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DTJ-Blog

Merkels „steiniger Weg“ in der Flüchtlingskrise

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„Wir schaffen das!“, ist das Motto unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise. Ein steiniger Weg auch im Jahr 2016.

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Inwiefern wird die Gesellschaft durch die Flüchtlingsdebatte polarisiert?

Das Flüchtlingsdrama hält die Menschen in Atem und es vergeht kaum ein Tag, an dem wir keinen Bericht darüber lesen. Seit Jahrzehnten beschäftigen sich Wissenschaftler mit der Zuwanderung und ihren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Ängste, Sorgen, Vorurteile bestimmen viele Debatten über die Flüchtlingskrise und mit dem starken Zustrom der Menschen wurde der gesellschaftliche Status Quo verändert. Die Gesellschaft ist besonders nach den Terroranschlägen in Paris polarisiert wie nie zuvor. Längst steht fest, dass Deutschland nicht mehr so sein wird, wie es einmal war.

Während auf der einen Seite der Gesellschaft freiwillige Ärzte, Lehrer und ehrenamtliche Helfer Flüchtlinge unterstützen und eine daraus resultierende verklärte Willkommenskultur herrscht, verbreiten sich auf der anderen Seite der Bevölkerung Ängste, Ressentiments oder gar dumpfer Fremdenhass, beispielsweise in Form von nationalistischen Parolen. Viele der Kritiker fragen sich, wie viel Fremdheit unser Land verträgt und befürchten ferner, dass die Bundeskanzlerin unser Land aufs Spiel setzt und Deutschland sich abschafft, wie Thilo Sarrazin das vor fünf Jahren formuliert hat.

Merkel: „Wir schaffen das!“

Das ist das Motto von Angela Merkel auf ihrem steinigen Weg in der Flüchtlingskrise und wird seither immer wieder von ihr bekräftigt. Sie klingt selbstbewusst und zukunftsgewandt. Eine Kanzlerin, die ins Risiko geht. Die kämpft. Sie hat die Kompetenzen an sich gezogen und hat dieses Thema zu ihrem gemacht und führt Deutschland in der Flüchtlingspolitik, auch gegen massive Widerstände in ihrer Partei und in Teilen der Bevölkerung. Das ist das politische Glaubensbekenntnis einer Frau, die wie kaum ein anderer deutscher Regierungschef vor ihr schon vieles und viele geschafft hat. Die Bundeskanzlerin will durch eine Kontingentlösung den Flüchtlingsstrom in den Griff bekommen.

Einer Umfrage der ZDF zufolge bewerten 52 Prozent der Deutschen die Arbeit von Merkel in der Flüchtlingspolitik aber als eher schlecht und vertreten die Ansicht, Deutschland könne die vielen Flüchtlinge nicht verkraften.

Die Bundeskanzlerin verkündet: „Wir schaffen das!“ Aber werden wir das wirklich? Wird es ihr tatsächlich gelingen, die Flüchtlingskrise zu meistern? Genau darum geht es aktuell in der Flüchtlingsdebatte. Was bedeutet das vor allem für die Bevölkerung und wie wird sie es in ihrem Alltag zu spüren bekommen? Welche Folgen wird dies für die Politik, Gesellschaft und Wirtschaft haben? Kann Deutschland in der Flüchtlingskrise aus den Fehlern der Gastarbeiterpolitik lernen?

„Wir riefen Arbeitskräfte, aber es kamen Menschen“

Die Industrie der Bundesrepublik hatte zu Beginn der 60er Jahre einen hohen Arbeitskräftebedarf, der durch die einheimische Bevölkerung nicht abgedeckt werden konnte. Die so genannten Gastarbeiter sollten nur für eine begrenzte Zeit in Deutschland bleiben und die Lücken auf dem Arbeitsmarkt kurzfristig schließen. Die Gastarbeiter hatten auch nie beabsichtigt länger zu bleiben; geplant war, gutes Geld zu verdienen und danach wieder in die Heimat zurückzukehren. Deshalb waren sie nichts weiter als benötigte Arbeitskräfte, deren Kultur und Lebensumstände keine weitere Beachtung fand. Die Zuwanderung ist ein Teil der Geschichte dieses Landes, der aber bei manchen leider noch nicht ganz im Bewusstsein angekommen ist.

Der fundamentale Denkfehler damals war, davon auszugehen, dass die meisten Zugewanderten das Land wieder verlassen würden. Genau das war der Fehler! Die Frage ist jetzt aber, wie man es schafft, diesen Fehler aus früheren Zeiten nicht noch einmal in der Flüchtlingspolitik zu begehen.

Damals wie heute gilt: Viele der Zuwanderer werden in unserer Gesellschaft einen Platz beanspruchen und werden hier bleiben. Deshalb kann die Regierung in der heutigen Diskussion um die Integration von Flüchtlingen aus den Erfahrungen mit den Gastarbeitern vor 60 Jahren und deren Familien nur lernen.

Fluchtmigration ist selbstverständlich etwas anderes als Arbeitsmigration. Aus diesem Grunde kann die Situation der Flüchtlinge nur indirekt mit denen der Gastarbeiter verglichen werden. Dennoch steht eines fest: Die Vorstellung von einem besseren Leben und einer Zukunft in Sicherheit führt die Flüchtlinge heute und führte die Gastarbeiter damals in ein zunächst völlig unbekanntes und fremdes Land.

Die Folgen der Gastarbeiterpolitik hat in den späteren Jahren tiefe Spuren in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik hinterlassen. Der Schriftsteller Max Frisch brachte es auf den Punkt und sagte: „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen“ – das heißt, dass man sich nicht nur die Arbeitskraft eines Menschen ins Land holen kann, sondern auch seine Persönlichkeit, seine Bedürfnisse, seine Werte und seine Kultur. Darauf basierend wird in Deutschland immer noch über Parallelgesellschaften, Integration und Segregation debattiert.

Bei der Gastarbeiterpolitik gab es damals keine Konzepte und auch wurde weder etwas für eine wirkliche Integration getan, noch hat man sich für die Bildung und Sprachförderung der Gastarbeiter und ihrer Familien bemüht. Stattdessen wurden die Kinder der Zugewanderten in separate Klassen eingeteilt und in ihrer Muttersprache unterrichtet. Infolgedessen sind sowohl die Gastarbeiter als auch deren Kinder eine verlorene Generation, die Sprachdefizite im Deutschen haben – denn eine Sprache ist der Schlüssel zum Erfolg. Die Frage nach einer möglichen Integration bleibt also unbeantwortet.

Integration findet dort statt, wo Menschen zusammen leben

Integration muss von unten beginnen, wo der Schuh drückt. Das heißt vor Ort, direkt bei den örtlichen Kommunen. Besonders sollte in Integrationskurse investiert werden. Denn hier verbessern Zuwanderer nicht nur ihr Deutsch, sondern lernen auch etwas über die deutsche Geschichte, Kultur und Rechtsordnung. Hilfsbedürftigen Menschen so gut wie möglich Schutz und eine sichere Zukunft zu bieten muss jetzt Ziel allen staatlichen Handels sein. Damit Migration zu einer Erfolgsgeschichte wird, muss die Regierung für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen. Das wurde viel zu lange vernachlässigt.

Deshalb müssen wir Zuwanderern und ihren Familien von Beginn an eine langfristige Perspektive in unserem Land bieten und die Fehler der Gastarbeiterpolitik korrigieren. Sonst werden Ausländer nie zu Inländern, die sich als gleichgestellten Teil der Gesellschaft verstehen und sich hier auch einbringen und wohlfühlen. Fundamental dafür ist insbesondere ein Bildungssystem, das die Kinder nicht nach ihrer ethnischen und sozialen Herkunft segregiert, sondern allen gleiche Bildungschancen bietet. Nicht Deutschland ist in Not, die Flüchtlinge sind es, die aus Angst vor dem Tod ihr Land verlassen. Nicht der deutsche Rechtsstaat ist bedroht und ebenso wenig ist es unsere Sicherheit.

Bumerangeffekt in der Flüchtlingskrise

Merkel, Flüchtlingskrise, Integration, GastarbeiterpolitikWie verhindern wir, dass noch mehr Menschen auf der Flucht nach Europa sterben? Wer beziehungsweise welche Länder haben direkt oder indirekt wegen ihrer Interessen Millionen von Menschen dazu gebracht, aus Verzweiflung und Angst vor dem Tod, ihr Heimatland zu verlassen?

Um eine langfristige Lösung für die Menschen aus Syrien zu finden, soll die Problemlösung der Flüchtlingskrise nicht nur in Deutschland und in Europa, sondern dort gesucht werden, wo sie entsteht, nämlich in Syrien. Denn wie das Sprichwort sagt: „der Fisch stinkt vom Kopfe“.

Solange wir, als westliche Länder also nicht dafür sorgen, dass Syrien ein friedliches Land wird, werden uns weiterhin die Folgen des Syrienkrieges wie ein Bumerang treffen. Konkreter ausgedrückt, was im Syrienkonflikt gesät wird, werden sowohl Europa als auch die Nachbarländer Syriens ernten. (Foto: dpa)