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Wirtschaft

„Mecklenburg-Vorpommern freut sich auf türkische Investoren!“

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Im Interview mit DTJ betont Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering, wie wichtig Einwanderung und ausländische Investitionen auch für sein Bundesland seien, und schildert die Eindrücke seines ersten Türkeibesuchs. (Foto: Aziz Turdaliev)

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Erwin Sellering, Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern
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Erwin Sellering stammt aus Sprockhövel im südlichen Ruhrgebiet. Der ehemalige Richter am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wurde 1994 zum Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Greifswald ernannt, seit dieser Zeit lebt er im nordöstlichsten Bundesland der Bundesrepublik.

Seit dem 6. Oktober 2008 ist Erwin Sellering Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern. Davor war er seit 2006 Sozialminister und von 2000 bis 2006 Justizminister des Landes.

Sehr geehrter Herr Sellering, wir kennen Sie als Ministerpräsident des nordöstlichsten Bundeslandes, aber wissen wenig über Sie persönlich. Würden Sie uns etwas über sich erzählen?

1994 bin ich nach Greifswald gegangen und es war so in der Mitte des Jahres, dass ich gesagt habe: Das ist meine neue Heimat. Dort sind wir jetzt zu Hause. Ich bin vom ersten Tag an mit der ganzen Familie rübergegangen und dann muss man sich natürlich auch um das kümmern, was man da vorfindet, man muss sich integrieren. So bin ich dann zu verschiedenen Veranstaltungen gegangen und es war einfach eine politisch unheimlich spannende Zeit.

Gerade als ich ankam, waren die Landtagswahlen, es wurde diskutiert, wer kann mit wem koalieren und natürlich war der Weg eines neuen Bundeslandes 1994 so spannend, dass man sich da irgendwie einmischen musste. Da bin ich dann in die SPD eingetreten und hab dort mitgemacht. Damals ging das in einem kleinen Land wie hier relativ schnell, dass man auf Landesebene wirken konnte. 1998 gab es den Wechsel von der Großen Koalition hin zum Bündnis mit der damaligen PDS und auch da war ich schon mit dabei, als Abteilungsleiter hier in der Staatskanzlei. Und dann hat sich das so entwickelt.

Sie waren in diesem Jahr zum ersten Mal in der Türkei. Was haben Sie mitgenommen?

Das Interessante für mich an Mecklenburg-Vorpommern ist ja, dass wir einen regen Austausch mit den Anrainern um die Ostsee haben. Wir haben traditionell aus der Zeit der DDR gute Verbindungen in den Ostblock und nach Vietnam (auch dort war ich schon). Aber wir sehen natürlich auch, dass die Türkei ein Land ist, das sich in den letzten zehn Jahren rasend schnell entwickelt hat. Das Land hat  wirtschaftlich unermessliche Möglichkeiten zu bieten und auch vonseiten der Unternehmer des Landes wurde der Wunsch an uns herangetragen, wir mögen mit einer Delegation dorthin reisen und ausloten, welche Möglichkeiten es gibt. Wir sind mit der Erwartung hingefahren, dass wir als Land bekannter werden, dass wir Berührungspunkte erkennen und ich kann im Nachhinein sagen, es war eine wirklich erfolgreiche Reise und wir haben tatsächlich Anknüpfungspunkte gefunden, von denen ich eigentlich annehme und hoffe, dass sie sich weiterentwickeln.

Windenergie und Gesundheitswirtschaft waren die Punkte, die bei Ihnen ja auch auf der Agenda ganz oben stehen…

Das sind die Punkte, bei denen wir davon ausgehen, dass sie für die Zukunft des Landes wirkliche Chancen bieten und  genau deshalb ist es natürlich auch spannend, sich mit anderen Ländern auszutauschen, bei denen es ähnlich aussieht. Wir haben in Gesprächen bemerkt, dass auch die Türkei hinsichtlich der Windenergie vorankommen möchte. Mich hat sehr beeindruckt, dass sie die bisher vorhandenen Windenergiequellen verzehnfachen wollen. Von den 2400 Megawatt, die jetzt da sind, haben zu einem Viertel mecklenburgische Unternehmen beigetragen und wenn sie das verzehnfachen wollen, wollen wir natürlich wieder dabei sein. Das ist ein positiver und schöner Markt für uns.

Es gibt ja auch Hoffnung, dass man mit der Türkei oder mit türkischen Unternehmen in Deutschland etwas machen kann.

Ich hatte auch den Eindruck, dass neben den wirtschaftlichen Interessen auch in vielerlei Hinsicht der menschliche Austausch gepasst hat und dass gute Gespräche geführt werden konnten. Wir haben einen großen Empfang gehabt mit 130 Gästen und ich hatte schon den Eindruck, dass wir gut ins Gespräch gekommen sind und dass es auch von der Mentalität her gut passt, und dass wir vergleichbare Ziele haben. Jedenfalls ist das alles für mich ein kleines Aufbruchssignal, was die Verbindung zur Türkei angeht und ich hoffe, dass sich alles positiv entwickeln wird.

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass Sie auch in Bundesländern wie Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen, wo mehr Bürger mit Migrationshintergrund leben, Ministerpräsident werden könnten?

Nein, ich bin schon lange komplett hier angekommen. Seit 1994. Jetzt bin ich hier im Osten. Hier bin ich zu Hause.

Es könnte ja sein, dass Sie ab und an darüber nachgedacht haben, was Sie in einem solchen Fall anders gemacht hätten. Kommt so etwas manchmal vor?

Also in Nordrhein-Westfalen, woher ich ursprünglich komme, da werden viele Dinge anders. Und mit Leuten, mit denen man aufgewachsen ist, kommt man auch leicht ins Gespräch, wobei ich auch hier das Gefühl habe, dass ich mit den Menschen sehr gut klar komme, das ist schon toll. Ich hab mich darüber sehr gefreut, und das ist nicht selbstverständlich, glaube ich, dass man als Ministerpräsident eines Landes anerkannt und gewählt wird, obwohl man nicht ursprünglich von da ist und deshalb freue ich mich sehr, dass wir bei der letzten Landtagswahl, meiner Wiederwahl, gute Zahlen erreicht haben und das habe ich als großen Vertrauensbeweis gesehen.

Im Westen, wo mehr Einwanderer leben, werden Themen wie Integration oder Bildung anders diskutiert als hier in Mecklenburg. Schleswig-Holstein hat da beispielsweise zum Teil andere Ansätze und es gibt große Unterschiede wie z.B. in der Auseinandersetzung mit Rechtsradikalen. Wie geht man damit um?

Ich möchte sehr gerne erreichen, dass wir einmal mehr Menschen mit Migrationshintergrund hier haben. Wir sind bei 3%, das ist einfach viel zu wenig. Ich wünsche mir sehr, dass Unternehmer hierherkommen, dass Studenten hier herkommen, Menschen, die hier arbeiten wollen und da kann ich nur sagen, wir werden die Arme weit ausbreiten und sagen: Kommt bitte her und helft hier mit. Man wird an der einen oder anderen Stelle mit den Menschen hier reden müssen, bei 3% Ausländern gibt es manchmal Vorbehalte, ganz einfach, weil man keine Ausländer kennt. Da muss man das Kennenlernen fördern und das geschieht am besten schon im Kindergarten: dass man Leute kennenlernt, die einen ganz anderen Hintergrund haben und dass man trotzdem zusammen spielt und man schön zusammen zur Schule gehen kann.

Aber wir haben natürlich ganz andere Themen als NRW, wo es z.B. viele türkischstämmige Deutsche gibt, das muss ja mittlerweile ein Riesenprozentsatz sein, und da ist der Umgang natürlich ganz anders. Wobei hier vielleicht auch eine Unbefangenheit da ist und eine Offenheit, zumindest hoffe ich das sehr. Und ich kann auch nur sagen: Wir laden die Leute herzlich ein.

Wie können Sie Unternehmen Vertrauen geben, die über Ihr Bundesland bislang nur den Eindruck bekommen haben, dass es dort viele Nazis gibt?

Das ist natürlich auch etwas, wofür man sich als Ministerpräsident schämt, wenn wir Rechtsextreme hier haben und deren neonazistische Partei sogar gewählt wird. Andererseits bin ich sehr stolz, weil wir auch Zehntausende haben, die dem entgegentreten und sagen: Wir wollen euch hier nicht haben. Bei den Menschen ist das sehr klar und das freut mich sehr. Ich kann nur sagen, dass die Polizei natürlich mit allen Kräften durchgreift.

Wir haben ja auch über den NSU gesprochen, eine furchtbare Geschichte und niemand versteht, wieso das so laufen konnte. Ich hoffe, dass das noch einmal aufrüttelt und dass man da wirklich mit aller Kraft gegenhält. Da ist vielleicht auch ein kleiner Unterschied zwischen Ost und West, dass wir im Osten mitbekommen, wie ernst diese Gefahr ist, die von Rechtsextremen ausgeht und deshalb mit aller Kraft dagegenhalten. Manchmal sagt man im Westen: „Ach, das ist alles halb so schlimm, das ist ja bloß im Osten“ – und da muss man ganz klar sagen: Was die Rechtsextremen angeht, da muss man wirklich gegenhalten. Das ist zwar eine kleine Gruppe, aber sie will gegen diesen Staat vorgehen und deshalb muss man ihnen mit aller Härte begegnen.

Sie lancieren ja auch einen Aufruf, um Unternehmer aus der Türkei dazu zu bewegen, hier in Deutschland zu investieren. Gilt dieser Aufruf auch für die türkischstämmigen Unternehmer, die in Deutschland ansässig sind?

Selbstverständlich. Unsere Beziehungen zu Berlin sind ja ganz gut. Ich weiß auch, dass ein Unternehmer, der schon in Berlin tätig war. auch hierhergekommen ist und ein Hotel betreibt. Und da würde ich gerne versuchen, vor allem in Berlin auf Menschen zuzugehen und zu sagen: Kommt doch auch mal hier zu uns her. Das ist ja auch räumlich gesehen keine unüberwindbare Distanz.

Wie war denn Ihr Eindruck vom Besuch der deutschen Soldaten in Kahramanmaraş?

Wir sind dort ja hingefahren, weil von den 300 Soldaten, die dort stationiert sind, 100 aus Mecklenburg-Vorpommern kommen. Und deshalb muss man natürlich auch als Ministerpräsident seine Landsleute besuchen. Ich fand es dort sehr, sehr schön. Ich fand, es war ein tolles Erlebnis, wie wir da spät abends noch gekommen sind und das wunderbare Eis gegessen haben. Das war wirklich toll. Für uns alle! Das so spontan zu machen, hat aber auch gezeigt, wie sehr die Soldaten dort doch integriert sind in der Stadt, wie sie sich dort zu Hause fühlen und ich hatte auch den Eindruck, dass auf dem Stützpunkt, über den ja mal viel Negatives berichtet wurde, die Zusammenarbeit gut ist.

Was mich vor allem überzeugt hat, ist die Situation, wenn man oben auf dem Hügel steht, unter einem die Stadt sieht und sieht: Da ist Syrien, von dort können die Raketen herkommen und wenn sie diese Stadt bedrohen, dann schießen wir sie ab. Das ist schon ein Auftrag unter NATO-Partnern, wo man sagen kann, da sind wir stolz, dass wir zusammenarbeiten und dass man da gemeinsam was tun kann.

Was wäre Ihre Botschaft an unsere Leser?

Ich habe mich sehr gefreut, dass wir die Türkei so kennenlernen konnten. Das ist glaube ich für uns alle hier ein sehr sympathisches Land und wir freuen uns, solche Kontakte geknüpft zu haben, damit wir noch besser zusammenarbeiten können. Ich wünsche mir noch mehr Austausch und wir breiten die Arme weit aus für alle Türkinnen und Türken. Ich kann ihnen nur empfehlen, hierherzukommen und zu investieren, mitzuarbeiten und zu studieren. Wir freuen uns!