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Gesellschaft

Michael Blume: „Verschwörer rauben den Menschen Zeit und Geld“

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Für den Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume sind Verschwörungstheorien keine Theorien, sondern Mythen. Im DTJ-Gespräch erklärt er, warum.

DTJ: Herr Blume, gibt es einen Staat, Gruppen oder Familien, die die Geschehnisse auf der Welt kontrollieren?

Michael Blume: Zumindest unter den Menschen gibt es das selbstverständlich nicht. Wir Menschen sind in unseren Fähigkeiten beschränkt und haben viele Widersprüche, sodass wir sowohl Gutes als auch Böses in uns tragen. Die Vorstellung, dass eine Menschengruppe Jahrhunderte lang alles kontrollieren kann, ist nicht wissenschaftlich.

Es müssen ja nicht Jahrhunderte sein. Was ist mit kürzeren Zeiträumen?

Selbstverständlich gibt es immer wieder Verschwörungen und illegale Absprachen zu Lasten Dritter. Die Tabakindustrie hat es beispielsweise sehr lange geschafft, wissenschaftliche Studien klein zu halten, die belegt haben, dass Rauchen schadet. Es gibt auch Allianzen in der Bürokratie, wo gewisse Kreise sich mit der Rüstungsindustrie verbünden. Das kann man alles wissenschaftlich erforschen und diskutieren.

Was spricht dagegen, dass diese Bündnisse nicht von längerer Dauer sind und auffliegen?

Wir können das anhand eines konkreten Beispiels verdeutlichen. Es gibt unzählige Faktoren, die eine Wahl beeinflussen können. Wie entwickelt sich die Weltwirtschaft? Was wird in den Medien vorkommen? Gibt es eine Katastrophe? Wie ist es mit der Gesundheit? Wie ist das Wetter? All das beeinflusst zum Beispiel den Umstand, wer überhaupt wählen geht und wie die Wahlen ausfallen. In der Demoskopie arbeitet eine Legion von Wissenschaftlern und auch die kann nicht mal einen Monat vorher exakt voraussagen, wie die Wahlen ausgehen werden. Wenn da jemand kommt und sagt: Da gibt es diese eine Familie oder diese eine Gruppe, die alles vorausberechnet und alles kontrolliert, dann muss ich sagen, dass das wissenschaftlich unmöglich ist.

Auch nicht, wenn diese Menschen unendlich viel Geld und Ressourcen haben?

Bill Gates ist ja ein Paradebeispiel dafür. Der Multimilliardär hat mit seiner Frau Melinda eine Stiftung gegründet und warnt uns seit Jahren vor einer Pandemie. Ist es ihm gelungen, die Politik oder die Medien so darauf vorzubereiten, wie man sich es wünschen würde? Nein. Das hat auch in der Geschichte niemals funktioniert. Der Papst mit der katholischen Kirche oder die Osmanen mit dem Kalifat haben es auch nicht geschafft, alle Prozesse der Erde zu kontrollieren. Deswegen spreche ich bei diesen Vorstellungen auch nicht von Theorien, sondern Mythen. Ich kann glauben, dass ein Gott alles beherrscht. Das hat aber mit Wissenschaft nichts mehr zu tun.

Es ist sozusagen eine Religion.

Nicht einmal das. Verschwörungsglauben ist eine umgedrehte Form der Religion. In einer gewachsenen Religion lernen Menschen das Vertrauen in gute Mächte wie Gott und Engel. Im Verschwörungsglauben lernen sie hingegen, dass böse Mächte die Welt beherrschen. Je nach Konfession zählen dann manchmal Freimaurer und Juden zu diesem Bösen manchmal aber auch Muslime, Flüchtlinge, Journalisten und Wissenschaftler. Durch diese Anschuldigungen zerstören sie das friedliche Miteinander, weil sie glauben, dass Wissenschaft und Rechtsstaat nicht funktionieren können.

Wieso neigen Menschen dazu?

Ich habe meinen Doktor zu Religion und Gehirnforschung gemacht. Unser Gehirn ist darauf ausgerichtet, die Welt in kleinen Gruppen wahrzunehmen. In der Wissenschaft sagt man dazu Mesokosmos. Unsere Wahrnehmungsgrenzen liegen meistens zwischen 0,1 Millimeter und 30 km. Alles was kleiner oder größer ist, wird gerne mythologisiert.

Sind Menschen überfordert?

Ganz genau. Auf der einen Seite haben wir eine Explosion an Studien und wissenschaftlichen Erkenntnissen, auf der anderen das Gefühl der Überforderung. Dann zieht man sich natürlich in einfache Erklärungen zurück. Es ist einfacher zu sagen, das waren die Öl-Konzerne, als sich mit der Rentierstaatstheorie zu befassen. Wir sind eben Menschen. Alle haben Beschränkungen. Beispielsweise sollte sich keine Wissenschaftlerin oder kein Wissenschaftler zu schade sein, die eigene Arbeit verständlich zu erklären. Umgekehrt sollten sich Menschen für Wissenschaft interessieren.

Gibt es Menschengruppen, die diesen Mythen eher verfallen als andere?

Die autoritäre Persönlichkeit spielt eine große Rolle. Wenn Menschen in den ersten beiden Lebensjahrzehnten beigebracht wurde, dass die Welt böse ist und man außer der eigenen Gruppe niemandem trauen darf, dann ist der Mensch ein Leben lang leichter beeinflussbar. Wenn man hingegen in einer liebevollen Umgebung eine umfassende Bildung genießt, Menschen anderer Religionen und Kulturen kennenlernen darf, Vertrauen in Ärzte und Gelehrte hat, ist man besser gegen Verschwörungsglauben gewappnet.

Der islamistische Attentäter in Wien glaubte an Verschwörungen. Führen diese zu Extremismus?

Ich habe humanitäre Projekte in Irak geleitet. Dort gibt es Kurden, Türken, Araber, Sunniten, Schiiten, Religiöse und Säkulare. Viele werfen sich gegenseitig vor, Teil der vermeintlichen Weltverschwörung zu sein. Man sieht im Anderen den Verschwörer und dann bricht natürlich jeder Dialog und die Rechtsstaatlichkeit zusammen. Auch hier in Deutschland glauben viele junge Muslime an diese Verschwörungen. Doch auch der rechtsextreme Attentäter von Hanau hatte seine eigene Verschwörungswelt. Das ist also ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Dr. Michael Blume ist ein deutscher Religionswissenschaftler sowie Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus. Bis Juni 2020 war er zudem Referatsleiter für nichtchristliche Religionen im Staatsministerium Baden-Württemberg. Er schrieb unter anderem das Buch „Warum der Antisemitismus uns alle bedroht. Wie neue Medien alte Verschwörungsmythen befeuern“.

Wie erklären Sie sich dann, dass gerade Wissenschaftler und Ärzte, also gebildete Menschen, dermaßen an diese Verschwörungen glauben?

Der Begriff Bildung ist abgeleitet aus der Bibel. Der Mensch ist nach Gottes Ebenbild geschaffen. So heißt es in der Tora. Daraus entwickelte sich die Lehre, dass jeder Mensch ein Potenzial in sich trägt. Das soll ausgebildet werden. Über den deutschen Theologen Meister Eckhart kam dann dieser Begriff in die deutsche Sprache. Deswegen sprechen wir heute alle über den Begriff Bildung, haben aber teilweise keine Ahnung mehr, welche tiefen religiösen Wurzeln er hat. Wir sprechen nicht von Bildung, wenn Menschen nur die intellektuellen Fähigkeiten ausprägen, aber nicht ihr Herz. Der große jüdische Gelehrte Maimonides hatte davor gewarnt. Auch unter NS-Anhängern finden wir große Wissenschaftler, die gleichzeitig Antisemiten waren. Die meisten Teilnehmer der Wannseekonferenz, auf der die Ermordung von Jüdinnen und Juden bzw. Roma und Sinti beschlossen wurde, hatten einen Doktor-Titel. Das waren promovierte Juristen.

Die Stars der „Verschwörer-Szene“ machen ja auch viel Geld mit Verschwörungstheorien. Ist das jetzt zu einem Business geworden?

Das war’s wohl schon immer. Ich spreche sogar von Verschwörungsunternehmern. Sie sagen zum Beispiel, traut der Bank nicht, gebt mir euer Geld. Bei den sogenannten Querdenkern ist es auch üblich, dass man nicht um Spenden, sondern um Schenkungen bittet. Bei Spenden besteht ja eine Transparenzpflicht. Schenkungen hingegen müssen nicht belegt werden. Da fließen große Geldsummen. Viele investieren ihre Zeit und ihr Geld und kommen aus diesen Verschwörungssekten auch nicht wieder heraus.

Vielen Dank, Herr Blume!

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