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Politik

Massenprozess gegen mutmaßliche Putschisten – Fethullah Gülen angeklagt

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«Willkür» und Stigmatisierung von Staatsbediensteten – Amnesty kritisiert die Massenentlassungen in der Türkei. Unter dem Vorwurf der Beteiligung am Putsch beginnt ein Massenprozess.

Zehn Monate nach dem Umsturzversuch in der Türkei hat in Ankara ein weiterer Massenprozess gegen mutmaßliche Putschisten begonnen. Unter den 221 Angeklagten seien der in den USA lebende muslimische Gelehrte Fethullah Gülen sowie 27 Generäle, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Gegen Gülen, den die Regierung für den Putschversuch verantwortlich macht, werde in Abwesenheit verhandelt. Bis auf zwölf Angeklagte seien alle Beschuldigten Militärs. Sie müssten sich seit Montag des versuchten Umsturzes der Regierung, der versuchten Ermordung von Präsident Recep Tayyip Erdogan, des Mordes an 250 Menschen sowie des 2735-fachen Mordversuches verantworten.

Die Zeitung «Daily Sabah» berichtete, mit einem Ende des Prozesses in der türkischen Hauptstadt werde am 16. Juli gerechnet. Am 16. Juli 2016 war der am Vorabend begonnene Putsch niedergeschlagen worden.

Mit Massenentlassungen von Staatsbediensteten per Notstandsdekret verstößt die türkische Führung nach Ansicht von Amnesty International gegen Menschenrechte. In einem am Montag veröffentlichten Bericht kritisierte die Organisation die Entlassungen als «willkürlich». Die Betroffenen und ihre Familien würden zudem als «Terroristen» stigmatisiert. Viele fänden nicht noch einmal Arbeit und hätten Schwierigkeiten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Zwei Akademiker, die sich aus Protest gegen ihre Entlassungen seit 75 Tagen im Hungerstreik befinden, wurden unterdessen bei einer Razzia in der Ankara festgenommen. Mehrere Unterstützer wurden laut Medienberichten bei anschließenden Protesten in der Hauptstadt am zentralen Menschenrechtsdenkmal festgenommen.

Die Dozentin Nuriye Gülmen und der Grundschullehrer Semih Özakca nehmen seit dem 9. März nur Wasser, Zucker, Salz und Vitamin B zu sich. Onur Naci Karahanci von der türkischen Ärztekammer in Ankara warnte, in Polizeigewahrsam würde sich der Gesundheitszustand der stark geschwächten Akademiker voraussichtlich weiter verschlechtern. «Sie benutzen dort Toiletten mit anderen, das Belüftungssystem ist schlecht und sie können sich nicht ausruhen. Es gibt daher eine sehr ernsthaftes Risiko für Infektionen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Gülmen und Özakca hätten angekündigt, auch auf Wasser und Zucker zu verzichten, sollten sie nicht bald freigelassen werden. «Wenn es dazu kommt, halten sie nicht mehr lange durch», sagte Karahanci. Auch die Mutter und die Ehefrau von Özakca seien am Montag in den Hungerstreik getreten.

Gülmen und Özakca sind zwei von mehr als 100 000 Staatsbediensteten, die Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 per Dekret entlassen hatte. Ihnen werden angebliche Verbindungen zur Gülen-Bewegung vorgeworfen.

Nach der Veröffentlichung eines Erdogan-kritischen Titelblatts hat ein türkisches Gericht zwei Chefs des politischen Satiremagazins «Nokta» zu 22 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Cevheri Güven und Murat Capan werde vorgeworfen, das Volk zu einem «bewaffneten Aufstand» gegen die Regierung aufgewiegelt zu haben, meldete die Nachrichtenagentur DHA am Montag. Das Gericht erließ zudem Haftbefehl gegen die Journalisten, deren Aufenthaltsort zunächst unklar war.

Fethullah Gülen bislang immer freigesprochen

Der im US-Exil lebende Gelehrte Fethullah Gülen wurde in seinem Leben mehrmals angeklagt. Jede seiner Gerichtsverhandlungen gingen bislang damit aus, dass das spirituelle Oberhaupt einer weltweiten Bewegung freigesprochen wurde. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdgoan hingegen macht nun ernst und will ihn als Straftäter per Gericht an die Wand nageln. Ob die Gerichte in der Türkei heute noch unabhängig sind, wird allerdings international kritisch beäugt. Den türkischen Gerichten wird international keine echte Unabhängigkeit attestiert.

Zudem wird die Anschuldigung, Gülen stecke hinter dem Putschversuch in der Türkei durch zahlreiche Geheimdienstaussagen entkräftigt. Die Times kam in den Besitz eines geheimen Berichts des EU Geheimdienst-Zentrums (Intcen) vom 24. August 2016. Der Bericht widerspricht dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der Gülen als Urheber des Putsches bezeichnet. “Es ist unwahrscheinlich, dass Gülen wirklich die Fähigkeit und die Mittel hatte, solche Schritte zu unternehmen”, heisst es in dem Bericht. “Es gibt keinen Beweis, dass die Armee… und die Gülenisten bereit waren, zusammen zu arbeiten, um Erdogan zu stürzen. Die Gülen-Bewegung hängt sehr locker zusammen und ist ziemlich weit von der säkularen Opposition und der türkischen Armee entfernt”, heisst es laut Times in dem Bericht.

Bundesnachrichtendienst glaubt auch nicht an Erdogans Behauptung

Auch der Chef des Bundesnachrichtendienstes Bruno Kahl erklärte in einem Exklusiv-Interview mit dem Spiegel, dass hinter dem Putschversuch in der Türkei die Gülen-Bewegung nicht stecke. Kahl sehe keine Hinweise dafür, dass die Hizmet, wie sich die Bewegung des Predigers Fetullah Gülen selbst bezeichnet, hinter dem Putschversuch gesteckt habe.. „Die Türkei hat auf den verschiedensten Ebenen versucht, uns davon zu überzeugen. Das ist ihr aber bislang nicht gelungen“, verlatbarte Kahl. Auch sei die Gülen-Bewegung nicht wie behauptet eine islamisch-extremistische oder gar terroristische Bewegung, sondern eine „zivile Vereinigung zur religiösen und säkularen Weiterbildung.“

dtj/dpa