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Gesellschaft

„Die Muhammad-Karikaturen waren beleidigend und langweilig“

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Tim Wolff, Chefredakteur des deutschen Satiremagazins „Titanic“, spricht im Interview mit DTJ über Islam, Muhammad-Karikaturen und die Grenzen der Satire. Er rät dazu, beleidigenden Karikaturen nicht durch Aufruhr unnötig Öffentlichkeit zu verschaffen.

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Der Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo hat wieder Karikaturen hervorgebracht, die insbesondere die Gefühle der Muslime verletzen. Der Chefredakteur des deutschen Satiremagazins Titanic, Tim Wolff (Foto unten), hält von solchen Karikaturen nichts. Im Interview mit dem DTJ fordert er Muslime auch auf, solche Karikaturen nicht zu beachten, da sie durch Ignoranz schneller verschwinden würden. Außerdem sei es auch nicht richtig, dass nicht-muslimische Karikaturisten muslimische Themen behandeln.

Wolff stand im Interview Hüseyin Topel und Fatih Aktürk Rede und Antwort.

Darf Satire wirklich alles, Herr Wolff?

Satire darf all das, was nicht-satirische, ernste Medien auch dürfen, nur mit satirischen Mitteln. Das heißt, die Satire bewegt sich natürlich im Rahmen der Gesetze und Ordnungen eines Landes.

Wenn jemand in einer Zeitung schreiben darf „XY ist ein Idiot“, dann dürfen wir das auch zeichnerisch oder auf einer anderen Art darstellen. Das ist die natürliche Grenze der Satire.

Wenn Sie aber glauben, dass eine bestimmte Karikatur eine bestimmte Gruppierung stark beleidigen oder verletzen könnte, ziehen Sie diese dann auch mal zurück oder sagen Sie „Wir bringen das jetzt trotzdem“?

Wenn mir der Witz gefällt, würde ich das trotzdem machen, weil man nicht vorhersehen kann, wer sich wovon wie stark beleidigt fühlt. Nur wie ich in dem Interview sagte (Link zu ARD), muss man als Satiriker natürlich auch immer die aktuelle Situation betrachten. Man muss sich als Satiriker immer fragen, wie viel Applaus von der falschen Seite man riskieren will. Und in diesem konkreten Fall ist es so: Titanic verhält sich eigentlich immer möglichst gegen den Trend. Und wenn gerade alle stolz Muhammad-Karikaturen hochhalten, weil sie glauben, damit die Meinungsfreiheit zu verteidigen, dann machen wir es halt eben nicht. Oder zumindest nicht genauso.

„Selbst Drohungen von Schumacher-Fans erhalten, aber nie von Muslimen“

Haben Sie bislang durch irgendwelche Gruppierungen Drohungen aufgrund der Inhalte Ihrer Zeitschrift erhalten?

Titanic hat immer wieder Drohungen erhalten. Von Bild-Lesern, nachdem einer meiner Vorgänger mit einem Bestechungsfax die Fußball-Weltmeisterschaft nach Deutschland geholt hatte. Wir haben sehr viele Drohungen von Michael-Schumacher-Fans erhalten, nach einem Witz, der sich nach dem Unfall mit der Medienberichterstattung beschäftigte. Und immer wieder von Christen. Christen, die sich fast immer bis hin zu Morddrohungen bei uns beschwert haben und im Zweifel immer über den Umweg „Macht das doch mal mit Muslimen. Die bringen euch doch um“. Das ist doppelt perfid: Zum einen wollen sie uns tot sehen, zum anderen aber wollen sie die Drecksarbeit ihnen verhassten Menschen in die Schuhe schieben.

In einem Interview sprachen Sie davon, dass Muslime in Deutschland ganz anders seien und Sie mit diesen nur gute Erfahrungen gemacht hätten.

Ich kann nur aus der Erfahrung der Titanic und meiner eigenen sprechen. Und da hatten wir schlicht und ergreifend noch nie Drohungen von Muslimen. Vielleicht ist es irgendwo auf der Welt anders. Vielleicht haben wir da besonderes Glück oder sind besonders naiv, aber unsere Erfahrung sagt genau dies.

Wie bewerten sie die aufdringlichen Fragen des ARD-Moderators, ob Sie denn nun nicht noch mehr Karikaturen über den Islam veröffentlichen wollen?

Letztlich kommt das aus der üblichen journalistischen Dynamik: Da ist ein schrecklicher Anlass und der Journalist will die Sensation möglichst lange aufrecht erhalten. Wenn er ein paar Mal nach der Angst und Sicherheit gefragt hat, will er auf eine gewisse Art und Weise die aktuelle Nachricht weiterdenken und wünscht sich fast schon, dass noch mehr passiert. Und so entsteht eine solche Fragerei, die ich dem Moderator nicht persönlich anlasten würde. Das ist irgendwie in der Logik des Journalismus in Ordnung, im Ergebnis natürlich nicht. Das ist ein grundsätzliches Problem des Journalismus.

„Wirtschaftliche Motivation ausschlaggebender Grund für die beleidigenden Karikaturen“

Will ein Karikaturist grundsätzlich oder vorsätzlich die religiösen Werte einer Menschengruppe angreifen oder beleidigen? 

Ich kann derzeit keinen deutschen Karikaturisten erkennen, der tatsächlich eine spezielle Religion allgemein beleidigen oder im Kern treffen will. Sämtliche Muhammad-Darstellungen, und das sind ja nicht so viele gewesen nach dem Charlie-Hebdo-Attentat, die ich gesehen habe, haben sich fast immer auf den Standpunkt zurückgezogen: Es ist nicht in Muhammads Sinne, dass so eine Tat stattfindet. Und das ist sicher nicht als Beleidigung von Muslimen gedacht. Wenn Muslime eine Zeichnung an sich als Beleidung auffassen, muss man aber sagen: Diesen Kompromiss kann man nicht eingehen. Ein Karikaturist zeichnet nun mal. Ich glaube aber, wenn sich jemand als komischer Zeichner mit Religion beschäftigt, kann es eigentlich nur die sein, mit der er aufgewachsen ist, mit der er sich auskennt. Deswegen finde ich auch Muhammad-Karikaturen von Leuten, die selbst keine Muslime sind oder in einem muslimischen Kulturkreis aufwuchsen, immer ein bisschen von oben herab oder schlecht informiert. Das heißt aber nicht, dass so es nicht erlaubt sein sollte.

Kann es sein, dass Karikaturisten solche Zeichnungen aus einer ökonomischen Motivation heraus machen, weil sie sich dann ja eventuell besser verkaufen?

Selbstverständlich auch. Aber in diesem konkreten Fall wüsste ich nicht, wo das stattgefunden hätte. Es wurden ja fast nur Charlie Hebdo-Cover nachgedruckt, was mit Sicherheit auch verkaufsförderlich war. Aber das ist letztlich nur Dokumentation. Ich kann nur für deutsche Satiriker, die ich kenne, sprechen, und die sind alle nicht angetreten, um möglichst reich und prominent zu werden. Das ist eigentlich bei Titanic nie die erste Motivation gewesen. Man will irgendetwas Wesentliches ausdrücken oder etwas machen, was man einfach witzig findet. Wenn man einen Witz nach Verkaufsstandpunkten konstruiert, ist er meistens langweilig, weil er nicht aus einem selbst kommt, sondern aus einer Berechnung.

„Man kann Charlie Hebdo nicht anlasten, jetzt davon zu profitieren“

Charlie Hebdo wurde einige Tage später mit einer ähnlichen Karikatur und einer größeren Auflage herausgebracht. Hätten Sie es genauso gemacht?

Nein, ich als Titanic-Chef würde es nicht genauso machen. Wir haben es ja auch nicht genauso gemacht. Aber aus Sicht von Charlie Hebdo fand ich diesen Titel sogar erstaunlich versöhnlich, weil er zum Ausdruck bringt, dass es nicht im Sinne des Islams oder im Sinne Muhammads ist, Menschen für Zeichnungen zu ermorden. Ich verstehe, dass man das Cover als erneute Provokation auffassen kann, aber dieses bisschen Trotz muss man Leuten ja nun mal gönnen können, deren Kollegen gerade ermordet wurden. Die Attentäter hätten vorher bedenken können, dass sie das Ganze nur prominenter machen. Hätten sie es sein gelassen, wäre Charlie Hebdo wahrscheinlich von alleine verschwunden. Ich glaube nicht mal, dass Charlie Hebdo anlasten, dass sie jetzt davon profitieren wollen, sie haben einfach so gut wie möglich das gemacht, was sie immer getan haben: ihr Magazin. Die Begeisterung, die sich da ergeben hat, die hat sich von alleine ergeben, einfach weil sie Opfer eines Mordanschlags wurden. Es ist praktisch egal gewesen, was sie auf das Cover setzen. Das hätten Millionen Menschen einfach aus nackter Solidarität gekauft.

Gehen Sie bei heiklen Themen, die die Muslime betreffen, auch auf sie zu und reden mit Vertretern, um diese mit den Inhalten nicht zu „ärgern“?

Das würde ich gerade deswegen nicht machen, weil man den Menschen, speziell religiösen Vertretern, die Chance geben sollte, uns zu ignorieren. Wir haben selten wesentlich kritische Zeichnungen, aber ich fände es sehr unsympathisch, diese zu den Leuten hinzutragen, die sich dadurch angegriffen fühlen. Aber ich setze mich gerne mit Imamen und Vertretern muslimischer Organisationen zusammen und diskutiere darüber, wenn sie ein Interesse daran haben. Witze sind aber per Definition verletzend, weil Witze immer ein Opfer haben. Es ist die Frage, wann man wem einen Witz präsentiert. Ein Witz aus meiner Kindheit, den meine Oma mir immer erzählt hat, geht folgendermaßen: „Zwei Tomaten gehen über die Straße, die eine wird überfahren und die andere sagt, geh weiter Ketchup.“ Ein Witz, der aus dem englischsprachigen Raum kommen dürfte, wegen des Wortspiels mit Ketchup und ‚Catch-Up‘“. Wenn ich jetzt diesen Witz jemandem erzählen würde, der vor zwei Wochen jemanden bei einem Autounfall verloren hat, dann wäre das eine tiefe Beleidigung, obwohl es ein völlig harmloser Kinderwitz ist. Entsprechend ist es mir unsympathisch, Leuten Witze einfach nur ins Gesicht zu halten, wenn ich den Verdacht habe, dass sie gerade nicht damit umgehen können. Und vorher hinzugehen und zu fragen: „Finden Sie das in Ordnung“?, das wäre natürlich wieder eine Einschränkung unserer Freiheit.

Titanic-Chefredakteur Tim Wolff

„Hätte gerne mehr muslimische Mitarbeiter“

Haben Sie eigentlich auch Muslime unter Ihrer Leserschaft?

Wir haben zwar keine konkreten Erhebungen, aber zumindest weiß ich aus mehreren Zuschriften und Leserreisen, dass wir muslimische Leser haben. Ich würde vermuten, dass es jetzt nicht so viele sind. Je religiöser der Mensch ist, desto weniger neigt er dazu, Titanic zu lesen. Wir haben aber sogar eine Islamwissenschaftlerin als gelegentliche Autorin. Also ganz ohne Kontakt sind wir nicht. Ich würde mir auch wünschen, dass es mehr würden. Wenn man sich mit islamischen Themen oder überhaupt mit dem Leben von Muslimen in Deutschland auseinandersetzen will, ist es eigentlich besser, wenn dies die Leute machen, die das auch selbst erleben.

Wer kann einer Religion mehr Schaden zufügen, Karikaturisten oder Terroristen?

(Gelächter) Immer der, der schießt. Das eine ist nur Tinte auf Papier und das andere sind Kugeln in Menschenkörpern. Also was da mehr schadet, was allen mehr schadet, ist in meinen Augen sehr eindeutig.

„Westergaards Karikatur waren beleidigend und langweilig“

Es gibt Karikaturen, die als extreme Beleidigung wahrgenommen werden. Beispielsweise die Karikatur mit dem Turban von Kurt Westergaard wurde von vielen als eine solche empfunden.

Ich finde diese spezielle Zeichnung pauschalisierend und vor allem langweilig.

Wo steckt da die Idee, weil man da auch immer gerne von Meinungsfreiheit spricht. Wo liegt die Meinungsfreiheit, wo die Idee?

Ich glaube, das war auch ein Problem der künstlerischen Tradition. Diese Kurt-Westergaard-Zeichnung behandelt Muhammad wie einen x-beliebigen Politiker und versieht ihre Kritik mit einfacher Symbolik. Die Kritik, die da drin stecken sollte, ist wahrscheinlich: „Der Islam ist eine irgendwie gewalttätige Religion”. Das wäre jetzt eine sehr plumpe Interpretation, aber die Zeichnung ist auch sehr plump. Und technisch ist es ja nicht einmal ein Witz. Es ist einfach nur eine symbolische Zeichnung, die keinerlei Fallhöhe beinhaltet. Ich hätte die alleine schon aus diesem Grund nicht gedruckt. Eine langweilige und beleidigende Aussage zugleich. Ich finde aber auch, so eine Karikatur kann man wirklich recht leicht ignorieren. Einfach sagen: Das ist mir zu blöd, um mich damit zu beschäftigen. Das ist das gleiche wie bei den Terroristen. Wenn man sich darüber erst gar nicht aufregt, sehen das fünfzigtausend Leute in Dänemark. Wenn man sich darüber aufregt, sehen das Millionen Menschen auf der Welt. Man begegnet dem, was einen beleidigen will, besser, indem man es ignoriert. Man bringt es so leichter zu verschwinden.

Der Islam wird ja hier in Europa über verschiedene Medien, besonders durch die Medienrepräsentationskraft des IS, in den Vordergrund gerückt. Dabei ist das aber ein minimaler Kreis von Muslimen. Die große Mehrheit ist ja sehr friedfertig. Am Brandenburger Tor hat man ja auch gesehen, dass Veranstaltungen wie diese Versöhnung fördern und eine neue Atmosphäre schaffen. Wäre das nicht ein Thema, das man eventuell behandeln und unterstützen sollte?

Es ist natürlich für ein Satiremagazin unmöglich, etwas so zu behandeln, dass es positiv und solidarisch ist. Der Wesenskern eines satirischen Magazins ist der Zweifel, das Verneinen, das Lustigmachen. Wir haben uns in letzter Zeit über den Islamischen Staat und dergleichen sehr häufig lustig gemacht, weil sie medial so überrepräsentiert sind. Man kann uns natürlich den Vorwurf machen, dass wir die mediale Repräsentation dadurch noch verstärken. Aber man kann halt etwas nicht zum Verschwinden bringen, indem man sich damit beschäftigt. Und wenn wir uns gar nicht damit beschäftigen, fällt es als Haltung keinem auf. Wir sind einfach abhängig davon, was andere Medien tun. Letztlich bearbeiten wir immer Klischees. Den IS haben wir zum Beispiel mit einer kleinen Aktion thematisiert, bei der wir dem neuen Staat hier in Frankfurt und Umgebung eine Botschaft verschaffen wollte, braucht ja auch ein Terrorstaat irgendwann mal. Da waren lustige Reaktionen der diversen Bürgermeister zu hören, weil sie im Grunde sehr offen dafür waren. (Gelächter) Was wir konkret bei Titanic versuchen, ist, wenn es um islamistische Gewalt geht, dem mit Niedlichkeit zu begegnen. Satire ist eigentlich die Übertreibung näher, aber wenn man diese Art medial mächtiger Gewalt überzeichnet, ist es nur noch traurig brutal. Wir hatten ein Titelbild „Diese Islamisten: Jetzt erobern sie auch noch unser Herz!“. Man sieht da einen nicht unbedingt religiös konnotierten Kämpfer mit Blumen und Pralinen. Das scheint uns in dem Zusammenhang die bessere Sichtweise, weil man dann das auch behandelt, ohne es als religiöses Thema zu behandeln. Aber dass wir uns als Titanic jetzt hinstellen und sagen „Jetzt müssen wir ein neues Bild vom Islam zeichnen“, das können wir nicht leisten und ist auch nicht unsere Aufgabe. Wir können nur dem, was wir vorfinden, mit den Mitteln der Satire die Luft rauslassen und es angreifen. Als Satiremagazin selbst kann man eigentlich nur verneinen.

Lob an Zaman für die Herausgabe von „Püff“ als satirische Antwort auf Repressalien

Um die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei ist es derzeit nicht gut bestellt. Zuletzt wurden mehrere Journalisten verhaftet, u.a. der Chefredakteur der größten türkischen Tageszeitung Zaman. Nichtsdestotrotz hat Zaman vor einigen Wochen eine neue Satirebeilage auf den Markt gebracht. Wie bewerten Sie die Antwort auf die Repressalien auf eine solche satirische Art und Weise?

Da bin ich uneingeschränkt dafür. Ganz allgemein gilt: Je mehr satirische, komische Zeitschriften, desto besser. Da man mit Witzen und komischen Zeichnungen auf einem recht einfachen und direkten Weg den Mächtigen ans Bein pinkeln kann. Zu Püff: Auf dem ersten Blick finde ich das auch sehr gut und lustig. Rein professionell gesprochen würde ich mir wünschen, dass mehr stattfindet außer Zeichnungen, weil man auch mit Fotos sehr gute Witze machen und noch andere Formen bedienen kann. Es ist sogar auf eine absurde Art etwas beneidenswert, wenn man einen sehr repressiven Staatspräsidenten hat. Dann braucht es nur ganz wenig Witz, um diesen Menschen zu verärgern. Wir müssen uns schon sehr viel Mühe geben, um jemanden wie Angela Merkel zu ärgern, die praktisch keine Angriffsfläche bietet. Satire, die gar nicht so wirkungsvoll, so aggressiv ist, wie die Leute immer glauben, wird immer dadurch wertvoller, dass sich jemand wehrt oder dagegen vorgeht. Je mächtiger, desto besser. Ich kann nur hoffen, dass man mit Satire diese Repressalien erfolgreich bekämpfen kann. Satire ist nicht nur ein Ausdruck von Demokratie, sondern auch der Freiheit des Individuums. Die Mächtigen dieser Welt mögen das grundsätzlich nicht. Egal aus welchem Land oder welcher Religion, weil sie irgendwann glauben, dass sie mit ihrem Amt identisch sind. Dann kommen sie immer mit der Würde des Amtes daher. Eigentlich liefern sie damit nur noch mehr Angriffsfläche. Je würdiger sie sich fühlen, desto leichter ist es, diese Würde zu nehmen.