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Politik

Bösewicht Erdoğan und Minarette als Raketen – Muss das schon wieder sein?

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Titelbild des Spiegel Spezial 1/2016
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KOMMENTAR Es ist schon fast Routine: Ausländische Journalisten berichten kritisch über die Türkei, die türkische Regierung und ihre Anhänger regen sich darüber auf. Dieses Mal hat es – schon wieder – den Spiegel erwischt. Der hat eine Spezial-Ausgabe zur Lage in der Türkei herausgebracht, deren Inhalt der türkischen Regierung natürlich kräftig gegen den Strich geht. Eine „verzerrte und voreingenommene Darstellung“ der Türkei wirft das Außenministerium in Ankara dem Hamburger Magazin vor.

Von einem Diktator ist in dem Hochglanzheft die Rede, vom „neuen Sultan“, dem „wilden Mann vom Bosporus“, der ein Land regiert, das „die Freiheit verliert“. So weit, so korrekt. Wirklich Neues bietet das Heft dennoch nicht. Es handelt sich fast ausnahmslos um wiederverwertete Artikel der letzten Jahre, größtenteils von 2015 und 2016, teils aber auch aus etwas tieferen Schichten der Redaktionshalde: 2012, 2010, 2008, 2004. Alles Artikel, die man auch online abrufen kann, sodass man sich schon fragt, ob sich die stolzen 7,90 Euro wirklich lohnen.

Besonders lesenswert sind indes die Dokumente der Zeitgeschichte, die die ältesten Beiträge zweifellos darstellen: Ein Artikel über die „drohende Gastarbeiterinvasion“ (sic!) von 1976 beispielsweise oder einer über den Militärputsch vom 12. September 1980, erschienen eine Woche nach dem Staatsstreich. Ein interessantes Detail in letzterem sind die Begrifflichkeiten. Necmettin Erbakan war damals noch kein Islamist, sondern ein „Muslimfanatiker“, seine Partei nicht islamistisch, sondern „radikalreligiös“. Wenig war früher besser; aber man ist versucht, sich dieses Vokabular zurückzuwünschen.

Den eigentlichen Aufreger des Heftes hat man jedoch schnell hinter sich gelassen. Nach dem Aufschlagen, um genau zu sein. „Hochgradig provokativ“ sei die Titelseite des Hefts, wütete die türkische Regierung. Und, nun ja, da muss man ihr recht geben. Zu sehen ist Erdoğan als Überbösewicht eines Filmplakats, vor ihm die angeleuchtete Sultanahmet-Moschee, von deren Minaretten zwei als Raketen gen Himmel starten. Minarette als Raketen. Jetzt im Ernst?

Dass der politische Würgegriff der Erdoğan-Regierung nicht mehr viel mit der ehemaligen Konfliktlinie islamisch versus laizistisch zu tun hat, sondern es um blanke Macht und schnöden Mammon geht; dass Erdoğan und seine AKP sich mittlerweile im Bund mit den laizistischen, nationalistischen Kemalisten befinden und gemeinsam eine andere muslimische Bewegung unerbittlich verfolgen und bekämpfen, muss man erst gar nicht erwähnen. Dass er das Land immer weiter „islamisieren“ würde, lässt sich natürlich mit mehr Pfeffer auf einem Coverbild verdichten, als komplexe türkische Innenpolitik.

Aber: Man muss kein glühender Erdoğan-Anhänger sein, um sich daran zu stoßen, dass das größte deutsche Nachrichtenmagazin einen künstlichen Aufreger erzeugt, indem es die Minarette einer der bekanntesten Moscheen der Welt zu Mittelstreckenraketen umdichtet. Muss das denn sein?

So viel sollte man doch beim Spiegel vom Thema verstehen, um zu wissen, dass man damit nur wieder Erdoğans Kettenhunden in die Hände – respektive Pfoten – spielt. Man liefert ihnen mal wieder beste Munition, die deutsche Presse als undifferenziert und islamophob gegen die Türkei hetzend zu diskreditieren. Das verfängt und wird es vor allem wieder den vielen, die zwischen den Stühlen stehen, schwerer machen, sich argumentativ zu behaupten. Ganz davon abgesehen, dass es indirekt auch Erdoğans Selbstdarstellung als Führer der Muslime der Welt widerspiegelt. Oder was für einen Eindruck soll ein Titelbild mit dem Dreiklang Erdoğan-Moschee-Raketen denn bitteschön hinterlassen, wenn nicht Erdoğan = Islam = Gefahr?

Es ist schon eine clevere Masche: Man nehme zwei Dutzend alte Texte, die ohnehin noch irgendwo rumliegen, und packe sie in ein schmuckes Hochglanzheft mit ansehnlichem Layout. Dann erschleicht man sich kostenlose PR, indem man ein knackiges Cover designen lässt, von dem man weiß, dass sich die Türken – und „ihre“ Regierung am besten gleich mit – kräftig darüber aufregen. Und schon kann man eigentlich kostenlose Inhalte für 7,90 Euro pro Heft verkaufen. Gleichzeitig können sich die Pole gegenseitig stärken: Der Spiegel arbeitet sich einmal mehr an Erdoğan ab und kann sich vermeintlich profilieren. Erdoğans Anhänger haben wieder etwas, worauf sie zeigen können, wenn sie behaupten wollen, die deutsche Presse hetze noch schlimmer als die Regierungssprachrohre in der Türkei.

Im Gegensatz zum skandalösen Verhalten des türkischen Jugend- und Sportministeriums vis-à-vis der Deutschen Welle reicht die Aufregung der Regierung über den Spiegel aber dieses Mal nicht zum Politikum. Zu kalkuliert und zu billig wirkt die Provokation. Und sie ist wahrlich kontraproduktiv. Nach den berüchtigten Covern der Aust-Ära – man denke nur an „Mekka Deutschland. Die stille Islamisierung“ – dachte man eigentlich, der Spiegel hätte sich in Sachen Anti-Islam-Hetze ein wenig gebessert. Aber auch hier gilt wahrscheinlich ähnlich wie bei Erdoğans Machtkampf: Es geht nicht um „den“ Islam an sich. Wichtiger ist der schnöde Mammon.