Connect with us

Kolumnen

„Möge das Militär sie vernichten“

Spread the love

Der Presserat schützt die Würde des Bürgers und wenn ein Presseorgan einen verfälscht zitiert, schreitet er ein. So dachte auch Christoph Bultmann. Aber dabei scheint er die Frustrationstoleranz dieses Organs unterschätzt zu haben.

Published

on

Christoph Bultmann ist der Autor des Buches "Gut gefälscht. Besichtigung einer Zitatfälschung im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL"
Spread the love

Zum Schutz gegen Übergriffe vonseiten staatlicher Organe gibt es in Deutschland die Grundrechte. Hat man das Gefühl, sie werden verletzt, kann man sich an Gerichte wenden und sich dort um Wiederherstellung der Gerechtigkeit bemühen. Das Ganze nennt sich auch Rechtsstaat.

Bei Verletzung der Rechte seitens der – privaten – vierten Gewalt in Form der Medienorgane gibt es auch Möglichkeiten, sich zu wehren: Die Medien haben hierzulande zwar sehr viel Freiheit, aber Narrenfreiheit auch wieder nicht. Es gibt den Pressekodex, der darlegt, woran sich die Medien bei ihrer Arbeit halten sollen.

Die erste Ziffer nennt die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit als die obersten Gebote der Presse. Die Ziffer zwei nennt die Sorgfalt als unverzichtbares Instrument der Recherche, sprich: Die Informationen dürfen bei ihrer Wiedergabe weder entstellt noch verfälscht werden. Und die Ziffer drei schreibt vor, dass für den Fall, dass sich eine Information, insbesondere eine personenbezogene, nachträglich als falsch erweisen sollte, das Publikationsorgan sie unverzüglich und von sich aus richtigzustellen habe.

Überwacht wird das Ganze vom Presserat. Hat man das Gefühl, man wurde von einem Presseorgan übel behandelt, kann man sich an den Presserat wenden. Dieser kann dann eine Rüge aussprechen oder andere Maßnahmen ergreifen. Entscheidungen dieser Art sind zwar nicht so bindend wie die Gerichtsurteile, so ganz ohne Bedeutung sind aber auch sie nicht, zumal den Presseorganen – zumindest den meisten von ihnen – ihre Glaubwürdigkeit nicht egal ist oder sein kann. Soweit die Theorie.

Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus

Und wie sieht die Praxis aus? Da passt nicht alles so schön und reibungslos zusammen. Ein kürzlich erschienenes Büchlein gibt davon ein beeindruckendes Zeugnis. Es handelt sich da nämlich um das Büchlein mit dem Titel „Gut gefälscht. Besichtigung einer Zitatfälschung im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL“, gedruckt im Ulenspiegel-Verlag in Erfurt. Autor und Herausgeber ist Christoph Bultmann, Professor für Bibelwissenschaften (Ev. Theologie) an der dortigen Universität.

Es behandelt die Bemühungen um die Richtigstellung eines im Nachrichtenmagazin Der Spiegel verkürzt und verfälscht wiedergegebenen Zitats. Das Buch dokumentiert, nachdem sich der Spiegel einer Richtigstellung des Zitates verweigert hatte, wie auch der Presserat Anträge und Beschwerden ablehnt und sich auch verschiedene Medienmagazine wie „M. Menschen machen Medien, Medium. Magazin für Journalisten“, journalist, message, epd medien sowie die Fachvereinigung „Neue deutsche Medienmacher“ der Annahme des Themas verweigern.

Beim Streitthema handelt sich um ein Zitat von Fethullah Gülen. Gülen äußert sich nämlich in einer Videobotschaft vom 24.10.2011 zum Thema Terrorismus im Südosten der Türkei, spricht in Gebetform, gerichtet an Allah, von Versöhnung und fügt sinngemäß hinzu: Sollten einige an Versöhnung nicht interessiert sein, so möge doch Gott sie zugrunde richten. Aus diesen Äußerungen macht dann der Spiegel in einem Artikel (32/2012) über Fethullah Gülen und ihre angeblichen „Machenschaften“ in Deutschland eine Aufforderung an das türkische Militär, sie möge doch bitte die Kurden allesamt vernichten.

Weigerung des Spiegel nachvollziehbar, aber..

Dass der Spiegel eine Richtigstellung ablehnt, mag nicht schön sein, aber irgendwo aber auch nachvollziehbar. Man sieht sich eben selbst in der Rolle des Anklägers und eine korrekte, das heißt nicht entstellte und verfälschte Wiedergabe der Aussagen Fethullah Gülens würde diesen in einem guten Licht erscheinen lassen und diese würde die eigene Anklage wie ein Kartenhaus zusammenfallen lassen.

Aber dass sich auch der Presserat den Beschwerden gegenüber dieser Fälschungspraxis verschließt, stimmt bedenklich. Wie aus dem Buch zu entnehmen ist: Die erste Beschwerde mit Bezug aus den Ziffer eins wird in Sitzung des Beschwerdeausschusses 1 behandelt und am 5. Dezember 2012 abgelehnt. Ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird in der Sitzung des Beschwerdeausschusses 2 am 14. März 2013 behandelt und abgelehnt. Und eine dritte Beschwerde mit Bezug auf die Ziffer drei wird am 8. August 2013 abgelehnt. Im Begründungsschreiben der Ablehnung heißt es zum einen, „Zwar sind die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Entstehung des Zitats nachvollziehbar“, dem folgt jedoch ein Aber und es heißt: „Allerdings erschließt sich nicht, warum der Beschwerdeführer meint, es liege ein Verstoß des SPIEGEL gegen die publizistischen Grundsätze vor.“ Aha! Und das Ergebnis von all dem? „Leider ist zur fortgesetzten publizistischen Karriere der Zitatfälschung unter den derzeitigen Verhältnissen beim Deutschen Presserat kein Verlangen einer Richtigstellung durchsetzbar“, so Bultmann (S. 10). Bultmann schreibt weiter über sein Buch, es möge als Studienmaterial für Studierende im Fach Medienethik dienen (S. 8).

Dem ist nur eins hinzuzufügen: Nicht nur im Fach Medienethik, sondern auch im Fach Psychologie, Jura und der Philosophie ließe sich einiges darüber studieren, wie das gewollte und gemachte gesellschaftliche Klima gegenüber einer Gruppe deren Wahrnehmung dessen beeinflusst, wie sie für Offensichtliches blind macht, das Gerechtigkeitsempfinden schmälert, das Gewissen vernebelt.

Für Interessierte:

Christoph Bultmann (Hrsg.): Gut gefälscht. Besichtigung einer Zitatfälschung im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL, Ulenspiegel-Verlag Erfurt 2013, 15 Euro.