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Politik

Merkel verrät EU-Werte und schadet der Türkei

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Angela Merkel verhandelt mit der Türkei über die Flüchtlingsfrage und sieht über Demokratiedefizite und autokratische Tendenzen Erdoğans hinweg. Damit sind nicht alle Türken einverstanden.

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Der Politikwissenschaftler Dr. Savaş Genç zeigt sich enttäuscht vom Türkeibesuch der Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Genç erklärte gegenüber DTJ, dass die Verlierer des Handels „Geld gegen Stopp des Flüchtlingsstroms“ die Demokraten und demokratische Werte seien: „Wenn die deutsche Kanzlerin glaubt, mit Geldzahlungen das Flüchtlingsproblem in den Griff zu bekommen, dann irrt sie sich. Deutschland und die EU wollen die Türkei als ein billiges Flüchtlingsland nutzen. Sie erklären somit ihren eigenen Werten den Krieg. Die Türkei geht auf das Geschäft ein, weil sie hofft, dadurch die in den vergangenen Jahren verloren gegangene internationale Anerkennung wiederzuerlangen.“

Merkel hatte am Sonntag in der Türkei – zwei Wochen vor den dortigen Parlamentswahlen – mit Interims-Regierungschef Ahmet Davutoğlu und Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan Gespräche geführt. Als Gegenleistung für Hilfe bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise hatte die Kanzlerin Finanzmittel und eine erleichterte Einreise von Türken in die EU in Aussicht gestellt. Im Gegenzug erwartet Merkel von Ankara die schnellere Einführung eines Rückübernahmeabkommens für Flüchtlinge und Migranten. Gespräche mit der Opposition und Vertretern der Zivilgesellschaft standen nicht auf dem Programm.

Zur anberaumten Pressekonferenz wurden weder Fragen noch Journalisten aus den regierungskritischen Medien zugelassen. Der Zaman-Kolumnist und Brüssel-Korrespondent Selçuk Gültaşlı schreibt dazu: „Merkels Türkeibesuch steht im Widerspruch zu eigenen und europäischen Werten. Für sie war es kein Problem, dass mehrere Journalisten an der gemeinsamen Pressekonferenz mit Davutoğlu nicht teilnehmen durften. Auch warnende Stimmen, die Reise auf die Zeit nach dem 1. November zu verlegen oder neben Davutoğlu auch mit Vertretern der Opposition zu sprechen, hat sie ignoriert.“

Wie hatte Merkel die Gezi-Proteste kommentiert?

Noch vor zwei Jahren hatte Merkel die damalige Erdoğan-Regierung scharf wegen ihres Vorgehens bei den Gezi-Protesten kritisiert. „Das, was im Augenblick in der Türkei passiert, das entspricht aus meiner Sicht nicht unseren Vorstellungen von Freiheit der Demonstration, Freiheit der Meinungsäußerung“, hatte sie damals RTL gesagt.

In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Lage in der Türkei verschlechtert. Viele Journalisten sind wegen Beleidigung des Präsidenten angeklagt, Erdoğan bekämpft Gegner mittels Sondergerichten, Wahlergebnisse werden infragegestellt, der Terror ist wieder aufgeflammt und die Lösung der sogenannten Kurdenfrage ist in weite Ferne gerückt. Erdoğan setzt auf die harte Hand und Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit außer Kraft. All das kümmert die Kanzlerin wenig – wenn sie bei Erdoğan ein Anliegen hat. Genauso wie sie aus innenpolitischem Kalkül die EU-Mitgliedschaft der Türkei verhindert hat, geht sie mit Erdoğan ein Geschäft ein – aus demselben Kalkül heraus. Aber das nutzt der Türkei nicht.

Denn sie steht mit ihrer Flüchtlingspolitik unter dem Druck der eigenen Partei. Dass die Flüchtlingsfrage eine wichtige innenpolitische Herausforderung für Merkel darstellt, sieht auch Dr. Genç ein: „In Deutschland ist das Flüchtlingsthema nach der Wirtschaftslage das zweitwichtigste Thema, welches die Menschen beschäftigt. Die EU und Deutschland haben in der Flüchtlingsfrage die Türkei lange allein gelassen. Das Land musste über Jahre hinweg alleine mit dem Problem fertig werden und hat hier vorbildliche Arbeit geleistet. Europa hat das Thema erst ernst genommen, als es selbst direkt davon betroffen war. Jetzt will es es mit Geldzahlungen an die Türkei in den Griff bekommen und guckt dabei weg, wenn in der Türkei Grundrechte beschnitten werden. Das ist der falsche Weg.“