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Kolumnen

Man sollte den CSU-„Vorschlag“ ignorieren, denn er zeugt von viel Unkenntnis

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Die CSU hat mit ihrer Forderung, dass Einwanderer auch zu Hause Deutsch sprechen sollten, eine Debatte losgetreten. Was ist von der Forderung zu halten? Was sagt die Wissenschaft dazu? (Foto: dpa)

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Auf dem CSU-Parteitag in Nürnberg ist ein Bildschirm mit der Aufschrift "Richtung geben" zu sehen.
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Die CSU hat mit ihrer Forderung, dass Einwanderer auch zu Hause deutsch sprechen sollten eine Debatte losgetreten. Was ist von der Forderung zu halten? Was sagt die Wissenschaft dazu? Wir haben mit der Mehrsprachigkeitsforscherin Prof. Rosemarie Tracy gesprochen. Sie hat zusammen mit Kollegen 2011 das Mannheimer Zentrum für Mehrsprachigkeitsforschung (MAZEM gGmbH) gegründet. Sie ist Autorin von Büchern, wie zum Beispiel „Wie Kinder Sprachen lernen. Und wie wir sie dabei unterstützen können“

Die CSU möchte, dass Einwanderer auch zu Hause Deutsch sprechen. Ist dieser Vorschlag realisierbar?

Man sollte diesen „Vorschlag“ ignorieren, denn er zeugt von viel Unkenntnis. Eltern sollten diejenige Sprache mit ihren Kindern sprechen, die sie selbst gut beherrschen und in der sie am liebsten kommunizieren. Wenn Vater und Mutter unterschiedliche Sprachen sprechen, der Vater beispielsweise deutsch, die Mutter türkisch, so kann ein Kind problemlos von Geburt an mit zwei Erstsprachen aufwachsen. Eine wichtige Voraussetzung für den Spracherwerb ist, dass mit Kindern von Geburt an möglichst intensiv, anregungsreich und idealerweise mit viel Spaß kommuniziert wird. Die Fähigkeit zum Spracherwerb ist Menschen angeboren, aber sie brauchen Vorbilder, an denen sie sich orientieren können.

Und Vorbilder sind gerade bis zum Schulalter die Eltern. Wie sollen sie sich verhalten?

Eltern, die selbst nicht gut deutsch sprechen, sollten sich nicht dazu zwingen, deutsch zu sprechen. Wenn sie es gut können, spricht natürlich nichts dagegen, dass sie neben ihren Herkunftssprachen auch Deutsch in der Familie sprechen. Wünschenswert ist natürlich, dass zugewanderte Eltern die Sprache ihrer neuen Umgebung lernen, damit sie möglichst gut und selbstbewusst kommunizieren können: mit Ärzten, Behörden, Erzieherinnen, Lehrern, Nachbarn, die vielleicht selbst zugewandert sind. Damit sind sie auch, was das Lernen „an sich“ und das Lernen von Sprachen angeht, ein gutes Vorbild für ihre Kinder. Sie zeigen damit auch, dass es ihnen wichtig ist, in der Sprache des Landes, dessen Bürger und Bürgerinnen sie sind, kommunizieren zu können.

Einerseits ist Mehrsprachigkeit eine Zusatzqualifikation, andererseits scheint eine unterschiedliche Muttersprache manchen ein Dorn im Auge zu sein. Woher rührt dieser Widerspruch?

Die Widersprüche sind schon eklatant. Einerseits wünscht sich Europa mehrsprachige Bürger und Bürgerinnen, die vielleicht gerade deswegen, weil sie neben den schulischen Prestigesprachen weitere Sprachen beherrschen, besonders gute Entwicklungs- und Arbeitschancen haben. Der Respekt, den sich die Europäische Union für die europäischen Sprachen wünscht, soll natürlich allen sprachlichen Ressourcen gelten, die in den Köpfen unserer Kinder bereits existieren, unabhängig vom Herkunftsland der Familie.

Ist das den Lehrern, deren Aufgabe es ist sprachliche Ressourcen zu fördern, bewusst? 

Den Schritt, die vorhandenen Kompetenzen der Kinder zu würdigen und als Sprungbrett zu nutzen, müssen viele Lehrer und Lehrerinnen noch vollziehen, und die Spracherwerbsforschung und die Sprachwissenschaft können ihnen dabei helfen.

Dieses Unbehagen mit der unterschiedlichen Muttersprache scheint etwas mit tiefen, irrationalen Ängsten zu tun zu haben. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ja, da ist viel Irrationalität dabei. Was man nicht kennt, was man nicht versteht, führt leicht zu Ängsten, aber auf allen Seiten. Stellen wir uns vor, wir würden zusammen nach China reisen und könnten weder Schilder lesen noch das, was man zu uns sagt, verstehen. Dann würden wir uns auch schnell hilflos fühlen. Das ist nur menschlich.

Wie sieht es mit Dialekten aus?

Man findet solches Unbehagen natürlich auch gegenüber Dialekten. In Berlin beschweren sich die Berliner über angeblich zu viele zugezogene Schwaben und Schwäbinnen, in der Schweiz beklagt man sich über die vielen Hochdeutsch sprechenden Menschen, die aus Deutschland zugezogen sind, um in der Schweiz zu arbeiten.

Wie kann mann diesen Ängsten entgegenwirken?

Indem man viel Aufklärungsarbeit leistet. Glücklicherweise ist vielen mittlerweile klar, dass Deutschland dringend zugewanderte Bürger und Bürgerinnen braucht.

Im normalen Leben findet eine Entwicklung statt und viele nutzen zu Hause ihre Muttersprache und im alltäglichen Leben draußen Deutsch als Verkehrs-Sprache als etwas sehr Selbstverständliches. Schürt der Vorstoß der CSU  nicht Ängste bei Einwanderern und stört sie nicht diese natürliche Entwicklung?

Es ist tatsächlich ganz normal, wenn mehrsprachige Menschen in Abhängigkeit vom Kontext, vom Thema oder den Gesprächspartnern von einer Sprache in die andere wechseln, auch wenn sie mitten in einer Äußerung „switchen“. In vielen Zuwandererfamilien werden ohnehin schon ganz selbstverständlich mehrere Sprachen, darunter auch das Deutsche, gesprochen. Von daher hat die Realität diesen vermeintlichen „Vorstoß“ der CSU längst überholt. Ich würde mir wünschen, dass sich Zuwandererfamilien durch solche politischen Empfehlungen oder Forderungen nicht ängstigen lassen sondern vielmehr darüber lachen und sich — vielleicht sogar auf Deutsch — selbstbewusst darüber lustig machen.

Manche beklagen bei Einwanderern mangelnde Muttersprachenkenntnisse, andere wiederum mangelnde Deutschkenntnisse. Wie sieht aus ihrer Sicht die Situation aus?  

Sprachen von Zuwanderern verändern sich durch den Kontakt mit den Sprachen der neuen Umgebung. Das Türkische, das in Deutschland oder in anderen europäischen Ländern gesprochen wird, unterscheidet sich bereits vom Türkischen der Regionen, aus denen die Menschen emigriert sind. Das ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht etwas ganz Natürliches und unvermeidlich. Man übernimmt auch sehr viel aus der neuen Umgebungssprache, z.B. aus dem Wortschatz. Dennoch können die Eltern ihren Kindern die Grundstrukturen ihrer Herkunftssprachen noch vermitteln und das Interesse ihrer Kinder an den Sprachen der Länder, in denen die Vorfahren gelebt haben, wach halten.

Brauchen Eltern also kein schlechtes Gewissen zu haben?

Nein, überhaupt nicht. Man sollte Eltern unbedingt ihr schlechtes Gewissen nehmen, weil sie nicht alle Innovationen im Wortschatz des Herkunftslands kennen. Auch wenn sie in der Türkei geblieben wären, hätten sie sicher in dem einen oder anderen Bereich lexikalische Lücken, die sich aber sehr leicht schließen lassen. Egal, wie es auf Dauer um die Kompetenz in den Herkunftssprachen bestellt ist, können Migranten und Migrantinnen sich das Deutsche oder weitere Sprachen ganz hervorragend aneignen.

Kleinkinder, die beispielsweise mit zwei Jahren in den Kindergarten geschickt werden benutzen eine Mischsprache. Ist das in Ordnung?  

Kinder, die von Geburt an mit zwei Erstsprachen aufwachsen, wissen früh, wahrscheinlich spätestens mit anderthalb Jahren, dass sie es mit unterschiedlichen Sprachen zu tun haben, insbesondere dann, wenn die Sprachen sich deutlich voneinander unterscheiden. Dennoch können auch doppelte Erstsprachlerner Phasen intensiver Sprachmischung durchlaufen. Das ist völlig harmlos. Kinder, die im Alter von zwei bis drei Jahren in einer Kita in intensiven Kontakt mit dem Deutschen kommen, wissen bereits von Anfang an, dass es sich um eine neue Sprache handelt, und man muss sich vor dauerhafter Sprachverwirrung nicht fürchten.

Wie können Eltern, die Wert auf Zweisprachigkeit legen ihre Kinder am besten fördern?

Indem sie sich für die Kommunikation in den Erstsprachen Zeit nehmen, gut hinhören, mit Spaß kommunizieren, möglichst vorlesen, Geschichten erzählen. Wenn Eltern selbst nicht gut Deutsch sprechen, sollten sie die Kinder früh in eine Kita gehen lassen, in der gut qualifizierte Erzieherinnen arbeiten. Eltern können ihren Kindern auch früh viel Kontakt mit gleichaltrigen deutschsprachigen Kindern ermöglichen. Sport- und Musikvereine und Stadtteilinitiativen sind hier ein guter Ansatzpunkt.

Ist der Mensch von Natur aus einsprachig? 

Der Mensch ist nicht auf Einsprachigkeit programmiert. Menschen sind hervorragende Sprachlerner, viele können auch noch in höherem Alter wunderbar neue Sprachen lernen. Mehrsprachigkeit ist weltweit Normalfall. Wir alle schreiben anders als wir sprechen, viele Menschen sprechen mehrere Dialekte, wir alle verfügen über verschiedene Stile. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht gibt es den einsprachigen Menschen eigentlich nicht. Eine Obergrenze kennen wir nicht. Man darf allerdings auch keine unrealistischen Erwartungen hegen, z.B. dass mehrsprachige Menschen alle ihre Sprachen auf gleichem Niveau bis ins letzte Detail beherrschen.

Literaturempfehlung:

Tracy, R. (2oo8). Wie Kinder Sprachen lernen. Und wie wir sie dabei unterstützen können. Tübingen: Francke.

Krifka et al. (Eds.)(2014). Das mehrsprachige Klassenzimmer. Über die Muttersprachen unserer Schüler. Berlin etc., Springer.