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Politik

„Mevlana der Wissenschaft“: Als Frau hat man es sowohl in den USA als auch in der Türkei schwer

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Die türkische Physikerin Canan Dağdeviren hat es geschafft: Sie forscht an der international renommierten Elite-Uni MIT. In einem Interview erzählt sie von den Schwierigkeiten einer weiblichen Wissenschaftlerin in der Türkei und den USA.

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Mit ihrer Forschung hat die Dozentin Canan Dağdeviren zahlreichen Krebskranken und Patienten mit Herzproblemen das Leben einen Tick erleichtert. Diesen wissenschaftlichen Erfolgen am „Massachusetts Institute of Technology“ (MIT), einer der international führenden Elite-Universitäten, hat die junge Türkin ihren Beinamen „Mevlana der Wissenschaft“ zu verdanken. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin, die als erste Türkin zum Junior Fellow der Universität Harvard ernannt wurde, sprach in einem Interview mit der Hürriyet-Journalistin Cansu Çamlıbel über die Probleme, die sie in der Türkei zu bewältigen hatte und welche Schwierigkeiten sie auch in den USA zu bewältigen hat.

Vor allem, dass sie in der Türkei zu viel Zeit damit verliere, andere Leute von der Notwendigkeit ihrer Arbeit zu überzeugen, sieht sie als großes Problem. Die bürokratischen Hürden stünden ihr im Weg und führten in der so wertvollen Forschungsarbeit zu enormen Verzögerungen. „In der Türkei könnte ich dieselben Ergebnisse erzielen. Alle Materialien und Utensilien habe ich auch da zur Verfügung. Aber die Geisteshaltung fehlt“, so die Wissenschaftlerin.

Marie Curies Ehemann als Impulsgeber

Die talentierte Wissenschaftlerin, die bereits im jungen Alter von 30 Jahren eine renommierte Größe in ihrem Forschungsfeld ist, erzählt, dass ihr Vater ihr ein Buch über Marie Curie schenkte, als sie fünf Jahre alt war. Marie Curie ist bis heute die einzige Frau, die zwei Nobel-Preise erhielt. Doch entgegen der Erwartungen war es laut Dağdeviren deren Ehemann Pierre Curie, der sie inspirierte. Ohne jegliche wissenschaftliche Grundausbildung hatte er 1880 gemeinsam mit seinem Bruder Jaques die Piezoelektrizität entdeckt. Als direkten Piezoeffekt bezeichnet man das Auftreten einer elektrischen Spannung bei der elastischen Verformung von Festkörpern. Für Dağdeviren war das eine Inspiration, nach dem Lesen stand für sie fest: Sie hatte sich der Physik verschrieben. Auch wenn ihr viele Verwandte von der Physik abgeraten haben, hat sie selbst nie an ihrer Entscheidung gezweifelt.

Inspiriert von der Piezoelektrizität habe sie der frühe Tod ihres Großvaters angespornt. Dağdeviren erzählt von ihrem ersten großen Erfindungstraum, den sie auch verwirklichen konnte: „Ich erfuhr, dass mein Großvater mit nur 28 Jahren an Herzversagen verstorben war. Deshalb wollte ich noch vor meinem 28. Lebensjahr etwas erfinden, mit dem ich solchen Herzpatienten behilflich sein kann. Durch die Anwendung der Piezoelektrizität habe ich eine anziehbare Herzbatterie entwickelt.”

Das besondere, bahnbrechende an Dağdevirens Herzbatterie ist, dass es sich um eine selbstaufladende Batterie handelt, die nicht mehr erneuert werden muss. Mit ihr schafft es ein krankes Herz, selbstständig Energie zu erzeugen.

Als Frau ein Problem sowohl in der Türkei als auch in den USA

Als Dağdeviren 2010 von der Universität Illinois einen Preis in Höhe von 10.000 Dollar erhalten, wurd sie von einem Kollegen chauvinistisch angefahren. Sie wäre von ihrem Mentor bevorzugt worden, weil sie eine Frau ist und sonst heulen würde. Sie antwortet unerwartet schlagfertig und bot ihrem Kollegen an, ihm von dem Preisgeld eine Geschlechtsumwandlung zu spendieren. Das sei das letzte Mal gewesen, dass er so mit ihr redete. Laut eigener Aussage war Dağdeviren sehr überrascht zu sehen, dass Frauen allem Anschein nach auch in den USA diskriminiert werden. Für die türkische Wissenschaftlerin sogar im gleichen Ausmaß wie in der Türkei. „Darüber war ich schon sehr überrascht, aber auch in den USA ist es wohl nicht einfach, eine Frau zu sein.”

Dağdeviren sieht die Frauen aber in der Lage, diesen Zustand zu verändern. Zunächst seien sie sehr gut in der Lage, sich auf Dinge zu konzentrieren. „Außerdem sind Frauen ausgesprochen vielseitig. Sie sind zu Hause Mutter, bei der Arbeit sind sie tatkräftig. Sie tragen die Verantwortung, einiges auf einmal zu meistern.” In den USA verdienen Männer in der Regel mindestens 10 Prozent mehr als Frauen. Sie habe deshalb bei den jüngsten Verhandlungen mit dem MIT eine einzige Voraussetzung gestellt: Dass sie nicht einen einzigen Dollar weniger verdienen möchte als die Herren in der Kollegschaft. Dieser Forderung sei man gerne nachgekommen.

Die Stellung der türkischen Frauen betrachtet die erfolgreiche Physikerin als rückschrittlich. Ohne die Frauen in der türkischen Gesellschaft verschwinde mehr als die Hälfte des nationalen Potentials. „Wir alle kommen durch Geburt auf die Welt. Die Menschen zu gruppieren, ist falsch. Die beste Methode ist es, wenn man Menschen mit ihren Unterschieden zusammenbringt.” Dağdeviren betont den Vorschuss, den Kinder haben, deren Mütter anständig ausgebildet sind: „Das Kind einer gut gebildeten Mutter zu sein, heißt für es, drei Schritte voraus zu sein.”

In kurzer Zeit möglichst viel tun

Zur Anfangszeit habe sie an allen möglichen internationalen Konferenzen teilgenommen, ohne dabei zwischen den Bereich Chemie, Physik, Biologie und Ingenieurswesen zu unterscheiden. Irgendwann habe ihr dann ein Professor gesagt: „Canan, du weisst noch gar nicht, was du machen möchtest. Du kümmerst dich um unterschiedlichste Dinge und kannst dich nicht auf etwas bestimmtes festlegen.” Darauf habe sie geantwortet: „Genau das möchte ich tun: Etwas, das alle Bereiche umfasst, und etwas, das es nicht gibt. Dieses etwas, das es nicht gibt, möchte ich tun, in dem ich Informationen aus unterschiedlichsten Bereichen sammle.” Zufrieden sei der Professor mit dieser Antwort nicht gewesen und habe ihr entgegnet „Aus dir wird keine Physikerin.” Das stimme zwar, sagt die engagierte Wissenschaftlerin. Sie wisse aber, dass Menschen nur für eine kurze Zeit auf der Welt leben würden und deshalb versuche sie, möglichst viel Nützliches zu tun.

Kann sie sich vorstellen, ihre Arbeit bald in der Türkei fortzusetzen? „Warum nicht?”, entgegnet sie. Es herrsche zwar ein ganz anderes Klima dort. So könnten beispielsweise Menschen unterschiedlicher Gesinnungen kaum zusammenarbeiten. Dennoch habe sie Ambitionen, bald wieder in der Türkei arbeiten zu können. An technischen Voraussetzungen mangele es schließlich nicht.