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Politik

Gaza: Das Märchen von den „gezielten Tötungen“

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Bei der Legitimierung der israelischen Angriffe spielen die Medien eine entscheidende, aber unglückliche Rolle. Am Beispiel von DPA-Meldungen wird klar, wie Begriffe übernommen und als scheinbar objektive Wiedergabe von Tatsachen eingesetzt werden. (Fotos: reuters)

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Gaza: Eine Mutter nimmt Abschied von ihrem getöteten Kind.
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Statt Diplomaten sprechen im Nahostkonflikt wieder die Waffen. Nach dem Scheitern der Waffenruhe-Gespräche in Kairo setzt die israelische Regierung offenbar auf eine neue Strategie: Der Tötung aller Angehörigen der Hamas-Führungsriege, deren Aufenthaltsort der israelische Geheimdienst zu kennen meint. Das Vorgehen, dass von den israelischen Streitkräften beschönigend als „gezielte Tötungen“ bezeichnet wird, forderte allein in den ersten Stunden und Tagen mehr als 20 zivile Todesopfer in Gaza.

Bei israelischen Luftangriffen im Gazastreifen sind am Donnerstag mindestens 22 Menschen ums Leben gekommen. Das berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur Maan. Vier Personen seien getötet worden, als sie Verwandte, die bei Angriffen in der Nacht umgekommen waren, auf einem Friedhof begruben. Die Gesamtzahl der Toten seit Beginn der israelischen Angriffe vor mehr als sechs Wochen stieg damit auf 2071, wie der Sprecher des Gesundheitsministeriums in Gaza, Aschraf al-Kidra, auf Twitter mitteilte. Trotzdem übernahmen auch deutsche Medien den Begriff „gezielte Tötungen“.

Offizielle Ziele der israelischen Luftangriffe – der „gezielten Tötungen“ – waren anscheinend militärische Kommandeure der Hamas. So wurde am Dienstag durch einen Luftangriff offenbar der Militärchef der Hamas im Gazastreifen, Muhammad Deif, getötet. Neben ihm starben auch seine Frau, seine Tochter und sein Sohn. Die Leiche seiner Tochter sei erst am Donnerstag in den Trümmern des am Dienstag durch einen israelischen Luftangriff zerstörten Hauses gefunden worden, sagte der Sprecher des Gaza-Gesundheitsministeriums, Aschraf al-Kidra. Das Schicksal des eigentlichen Ziels, Muhammad Deif ist bislang ungeklärt. Israel hält ihn für tot, die Hamas bestreitet das.

Trotz etlicher ziviler Opfer: Deutsche Medien übernehmen Begriff „gezielte Tötungen“

In einigen deutschen Medien drohen die Berichte über die zivilen Opfer in Gaza, die sogar auf den Friedhöfen von Gaza israelischen „gezielten Tötungen“ zum Opfer fallen, durch Erfolgsmeldungen des israelischen Militärs und Geheimdienstes übertönt zu werden.

Bei israelischen Luftangriffen im Gazastreifen sind am Donnerstag mindestens 22 Menschen ums Leben gekommen. Das berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur Maan.

So las sich der detaillierte Bericht über die Tötung dreier Top-Kommandeure der Hamas in ihrem Versteck im südlichen Gazastreifen am Donnerstag wie eine PR-Meldung aus der israelischen Militärzeitung. Von dem vierstöckigen Haus in Rafah seien nur Trümmer übrig geblieben und „Israel feierte den tödlichen Schlag gegen Mohammed Abu Schimala (41), Raed al-Attar (40) und Mohammed Barhum (45) am Donnerstag als großen Erfolg seines Geheimdienstes“ hieß es beispielsweise in einem Bericht der DPA. Zusätzlich dazu ließ die Presseagentur einen Kommentator des israelischen Rundfunks, den israelischen Ministerpräsidenten, den früheren Chef des israelischen Militärgeheimdienstes (heute Leiter des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv) und einen israelischen Militärexperten zu Wort kommen, welche die jüngsten Entwicklungen kommentierten und für die Leser einordneten.

Davon, dass Israel nun den Spieß umgedreht hätte und das israelische Militär einen „sehr schweren Schlag für die militärische Spitze der Hamas im Süden des Gazastreifens“, auf ein „legitimes Ziel“ ausgeführt habe, war die Rede. „Der israelische Geheimdienst ist offenbar tief in den militärischen Arm der Hamas eingedrungen“ kommentierte der israelische Militärexperte.

Haaretz: Gezielte Tötungen keine Lösung

Die „den Entscheidungsprozess vor gezielten Tötungen“ genannte Aussage des früheren Chefs des israelischen Militärgeheimdienstes, Amos Jadlin, wirkt mit Blick auf die etlichen zivilen Opfer der letzen Tage makaber. Dennoch wird dem Leser die scheinbar als unproblematisch aufgefasste Erklärung unkommentiert vorgesetzt: „Bei dem Abzielen auf die Hamas-Führung gibt es gewisse Einschränkungen – nur wenn man verlässliche Geheimdienstinformationen hat und der mögliche Kollateralschaden minimal ist, schickt man die Luftwaffe los.“ Die Ereignisse der letzten Tage – auch wenn man die drei bzw. vier getöteten Hamas-Führer mit berücksichtigt – beweisen aber, dass Kollateralschäden in Form getöteter unschuldiger Zivilisten ständiger Begleiter der sog. „gezielten Tötungen“ sind.

Zwar wird in dem Artikel auch die Kritik der (israelischen) Zeitung „Haaretz“ erwähnt, die am Donnerstag in ihrem Leitartikel schrieb, gezielte Tötungen seien keine Lösung. Doch der Aufruf der Zeitung „Der einzige Ausweg aus dem Gazakonflikt und der Isolation Israels ist die Diplomatie“ geht im Angesicht der ausgiebig vorgetragenen Erfolgsmeldungen des israelischen Militärs unter.

Nach dem letzten Gaza-Krieg im Jahre 2012 hatte Israel sich im Rahmen der Vereinbarungen über eine Waffenruhe mit der Hamas dazu verpflichtet, die Praxis (sog. gezielte Tötungen) zu beenden. Trotz der von israelischen Militärexperten und Ex-Geheimdienstlern gefeierten Luftschläge, scheint ein Ende des Konflikts wieder in weiter ferne. (dpa/dtj)