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Politik

Merkel duldet „Genozid“-Begriff: Davutoğlu interveniert, Özdemir kritisiert

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Unmittelbar vor dem 100. Jahrestag der Massenvertreibung der Armenier im Osmanischen Reich hat sich Berlin klar positioniert. Davutoğlu sorgt für wachsende diplomatische Verstimmungen.

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Unmittelbar vor dem 100. Jahrestag der Massenvertreibung der Armenier im Osmanischen Reich nehmen die politischen Spannungen rund um die Bezeichnung der Ereignisse zu. Berlin hat sich in dieser Angelegenheit mittlerweile klar positioniert. Bundespräsident Joachim Gauck nimmt am Donnerstag (19.15 Uhr) an einem ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom zum Gedenken an die Gräueltaten an den Armeniern vor 100 Jahren teil. Die christlichen Kirchen bezeichnen die Ereignisse des damaligen Osmanischen Reiches ausdrücklich als „Völkermord“. Es wird erwartet, dass auch der Bundespräsident diese Bewertung übernimmt.

Am Freitag befasst sich dann auch der Bundestag mit dem Thema. Nach langem Hin und Her haben sich auch die Koalitionsfraktionen von Union und SPD auf einen Antrag verständigt, der die Ereignisse zum ersten Mal ebenfalls als Völkermord einstuft. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstützt dies. Bisher hatte sie ebenso wie der Bundestag diese Wortwahl aus Rücksicht auf den Nato-Partner Türkei vermieden. Auch im ersten Entwurf für den Antragstext fehlte der Begriff Völkermord.

Als Reaktion auf die Positionierung der Bundesregierung rief der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu am Dienstag Abend Bundeskanzlerin Merkel an, um gegen die Erklärung im Bundestag zu intervenieren. Einem Bericht der „Welt“ zufolge argumentierte Davutoğlu dabei, die Verwendung des Begriffes „Völkermord“ für die Gräueltaten an den armenischen Einwohnern des Osmanischen Reiches im Jahr 1915 sei rechtlich nicht zulässig. Als Begründung gab er demnach an, dass der Terminus „Völkermord“ erst nach dem Zweiten Weltkrieg ins Völkerrecht aufgenommen wurde und rückwirkend nicht anwendbar sei.“

Davutoğlu interveniert, Özdemir kritisiert

Grünen-Chef Cem Özdemir forderte unterdessen die Bundesregierung zu einer Entschuldigung für die deutsche Mitverantwortung an dem Verbrechen auf. „Sie sollte sich dafür entschuldigen, dass der Rechtsvorgänger – das Deutsche Kaiserreich – damals untätig geblieben ist“, sagte Özdemir der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul. Aus Dokumenten im Auswärtigen Amt in Berlin gehe eindeutig hervor, dass das Kaiserreich nicht nur von den Massakern gewusst, sondern sie „bewusst vertuscht“ habe.

Özdemir kritisierte, zwar „erlaubt“ die Bundesregierung den Parlamentariern der Regierungsfraktionen, von Genozid zu sprechen, aber: „Sie selber meidet den Begriff des Völkermords hartnäckig.“ Özdemir führte das auf falsche Rücksichtnahme von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zurück. Der Grünen-Chef nahm am Mittwochabend in Istanbul an einer Gedenkveranstaltung zu den Massakern an den Armeniern teil.

Strittige Passagen im Entwurf der Koalitionsfraktionen

Die Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs lehnt die Einstufung der Ereignisse von 1915 als Völkermord strikt ab und betont, dass es zu dieser Zeit zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen armenischen Aufständischen und osmanischen Truppen mit Opfern auf beiden Seiten gekommen sei. Die armenische Regierung hingegen geht davon aus, dass damals 1,5 Millionen Menschen bei Deportationen und Massakern umkamen.

Hier die Passagen im Entwurf der Koalitionsfraktionen des deutschen Bundestages, welche die Ereignisse von 1915 als „Völkermord“ beziehungsweise „Genozid“ einstufen:

„Ihr (der Armenier) Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist. Dabei wissen wir um die Einzigartigkeit des Holocaust, für den Deutschland Schuld und Verantwortung trägt.“

Zuvor heißt es: „Ebenso waren Angehörige anderer christlicher Volksgruppen, insbesondere aramäisch/assyrische und chaldäische Christen von Deportationen und Massakern betroffen.“ (dpa/dtj)