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Politik

„Wer die Regierung betrogen hat, wird zur Rechenschaft gezogen“

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Cyberattacken, Anzeigen, Drohungen und Bußgelder gehören bereits seit Wochen für regierungskritische Formate in der Türkei zum täglichen Brot. Ist das erst der Anfang? (Foto: cihan)

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Medienfreiheit in der Türkei: Cyberattacken, Drohungen und Bußgelder gehören seit Wochen für regierungskritische Formate in der Türkei zum täglichen Brot.
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Mehrere regierungskritische Onlinemedien sind seit Tagen wiederholten Cyberattacken ausgesetzt, die bereits mehrfach die Erreichbarkeit der Seiten über Stunden hinweg vereitelt haben. Betroffen sind unter anderem die Formate Zaman, Today’s Zaman und Taraf, ebenso wie die Nachrichtenagentur Cihan. Beobachter sehen die Medienfreiheit in der Türkei zunehmend in Gefahr.

Die Attacken hatten bereits in der Vorwoche begonnen, eine besondere Intensität erreichten sie jedoch am Tag der türkischen Kommunalwahlen am 30. März. Leser konnten am Abend der Stimmenauszählung die türkischsprachigen und zum Teil auch die englischsprachigen Webauftritte der betroffenen Formate nicht erreichen. An jenem Tag wurden auch die Formate Radikal und Sözcü sowie Rotahaber News in Mitleidenschaft gezogen.

Cihan verlautbarte am Abend des 30. März, ihre Seite würde von „hunderttausenden Computern“ im Rahmen einer DDoS-Attacke („Denial of Service“) angegriffen, wobei Hacker durch eine Überladung der Seite mit Suchanfragen das Laden der Seite verzögern oder zum Absturz bringen sollten. Als der Angriff kam, wollte Cihan gerade die ersten Wahlergebnisse veröffentlichen. Die Nachrichtenagentur, die in türkischer, englischer, arabischer und russischer Sprache berichtet, ist für ihre schnelle und akkurate Wahlberichterstattung bekannt.

Taraf seit Tagen nicht erreichbar

Auch die Taraf wurde am 30. März von bis dato unidentifizierten Cybergruppen angegriffen. In einem Statement hieß es: „An alle Idioten, die Angst vor Journalismus, Freiheiten und der Taraf haben, […] sie glauben, sie sind erfolgreich, aber sie sind Verlierer. Sie zeigen uns, welche Angst sie vor Taraf und dem freien Journalismus haben. Sie zeigen uns, wie mächtig wir sind. Egal, ob Ihr uns Supersoldaten oder Killer schickt: Ihr werdet die Taraf nicht zum Schweigen bringen. Wir werden unsere Seite in kürzest möglicher Zeit wieder online bringen.“ Seit 30. März ist der Onlineauftritt der Taraf nicht mehr erreichbar.

Am Dienstag waren wiederum Zaman, Today’s Zaman und die Cihan Agentur für mehrere Stunden nicht erreichbar. Der Nachrichtenchef von IMC TV, Kemal Can, wertet den Angriff als Attacke auf die Informationsfreiheit. Mehr als 300 Abonnenten von Cihan konnten nicht auf die Dienste zugreifen.

„Das Ziel des Angriffs war nicht nur, die Cihan daran zu hindern, ihre Abonnenten mit Informationen zu versorgen, sondern auch viele Medienanbieter daran zu hindern, ihre Arbeit zu tun.“ Im Zuge der Wahlberichterstattung sind Cihan und viele ihrer Abonnenten auf Twitter ausgewichen. So konnten die Kunden auch mit Information versorgt werden.

Nachrichtensender werden zu Dokumentarsendern

Neben den Hackerattacken haben zahlreiche Medienformate derzeit auch ein massives Problem mit staatlichen Repressionsmaßnahmen. So hat der Oberste Rat für Radio und Fernsehen (RTÜK) gegen eine Reihe von Fernsehkanälen, darunter Samanyolu Haber TV und Bugün TV, wegen regierungskritischer Veröffentlichungen hohe Geldbußen verhängt. Sie sollen „parteiisch“ über die Korruptions- und Bestechungsermittlungen berichtet haben, die auch zahlreiche Regierungsmitglieder im Visier hatten.

Auf Grund der Vielzahl an Programmen, deren Ausstrahlung untersagt wurde, mussten die Nachrichtensender lange Zeit damit Vorlieb nehmen, Dokumentationen auszustrahlen. Die Betreiber der TV-Kanäle warfen dem RTÜK vor, einseitig regierungskritische Medien zu diskriminieren.

Nun soll auch noch der regierungsnahe Journalist Rasim Ozan Kütahyali angekündigt haben, jene Medienholdings, welche „die Regierung betrogen“ hätten, würden bald „zur Rechenschaft gezogen“ werden. In diesem Zusammenhang nennt Kütahyali unter anderem die Doğan  Holding, die unter anderem die Hürriyet herausgibt, und die Ciner Holding, die unter anderem Habertürk besitzt. Diese Publikationen hätten nicht die notwendige Reaktion auf die geleakten Tonbänder gezeigt, die den türkischen Außenminister, den Geheimdienstchef und einen ranghohen Armeegeneral in einem Gespräch gezeigt hatten, in dem es unter anderem um eine mögliche Provokation gegen das bürgerkriegsgeschüttelte Nachbarland Syrien ging.

Gerüchte über bevorstehende Schauprozesse

Darüber hinaus werden Gerüchte immer lauter, wonach eine Welle von Strafverfolgungen gegen Mitglieder der Hizmet-Bewegung vorbereitet werde, für die offenbar noch ein paar Beweise fabriziert werden müssen und die zum Ziel haben sollen, Hizmet einzuschüchtern.

Premierminister Erdoğan hat bereits Anzeigen gegen TZ-Chefredakteur Dr. Bülent Keneş, gegen dessen Stellvertreter Mehmet Kamış, gegen den Kolumnisten Emre Uslu, gegen den Journalisten Önder Aytaç und gegen den Ex- Chef der Geheimdienstabteilung des Istanbuler Polizeidepartments, Ali Fuat Yilmazer, eingebracht. TZ-Kolumnist Mahir Zeynalov war bereits vor einigen Wochen wegen kritischer Artikel aus der Türkei ausgewiesen worden.