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Geschichte

Minarette in Deutschland sind kein Phänomen des 21. Jahrhunderts

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Bei vielen Deutschen verursacht der Bau einer Moschee in der Nachbarschaft großes Unbehagen. Das islamische Gebetshaus wird als Fremdkörper im Viertel wahrgenommen. Doch Minarette entlang des Rheins und der Donau sind nicht neu. (Foto: ap)

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Minarette in Deutschland sind kein Phänomen des 21. Jahrhunderts
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Als der osmanische Schriftsteller Ahmed Midhat Efendi (1844-1912) bei einem Besuch in Wien auf ein bestimmtes sakrales Bauwerk stieß, klopfte ihm das Herz vor Freude, denn dieses Gebäude mit seinen zwei Türmen war von außen gesehen einer Moschee so ähnlich, dass er glaubte, es könnte von den in Österreich lebenden Muslimen gebaut worden sein. Ein Blick auf den Stadtplan zeigte ihm jedoch, dass dies eigentlich eine Kirche war, und zwar die Karlskirche, die von Kaiser Karl VI im Jahr 1713 als Dank für die Erlösung Wiens von der Pest gestiftet wurde.

Eine barocke Kirche von dem Architekten Johann Bernhard Fischer von Erlach, deren Aufbau mit finanzieller Beteiligung aller habsburgischen Länder wie Ungarn, den Niederlanden, Italien und Spanien erfolgte und somit zum Wahrzeichen der Monarchie zählte. Johann Bernhard Fischer gewann mit seinem Projekt Moscheekirche bei dem Wettbewerb gegen den berühmten Architekt Johann Lukas von Hildebrandt. Wenn man sich aber das Schloss Belvedere im vierten Wiener Bezirk genauer ansieht, sind die Kuppeln von Hildebrandt nicht zu übersehen, die mit Quasten behängt den Eindruck erwecken, als würden sie von einem Feldzelt der Osmanen bedeckt werden.

Während in der Habsburger Monarchie eine gewaltige Kirche aufgebaut werden konnte, die stark an eine Moschee erinnerte, und dabei keine Sorgen wach wurden, die Stadtarchitektur könnte dadurch beeinträchtigt werden, schlagen heute in der österreichischen Demokratie nach fast 300 Jahren so viele Herzen vor Angst, dass man jetzt in den Bundesländern Kärnten und Vorarlberg danach strebt, ein Bau- und Raumplanungsgesetz gemäß dem antiislamischen Slogan „Pummerin statt Muezzin“ zu verabschieden.

Orientalische Architektur galt in Europa lange Zeit als schick und faszinierend

Auch in der deutschen Demokratie pulsiert die Debatte im Rhythmus des ängstlichen Herzklopfens, wenn es sich um den leitkulturellen Standard des Stadtbilds handelt. Aber auch diese Angst erweist sich beim Blick in die Vergangenheit als unangebracht. Denn in Schwetzingen in der Nähe von Heidelberg, im Herzen der deutschen Leitkultur mit ihrer tiefen Geschichte und Wissenschaft, zwinkert die Schwetzinger Moschee im Türkischen Garten seit 1792, also seit mehr als 200 Jahren, mit ihren zwei in den Himmel ragenden Minaretten die unangebrachten Ängste fort. Zudem ist sie keine Nachbildung einer Moschee in den muslimischen Ländern, sondern sie stellt deren Interpretation in der europäischen Kunstsprache der damaligen Zeit dar.

„Um der Rose Willen werden auch Dornen bewässert“ steht am Eingangstor der Moschee auf Arabisch. Dem Bauwerk fehlen natürlich die Inneneinrichtungen wie die Mihrab-Nische (Platz des Vorbeters) oder der Minber, die Predigtkanzel. Sie wurde jedoch zeitweise von Muslimen als Gebetshaus genutzt, vor allem von den muslimischen Kriegsgefangenen während des deutsch-französischen Krieges 1870/71. Auch heute ist es möglich, Muslimen zu begegnen, die nach einem Spaziergang im Türkischen Garten zum Beten die Moschee betreten. Die Schwetzinger Moschee, die von Karl Theodor, dem Vater des Hofparks, errichtet wurde, lässt Architekturelemente verschiedener Religionen und Kulturen wie der indischen, chinesischen und ägyptischen erkennen. Daher wäre es zu oberflächlich, die Moschee nur als ein Ergebnis der Türkenmode zu sehen, die in der damaligen Zeit als „schick“ galt, sondern sie ist ein Zeichen der Verwandtschaft der monotheistischen Religionen. So wie es für Karl Theodor wichtig war, in so ein auf einer bestimmten Philosophie basierendes Bauvorhaben Unsummen zu investieren, so war es auch für Goethe wichtig, sich von der Schönheit dieser Moschee beeindrucken zu lassen und sich eine Weile hier aufzuhalten, um sich für seinen West-Östlichen Diwan inspirieren zu lassen

Kein Fremdkörper: Moscheearchitektur ist Ergebnis unterschiedlicher kultureller Einflüsse

Die nächste Moschee in Potsdam, die 1843 von Friedrich Wilhelm IV., dem Romantiker auf dem Thron, unter der Leitung des Architekten Ludwig Persius errichtet wurde, ist gar nicht zum Beten geeignet. Für die rituelle Waschung vor dem Gebet aber durchaus. Denn es handelt sich hierbei um ein Pumpenhaus, mit dem der König von Preußen einen sehr alten Wunsch verwirklichen konnte: Mit der starken Pumpenmaschine von August Borsig ließ er das Wasser der großen Fontäne vor dem Schloss Sanssouci in der Neustädter Havelbucht 38 Meter hoch sprudeln. Das Bauwerk, dessen Wasserpumpe damals technisch als die beste aller Zeiten galt, heute jedoch durch Elektropumpen ersetzt worden ist, wurde 1985 zum Museum und Technischen Denkmal erklärt und 2007 als Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland ausgezeichnet. Wäre es nach Friedrich Wilhelm IV. gegangen, dann wäre es nach Art der türkischen Moscheen errichtet worden, tatsächlich entstanden ist jedoch eher eine Moschee im maurischen Stil, bei der der Einfluss des romantischen Spätklassizismus nicht zu übersehen ist. Das Minarett der Potsdamer Moschee diente als Schornstein.

Wie steht es aber um die Minarette, die in Europa immer stärker als Gefahr gesehen werden? Das dicke Minarett der Großen Moschee in Samarra ähnelt dem altmesopotamischen Zikkurat, wie der Turmbau zu Babel eben. Die Minarette der Selimiye-Moschee im türkischen Edirne ragen hingegen wie vier elegante Stifte in den Himmel. Die Minarette in Buchara, Kasan oder Mekka sind ganz unterschiedlich, weil sie alle Ergebnis unterschiedlicher kultureller Einflüsse sind.

Bedauerlich ist, dass die europäischen Demokratien es heute schwer haben, die Errungenschaften ihrer monarchistischen Vorfahren hinsichtlich der interkulturellen Perspektivität, welche die eigene Kultur bereichert, fortzusetzen. Die deutsche Kultur ist deshalb so reich, weil sie gegenüber anderen Kulturen offen war und das Selbstbewusstsein, das sie durch diese Offenheit gewann, konnte sie davor schützen, bei dem Einfließen fremder Kulturen sich selbst zu verlieren. Eine Moschee stellt für die Silhouette einer deutschen Stadt keine Gefahr des Selbstverlusts dar, ebenso wenig wie eine Kirche mit ihrem Turm und ihren Glockenstimmen die Silhouette von Istanbul und das Gehör der muslimischen Bevölkerung beeinträchtigt. Der Respekt vor Gebetshäusern ist im 21.Jahrhundert eine Frage der Vernunft.

Die Amerikaner ließen die Stadt Heidelberg während ihrer Besatzung auf Grund ihrer historischen, kulturellen und wissenschaftlichen Bedeutung unversehrt. Dasselbe kann für die vielen Moscheen von Bagdad nicht die Rede sein, obwohl diese Stadt seit Jahrtausenden in jeder Hinsicht von großer Bedeutung war. Die Schonung Heidelbergs rettete auch die Schwetzinger Moschee. Goethe würde heute sicherlich mit dem Kopf schütteln angesichts der vielen Bürgerinitiativen gegen den Bau von Moscheen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

*Dieser Text erschien 2008 in der Zeitschrift „Zukunft“.