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Gesellschaft

Der Fluch des Menschenhandels

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Offiziell ist die Sklaverei seit mehr als 100 Jahren in Europa Vergangenheit. Armut und Gesetzlosigkeit haben sie aber auf dem Wege des Menschenhandels zurückkehren lassen. Und die Opfer sind uns näher als wir denken mögen. (Foto: reuters)

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Eine Prostituierte
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MEINUNG Würden Sie nach dem Eis eines kleinen Kindes greifen? Natürlich nicht! Nun überlegen Sie einmal, wie schlimm es für eine junge Person ist, nicht nur seiner Süßigkeiten, sondern auch seiner Hoffnung, seines Lebens und seiner Ziele beraubt zu werden? Das aber ist genau das, was der Menschenhandel macht und weshalb dieses Thema so brisant ist.

Der Menschenhandel, das ist Sklaverei unter einem neuen Namen. Es ist die illegale Verschleppung von Menschen durch Zwang oder Betrug, mit dem Ziel, sie finanziell oder sexuell auszubeuten. Die Opfer des Handels enden in Prostitution oder Billigarbeit in Unternehmen, auf Bauernhöfen, in Restaurants oder Haushalten. Es passiert überall auf der Welt und auch hier.

Viele von uns glaubten, dass die Sklaverei nicht mehr existiere. Wir sind mit den Geschichten aus dem späten 18. Jahrhundert aufgewachsen, von engagierten und um das Wohl ihrer Mitmenschen besorgten Menschen, viele von ihnen Christen, die hart für das Verbot der Sklaverei gekämpft hatten. Wir dachten, die Sklaverei sei ein Kampf, der nun für immer gewonnen wäre. Aber wir lagen falsch: Die Realität ist, dass in Gestalt des Menschenhandels die Sklaverei zwar nicht offiziell am Leben, aber faktisch am Aufblühen ist.

Mit großen Versprechungen gelockt

Der Menschenhandel ist etwas, worüber wir ungern nachdenken. Es gibt unzählige, Herz zerreißende Geschichten der Opfer: Unschuldige Mädchen, die betrogen werden, indem man ihnen zusagte, dass sie Verträge als Tänzerin im Ausland bekommen würden und die dann in einem ekelhaften Leben der Prostitution gefangen werden. Naive junge Männer, die nach ihrem Glück im Ausland suchen, aber von endloser Arbeit auf Feldern oder in Firmen erdrückt werden. Eltern, die glaubten, ihre Kinder hätten ihr Land verlassen, um Erfolg zu finden, aber nun voller Tränen bemerken, dass das Schlimmste passiert ist.

Lassen Sie mich an ihre Vorstellungskraft appellieren: Stellen Sie sich vor, wie es wäre, würde man komplett jemand anderem gehören, der nur daran interessiert ist, einen auszubeuten. Geben Sie sich selbst einen Namen – Natascha oder Paul – weil Sie eine echte Person sind. Stellen Sie sich vor, wie Sie sich fühlen, wenn Sie zur Arbeit gezwungen werden, bis der letzte Muskel weh tut, oder regelmäßig gedemütigt und sexuell missbraucht werden. Denken Sie daran, wie es sein muss, ständig von Ihrem Besitzer erniedrigt und gedemütigt zu werden. Halten Sie sich ein Leben vor Augen, das aus permanenter Angst, Mühsal und Armut besteht; Arbeit unter unmenschlichen, grausamen und gefährlichen Bedingungen.

Versuchen Sie, die Situation zu begreifen, in der all Ihre Bemühungen diejenigen bereichern, die Sie in ihrer Gewalt haben! Und wenn Sie darin scheitern, Ihren Ausbeutern das zu liefern, was sie wollen, werden Sie auf die Straße geworfen. Stellen Sie sich vor, Sie haben die grausame Gewissheit, dass es keinen Ausweg gibt: Das gibt Ihnen vielleicht einen Einblick in den Schmerz und die Verzweiflung derjenigen, die zu Opfern von Menschenhändlern wurden.

Menschenhandel ist eine Freveltat. Aber was das Ganze so schlimm macht, ist, dass es nicht nur ein paar wenige Menschen betrifft, sondern viele Menschen – entsetzliche viele. Es ist schwer, exakte Angaben über diesen Schwarzmarkt zu bekommen, der voller Anonymität, Geheimnissen und Bedrohungen steckt.

Bericht des US State Departments spricht von weltweit 27 Millionen Opfern

Außerdem gibt es Definitionsprobleme: Wie niedrig muss ein Lohn sein, bevor die Arbeit zur Sklaverei wird? Genauer gesagt wann wird Prostitution zur Prostitution, wenn die Not zur Wahl dazu zwingt? Selbst wenn die Genauigkeit fehlt, sind sich alle darin einig, dass der Menschenhandel ein großes  und globales Problem darstellt.

Der jüngste und zuverlässigste Bericht ist der Bericht 2013 der Beobachtungsstelle für Menschenhandel des US State Departments. Diesem entnehmen wir die entsetzliche Nachricht, dass zurzeit weltweit 27 Millionen Männer, Frauen und Kinder auf der Welt jederzeit Opfer von Menschenhandel sind. Umso schlimmer macht die Situation, dass die Autoren des Berichtes in der Lage waren, nur einen Teil des tatsächlichen Umfangs aller Betroffenen zu erfassen. Anders gesagt, kennen wir nur einen kleinen Teil dessen, was tatsächlich vor sich geht. Ähnliche Zahlen können auch in anderen Untersuchungen gefunden werden. Es gibt anschreckende Statistiken, wonach derzeit nahezu zwei Millionen Kinder sexuell ausgebeutet werden. Beim Menschenhandel geht es zu 80% um sexuellen Missbrauch. 80-84% der Betroffenen dieser grausamen Praxis sind Frauen.

Der Menschenhandel gilt weiterhin als sehr profitabel. Eine verbreitete und unumstrittene Einschätzung ist, dass der globale Menschenhandel rund 32 Milliarden Dollar jährlich einbringt – nur unwesentlich weniger als der Waffenhandel und der Drogenschmuggel. Leider ist auch relativ sicher, dass nur eine Handvoll Menschenhändler strafrechtlich verfolgt werden. Im Jahr 2010 haben z.B. 21 EU-Mitgliedstaaten es gerade mal hingekriegt, etwas über 1300 Personen unter dem dringenden Verdacht des Menschenhandels festzunehmen. Auf Grund des derzeit herrschenden wirtschaftlichen Klimas stehen sich Strafverfolgungsbehörden und Polizei unter Druck. Es ist außerordentlich aufwendig, die gut verflochtenen Strukturen über viele Länder hinweg zu identifizieren. Verschiedene Sprachen, multinationale Netzwerke und Opfer, die unfreiwillig aussagen, lassen oft andere Dinge Prioritäten gewinnen.

Die Hochburgen des Menschenhandels in Europa

Die Muster der Betroffenen sind ebenfalls ziemlich verschieden. Beispielhaft sei die Situation in drei Ländern erwähnt.

Griechenland: Wegen seiner europäischen Grenzlage und auf Grund der langen Landmassen und Seegrenzen gilt Griechenland als beliebter Einstiegspunkt für das Einschleusen der Opfer nach Europa. Haben es die Menschenhändler erst mal mit ihren Opfern nach Griechenland geschafft, ist es ziemlich einfach, sie in wohlhabendere Länder Westeuropas weiter zu verbringen. Menschen, die gehandelt werden, kommen über zwei mögliche Routen nach Griechenland: Die Route über den Balkan bringt die Menschen aus früher hinter dem Eisernen Vorhang gelegenen Ländern in den Norden, etwa aus Albanien, Bulgarien, Rumänien, Russland und der Ukraine. Die Route durch das östliche Mittelmeer wiederum bringt die Opfer aus der Türkei und dem Mittleren Osten. Einigen Einschätzungen nach dient Griechenland als Hintereingang für fast 90% der illegalen Einwanderung in die EU. Griechenland ist üblicherweise nur ein Zwischenstopp und kein Zielland für viele Händler. Viele Opfer bleiben trotzdem in Griechenland für Billigarbeit und zum Zwecke sexueller Ausbeutung.

Zypern: Zypern stellt ebenfalls für Menschen aus dem früheren Sowjetblock, dem Mittleren Osten und dem Rest der Welt einen oft genutzten Eintrittspunkt in die EU dar. Auch gilt Zypern schon eher als Endhaltestelle für Menschenhändler als Griechenland. Als eine Urlaubsinsel und ein Ort mit Wohnanlagen wohlhabender Auswanderer aus Osteuropa und Russland bietet das Land großen Spielraum auf dem Arbeitsmarkt für die Opfer des Menschenhandels, etwa im Bereich handwerklicher Schwarzarbeit oder bei der Prostitution. Der Menschenhandel in Zypern scheint im Anstieg begriffen zu sein, was dazu geführt hat, dass das Land durch das US State Department auf die List der beobachteten Länder mit aufgenommen wurde – übrigens als einziges EU-Land.

Auf Grund der sehr traditionellen zyprischen Kultur, in welcher Stolz und Schande eine große Rolle spielen, ist es auch schwer, Prostitution aufzuspüren, weil diese im Verborgenen stattfinden muss. Nachdem jahrelang eine große Anzahl an Frauen als „Künstlerinnen“ für Cabaret Clubs importiert worden waren, die oft mehr einem Bordell entsprachen, wurden Gesetze verabschiedet, die dazu führten, dass Prostitution auf eine unüberschaubare Anzahl inoffizieller und über Empfehlung bekannt gemachter Veranstaltungsorte verteilt neu entstand. Ein neues und wachsendes Problem stellen zudem die jungen Leute dar, die nach Zypern kommen, um dort zu studieren. Auf sie kommen oft unerwartete Kosten zu und münden in den Versuch, durch Prostitution ihre Schulden zu bezahlen.

Vereinigtes Königreich: Sie werden nun bedenken, dass das Vereinigte Königreich mit seiner glorreichen Geschichte des Kampfes gegen Sklaverei weit entfernt vom Vorwurf des Menschenhandels liegen würde. Leider ist das UK jedoch Ziel zahlreicher Menschenhändler und ihrer Opfer. Die Zahlen sind schwer abzuschätzen. Es wird davon ausgegangen, dass sich mehr als 5000 Opfer von Menschenhandel im Vereinigten Königreich aufhalten. Unzweifelhaft gibt es eine große Anzahl an Menschen aus Osteuropa, die in der Prostitution, in der Gastronomie und im landwirtschaftlichen Sektor tätig sind bzw. durch Betteln ihren Lebensunterhalt bestreiten. Wie viele von ihnen tatsächlich Opfer von Menschenhandel geworden sind, ist unklar.

Strenge Einwanderungs- und Sozialgesetze schaden Betroffenen

Einige Autoritäten behaupten, dass der Handel in nach GB tatsächlich ansteigt und trotz all seiner Tugenden das komplexe und unhandliche britische Rechtssystem sich nicht ausreichend mit der komplexen Thematik des Menschenhandels auseinandersetzt. Auch einige Gesetzesänderungen der Regierung aus der letzten Zeit haben eine negative Auswirkung auf die Opfer. Beispielsweise kann Rechtshilfe nur noch bezogen werden, wenn sich die Betroffenen zuvor seit mindestens zwölf Monaten legal in GB aufhalten. So werden von vornherein viele Opfer vom sozialen Schutz ausgeschlossen. Außerdem ist billige ausländische Arbeitskraft in Zeiten der Rezession gut für die Wirtschaft, da sie die Kosten gering hält.

Das Schreckliche ist, dass der Menschenhandel in verschiedenen Formen überall existiert. Selbst einige Menschen, die wir in unserer Stadt treffen, können Betroffene sein. Was können wir dagegen tun? Ich bin der Meinung, dass die zwei größten Verbündeten des Handels Ignoranz und Stille sind. Menschenhandel ist eine heimliche Straftat, eine stille Gewalttat, die im Verborgenen begangen wird. Der Definition nach sind dessen Opfer Männer, Frauen und Kinder, die nicht unser Fleisch und Blut sind. Wir haben die einfachere Variante gewählt, indem wir ignorieren und „die Straßenseite wechseln“.

Und wenn wir doch Verdacht schöpfen, ist es einladender, weiterhin zu schweigen. Denn eine Aussprach könnte uns in Zugzwang setzen, sodass wir agieren müssen. Aber ich erinnere gerne noch einmal an die Parabel des Guten Samariters (Lukas 10:25-37), wo zwei jener Leute, die an dem Opfer vorbeigehen, anständig sind und – leider religiös. Es ist einfach, durch genug Moral Böses zu verhindern, aber sie reicht oft nicht aus, um etwas dagegen tun zu wollen. Wir müssen Ignoranz und Schweigen verhindern, wir müssen nach den Fakten suchen, über sie reden und etwas tun. Im Herzen des christlichen Glaubens steht ein Gott, der weder das Böse in der Welt ignoriert, noch Menschen verdammt, sondern die Welt rettet. Nach christlicher Erzählung führte ihn dies bis ans Kreuz. Diese teure Intervention ist aber das Modell, das wir im Kopf behalten müssen, wenn wir Opfer des Menschenhandels sehen. Gott ist ein rettender Gott, wir sollten uns nicht mit weniger begnügen!

Autoreninfo: Canon J. John schreibt auf „The Huffington Post“. Der obige Artikel erschien dort am 22.01.2014 unter dem Titel „Slavery Returns: The Curse of Trafficking“.