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Politik

Der McCarthyismus ist zum Verlieren verdammt – gestern wie heute und überall

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Die McCarthy-Ära in den USA war geprägt durch Repressionen gegen Künstler und Staatsbedienstete. Sie war eine Zeit des Wahn- und Schwachsinns, wie sich erst viel später herausstellen sollte. (Foto: reuters)

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MEINUNG In dem er vor laufender Kamera mit der „Liste der gesuchten Verbrecher“ fuchtelte, sorgte Joseph Raymond McCarthy für großes Aufsehen. „Hier ist die Liste der Verräter und Schnüffler“, sagte er und schürte nicht nur Ängste, sondern bestimmte auch die Schlagzeilen. Es war die Anfangszeit des Kalten Krieges.

Auch nannte er die Zahl der Verdächtigen: Es waren genau 205. Wer hätte denn darauf kommen sollen, dass die Belege des Wisconsiner Senators vollständig gefälscht waren? Erst zehn Jahre später stellte sich dies heraus. In der Zwischenzeit jedoch waren viele Menschen Diskriminierungen und Hassreden ausgesetzt. Viele waren überzeugt, dass McCarthy in seiner mysteriösen Tasche Hunderte von Belegen und Dokumenten aufbewahrte. Immerhin war er Senator und genoss als seriöser Politiker eine gewisse Glaubwürdigkeit. Erst nach seinem Tod stellte man fest, dass die Tasche leer war. Die Anschuldigungen waren rein fiktiv und nicht mehr als schwarze Propaganda. Sein Ziel war es, Unsicherheit und Ängste in der Bevölkerung zu schüren.

Der McCarthyismus der 1950-er Jahre war eine Zeit des Wahnsinns. Ein solch furchtbarer und bedrohlicher Wahnsinn, dass es nun nicht mehr allein um die Wahnvorstellungen eines engstirnigen Karrierepolitikers ging. Unter dem Deckmantel der Staatssicherheit wurde Despotismus betrieben. Heute steht der Begriff McCarthyismus für eine Ideologie, mit dem alle vergleichbaren Phänomene seitdem bezeichnet werden. Nicht umsonst. Als McCarthy Belege für die 205 Kommunisten auf seiner Liste liefern sollte, wich er aus und sprach zuerst von 80, dann nur noch von 50 „Staatsverrätern”. Auch für diese Zahl hatte er keine Belege. Er sprach von einer fiktiven Struktur, die nur in seinem Kopf existierte. Gab es in den USA keine Kommunisten oder Sozialisten? Natürlich gab es sie. Doch bedarf es für Anschuldigungen wie „Spionage“, „Staatsverbrechen“ oder „Staatsunterwanderung“ juristisch haltbare Beweise.

„Staatsverräter“ und „mysteriöse Belege“

Aber McCarthy interessierten Belege nicht, obwohl er Rechtswissenschaften studiert hatte. Er mag vielleicht kein guter Anwalt gewesen sein, aber das heißt nicht, dass seine juristischen Kenntnisse nicht ausreichten, um zu wissen, dass man für die Anschuldigungen Belege vorlegen muss. McCarthy hatte es bis zum Bezirksrichter von Wisconsin geschafft. Er war sich also darüber im Klaren, dass er eine Straftat beging. Gekümmert hat ihn dies herzlich wenig. Während er seine Papiere hin- und herschwenkte, sprach er von „Staatsverrätern“, die das Land angeblich an die Russen ausliefern wollten. Nach McCarthy unterwanderten diese „Verräter“ insbesondere das Außenministerium. Direkten und konkreten Anreden wich er aus und verwies immer wieder auf seine mysteriösen „Belege“.

Die angespannte Atmosphäre während des Kalten Krieges begünstigte die Verbreitung dieser Propaganda. Der Verkäufer war zwar ein Maulheld, doch gab es eine Menge begeisterter Käufer, die dazu bereit waren, dem Ganzen Glauben zu schenken. McCarthys Hexenjagd fand eine breite öffentliche Zustimmung und wurde zum Teil mit Begeisterung aufgenommen. Auch in der Zeit, als McCarthys Stern sank, glaubten noch viele an seinen Schwachsinn, wie Umfragen aus dieser Zeit belegten.

Größte „Hexenjagd“ des 20. Jahrhunderts

Auch als die Republikaner mit dem Versprechen, den Staatsverrätern aufzulauern, die Regierung von den Demokraten übernahmen, änderte sich nichts. Sie konnten keinen einzigen „Spion“ handfest machen. Die Maske des despotischen Senators war gefallen. Einige wenige mutige Medien enthüllten dessen Lügen. Die größte „Hexenjagd“ des 20. Jahrhunderts endete, doch die haltlosen Anschuldigungen jener Tage wurden nie vergessen.

Nach 50 Jahren wurde die McCarthy-Ära aufgearbeitet und es stellte sich nach der Sichtung von 5 000 Dokumenten heraus, dass dieser hypochondrische Geist andere Menschen zum Geständnis gezwungen und auf alle möglichen Propagandamittel zurückgegriffen hatte, um das Konstrukt in seinem Kopf zu beweisen. Wegen ihm erfuhren zahlreiche Berühmtheiten wie Bertolt Brecht, Howard Fast, Dashiel Hammett, Charlie Chaplin und Arthur Miller großes Leid. Jenes des berühmten Regisseurs Elia Kazan, dessen Vorfahren aus dem anatolischen Kayseri stammen, ist unvergessen. Als Kazan dem Druck nicht mehr standhalten konnte, verriet er die Namen seiner acht Freunde der McCarthy-Kommission und musste sein Leben lang Scham und Reue ertragen.

Der McCarthyismus kann zu jeder Zeit und überall auf der Welt auftreten und den gesamten Staatsapparat in Geiselhaft nehmen. Falls haltlose Anschuldigungen in den Raum gestellt werden, eine diskriminierende und ausgrenzende Sprache verwendet wird, tagtäglich Hassreden gehalten werden, sind das Anzeichen, dass McCarthys Geist über einem Land schwebt. Die Konsequenzen dieser fatalen Geisteshaltung sind stets dieselben: Frustration und Niederlage. Niemals wird der McCarthyismus für immer bestehen bleiben, doch diejenigen, die zu jenen Zeiten sich nicht für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen, werden sich später in Scham und Verlegenheit für ihre Taten entschuldigen müssen.

Ekrem Dumanlı ist Chefredakteur der Tageszeitung Zaman. Der obige Artikel ist eine zusammenfassende Übersetzung des Originals, das am 12.05.2014 erschien.