits gibt es ganz wunderbare Beispiele, ganz beeindruckend, wo ich sage, das hätte ich selber gar nicht so hinbekommen. Ich glaube da wirklich, dass jeder Fall unterschiedlich ist.

Und auf sprachlicher Basis verstehen Sie die Flüchtlinge ja, wie wir mitbekommen haben. Woher kommt das, dass Sie so gut Arabisch sprechen? 

Schreiber: Ich habe lange Zeit in Syrien, Libanon, Ägypten, Dubai gelebt und gearbeitet. Ich habe es nicht studiert, ich habe Jura studiert. Aber über die Jahre, die ich da war, habe ich mich konsequent nur mit arabischsprachigen Menschen umgeben. Ich habe mir gesagt, wenn man da ist, dann muss man das so machen, um auch anzukommen. Das habe ich auch so probiert und irgendwann ist man dann auch so weit.

Fälschlicherweise werden Sie aufgrund Ihres fließenden Arabischs oft für einen Muslim gehalten. Wie reagieren die Leute, wenn Sie Ihnen sagen, dass Sie keiner sind? Werden Sie daraufhin anders behandelt oder gar versucht „zu bekehren“?

Schreiber: Nein, es macht keinen Unterschied. Es gibt zwar Leute, die das probieren, nicht auf besonders aggressive Weise, nicht permanent, aber das kommt schon vor. Aber generell ist es eigentlich kein Thema und ich stehe da sehr selbstbewusst zu. Ich hab meine Religion und meinen persönlichen familiären geschichtlichen kulturellen Hintergrund und ich habe nie eine negative Erfahrung damit gemacht, dass irgendjemand das nicht akzeptiert hat.

Sie hatten in einem Interview mit „Quotenmeter“ gesagt, dass wir bei der Integration der türkischen Gastarbeiter in Deutschland in Bezug auf den Konsum klassischer deutscher Medien ebenfalls Schwierigkeiten hatten und diese medial teilweise gar nicht angekommen sind. Was müssen wir jetzt anders machen?

Schreiber: Ja, das frage ich auch unter anderem in dem Buch nach und das ist natürlich schwierig. Wenn es darum geht, Integrationsfernsehen zu machen, das finde ich teilweise lächerlich. Ich würde mir, wenn man mich als Deutscher nach China verfrachten würde, auch kein chinesisches Integrationsfernsehen auf Deutsch angucken. Entweder Dinge entwickeln sich, weil sie ein erfolgreiches Beispiel sind oder weil sie attraktiv sind oder weil es eine Zukunft bietet. Aber man kann das nicht erzwingen! Man könnte versuchen es vorzuleben, zeigen, dass es in der Gesellschaft funktioniert, dass es eine gute Heimat für einen ist, dann glaube ich, strahlt das ab. Man kann nichts von außen beibringen. Das will keiner.