Connect with us

Geschichte

Der unerwünschte Gastarbeiter in Deutschland: Der türkische Geheimdienst MİT

Spread the love

Die laue Reaktion der Regierung in Ankara auf die Spionageaffäre kommt nicht von ungefähr. Schließlich hat es sich auch der MİT selbst nicht nehmen lassen, seinen Tätigkeitsbereich im Laufe des 20. Jahrhunderts räumlich auszuweiten. (Foto: reuters)

Published

on

Spread the love

Die ausgesprochen entspannte Art und Weise, in der die türkische Regierung bislang auf die Enthüllungen über die möglicherweise bereits über mehrere Jahrzehnte anhaltende Spionage des BND reagiert hat, muss nicht zwingend Desinteresse oder eine neue Willfährigkeit gegenüber dem NATO-Partner bedeuten.

Vielmehr weisen einige Begebenheiten aus der jüngeren Geschichte darauf hin, dass auch und gerade in der Welt der Geheimdienste der Grundsatz „Eine Hand wäscht die andere“ eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen dürfte.

Die Nationale Geheimdienstorganisation der Türkei, der Millî İstihbarat Teşkilâtı (MİT), trägt seit 1965 seinen Namen, ursprünglich besitzt die Türkische Republik seit 1926 einen Nachrichtendienst. Spätestens seit die Türkei 1952 Mitglied der NATO geworden ist, spielte auch die nachrichtendienstliche Arbeit außerhalb des unmittelbaren räumlichen Umfeldes eine immer größere Rolle. Die Ziele der Aufklärungstätigkeit umfassten nicht nur innere Feinde oder Kräfte, die einen direkten Angriff auf die Türkei planen könnten, sondern auch die Abwehr vor allem kommunistischer Subversion in Westeuropa.

Je mehr die Lebenswelten der Bürger innerhalb eines Bündnisses oder einer Wirtschaftsgemeinschaft verschmelzen und je mobiler sie werden, umso mehr verlagert sich auch das nachrichtendienstliche Interesse nach außen. Seit es zudem infolge des Anwerbeabkommens 1961 zu Wanderungsbewegungen aus der Türkei in Richtung Europa und insbesondere Deutschland kam, wurden zunehmend auch gerade diese Länder für den MİT als Operations- und Tätigkeitsfeld interessant.

Die Aufgaben des MİT sind seit Inkrafttreten des Geheimdienstgesetzes 1984 der Schutz des türkischen Territoriums, des türkischen Volkes, Aufrechterhaltung der staatlichen Integrität, Wahrung des Fortbestehens, der Unabhängigkeit und der Sicherheit der Türkei sowie deren Verfassung und der verfassungskonformen Staatsordnung. Ferner gehört zu seinen Aufgabenbereichen die Spionageabwehr sowie die Abwehr sonstiger subversiver Aktivitäten, die sich gegen die Türkei richten. Im Unterschied zu deutschen Nachrichtendiensten kommen dem MİT auch einige polizeiliche Befugnisse zu.

BND half dem MİT beim Aufbau eines Dokumentationszentrums

Als Partnerdienste arbeiten der MİT und der BND auch bereits seit langer Zeit zusammen. Bereits Ende der 1940er Jahre richtete die Organisation Gehlen, der Vorläuferdienst des BND, eine Auslandsresidentur in der Türkei ein. Von den Dienststellen in der deutschen Botschaft in Ankara und dem deutschen Konsulat in Istanbul aus sollen der deutsche und der türkische Geheimdienst gemeinsam einen Stützpunkt zur Fotoaufklärung gegen sowjetische Kriegs- und Handelsschiffe betrieben haben. Unter dem damaligen BND-Residenten und späteren Leiter der Abteilung 4 des BND, Rainer Kesselring, soll der BND ab 1978 das Informations- und Dokumentationssystem des MIT aufgebaut haben.

Der türkische Geheimdienst soll jedoch schon bald – wie man es vom paternalistischen Staat, in dem das stets putschbereite Militär die Vaterrolle einnahm, her kannte – auch innerhalb der türkischen Gemeinschaft in Deutschland eine besondere Form des Community Organizings praktiziert haben. Es lebten bereits Anfang der 80er Jahre 2,5 Millionen türkischer Einwanderer in Deutschland. Die „Gastarbeiter“ blieben, die deutsche Mehrheitsgesellschaft betrachtete sie immer noch als Fremde, die Herzen gehörten oft immer noch der alten Heimat, der Türkei. Manche waren ihr sogar noch so stark verbunden, dass sie türkische politische Vereinigungen auch auf deutschem Boden organisierten und in deren Namen Aktivitäten entfalteten.

Diese konnten aus Sicht des türkischen Staates auch durchaus ärgerlich sein. Insbesondere nach dem Putsch im Jahre 1980 verlagerten Organisationen, die in der Türkei selbst massive Repressionen zu erwarten hatten, ihre Agitationstätigkeit vermehrt in europäische Länder mit einem hohen Anteil an türkischen Einwanderern. Viele in der Türkei verfolgte politische Aktivisten reisten mit einem Touristenvisum in Deutschland ein und blieben dort – nicht selten unter Stellung eines Asylantrages.

PKK, Linksextreme und „Kalifatsstaat“ organisierten sich in Deutschland

Neben linksextremistischen türkischen Vereinigungen wie DHKP-C, TİKKO, TKP/ML oder Dev Sol war auch die PKK des Öfteren auch im deutschen Stadtbild vertreten, durch Propagandaplakate an den Wänden von Bushaltestellen, in Jugendzentren, an Schulen, in Gastarbeiterklubs oder durch Demonstrationen. Daneben organisierten sich auch als Islamisten in der Türkei verfolgte Verbände im Ausland, von moderaten wie den Ablegern der Milli Görüş bis hin zu extremistischen und potenziell sogar terroristischen wie der Gruppe um den „Khomeini von Köln“, Cemalettin Kaplan, oder seines Sohnes Metin, dem unter anderem vorgeworfen wurde, 1998 von Deutschland aus einen Anschlag mit einem sprengstoffgesteuerten Flugzeug auf die im Anıtkabir-Mausoleum versammelte Staatsspitze geplant zu haben.

Für den türkischen Staat war diese Entwicklung eine Herausforderung, der er nur durch Vernetzung vor Ort entgegenwirken konnte. Der MİT hatte dazu mehrere Möglichkeiten: Die erste war die Routinetätigkeit der Geheimdienste, das Sammeln allgemein zugänglicher Informationen. Man beschaffte sich Publikationen von Deutschland aus agierender Gruppierungen, fertigte Berichte an oder sammelte Daten. Dabei soll auch der BND mitgewirkt haben, unter anderem sollen dem MİT Aktenteile aus Asylverfahren zugespielt worden sein. Für die Betroffenen konnte dies unangenehme Folgen haben, sobald ihr Asylantrag abgelehnt war: Ihre Angaben über politische Aktivitäten wurden in aller Regel unmittelbar nach ihrer Rückkehr in die Türkei in Strafverfahren gegen sie verwendet.

Tarnen und Täuschen

Die zweite war die Anwerbung von Agenten für den MİT vor Ort. Und dabei waren vor allem Personen von Interesse, die innerhalb der Öffentlichkeit oder zumindest innerhalb der Einwanderercommunity eine Beobachter- oder Multiplikatorfunktion ausübten. So wirkten unter anderem in Unternehmen, in Reiseagenturen, in Moscheen, aber auch in Konsulaten und diplomatischen Vertretungen Menschen, die neben ihrem regulären Arbeitseinkommen oder an dessen Stelle auch Bezüge vom MİT erhielten – gegen die Lieferung von Informationen.

Darüber hinaus war auch – was im Regelfall am wenigsten dokumentiert ist und am meisten Spekulationen anfacht – die Übernahme einer aktiven Rolle ein Thema, sei es durch Gründung von Unternehmen, Vereinen oder Gruppen, die entweder ein Anliegen der türkischen Regierung innerhalb der Einwanderercommunity populär machen sollten, sei es aber auch durch Unterwanderung oder Instrumentalisierung von bestehenden Strukturen als freundlich oder feindlich angesehener Kräfte und deren Nutzbarmachung im Kampf gegen subversive Elemente.

Die türkische Nationale Geheimdienstorganisation (MİT) sollte von all diesen Optionen Gebrauch machen.