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Wirtschaft

Kapitalismuskritik von Muhammad Yunus: „Nehmt die profitmaximierende Brille ab!“

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Nicht nur Staaten können gesellschaftliche Probleme wie Armut bekämpfen. Auch der Einzelne kann seine Umwelt in großem Maße verändern. Der Bangladescher Muhammad Yunus ist ein beeindruckendes Beispiel dafür.

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Muhammad Yunus
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Der Saal ist gut gefüllt. Über 400 junge Studenten warten gespannt auf den Vortrag des alten Mannes. Wir sind im Herzen Londons, an der London School of Economic and Political Science (LSE) – ein Ort, an dem künftige Eliten ausgebildet werden und an dem ein Masterstudium gut und gerne 25.000 Euro im Jahr kosten kann.

Die LSE lädt regelmäßig prominente Persönlichkeiten für Vorträge ein. Nelson Mandela sprach bereits auf ihrer Bühne, genauso wie Kofi Annan, Bill Gates, der Dalai Lama, Bill Clinton und viele weitere. Als der alte Mann mit weißem Haar den Saal betritt, ertönt tosender Applaus. Es ist eine Demonstration des Respekts und der Anerkennung für die Verdienste des Mannes im traditionellen bengalischen Kurta-Gewand. Es ist der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus.

Muhammad Yunus wächst in Bangladesch als eines von neun Kindern einer wohlhabenden Familie auf. Nach einem Studium inklusive Promotion in Wirtschaftswissenschaften in den USA kehrt er 1972 nach Bangladesch zurück und lehrt an der Universität seiner Heimatsstadt Chittagong. Er beschäftigt sich intensiv mit Möglichkeiten der Armutsbekämpfung und startet ein Entwicklungsprojekt. Er beobachtet, dass arme Menschen trotz harter Arbeit weiterhin arm bleiben. Seine Forschungen bringen ihn zu dem Schluss, dass es diesen Menschen an kleinstem Kapital fehlt, um Materialen für Möbel oder Zutaten für das Essen zu kaufen, welches sie dann weiterverkaufen könnten, um ihren Unterhalt zu verdienen. Großen Banken sind diese Menschen jedoch zu unsicher und private Geldleiher verlangen horrende Zinsen.

Daraufhin startet Muhammed Yunus sein ganz eigenes Konzept der Armutsbekämpfung: Mikrokredite und Sozialunternehmen (Social Business). Er verleiht kleine zweistellige Summen an arme Menschen unter der Bedingung, dass sie dieses Geld nicht konsumieren, sondern investieren. In mittlerweile über drei Jahrzenten hatte die von ihm gegründete Grameen Bank weit über 7 Millionen Kreditnehmer. Für seinen revolutionären Ansatz der Armutsbekämpfung und seinen Leistungen auf diesem Feld erhielt Muhammad Yunus 2006 den Friedensnobelpreis und darüber redet er an diesem Abend vor 400 gespannt lauschenden Studenten.

„Selbstlosigkeit hat keinen Platz im System“

Yunus beginnt seinen Vortrag, indem er das Problem der Armut und ihren Zusammenhang zum kapitalistischen Menschenmodell analysiert:

„Es ist nicht die Schuld der armen Menschen, dass sie arm sind. Die meisten von ihnen werden in diesen meist extern verursachten Zustand hineingeboren. Großen Anteil daran hat die gegenwärtige Struktur des internationalen Wirtschaftssystems. Die Theorie der Gewinnmaximierung hat eine völlig falsche Auffassung des Menschen und seines Wesens. Der Kapitalismus bietet den Menschen zweifelsohne eine enorme Auswahl an Handlungsoptionen, aber die Option selbstlos zu sein, wird ignoriert. Selbstlosigkeit hat kein Platz im System – als sei der Mensch lediglich ein Roboter für das Geldverdienen. Menschen sind keine egoistischen Lebewesen, deren einziges Ziel es ist, mehr und mehr Geld zu verdienen. Diese Wahrnehmung ist völlig beschränkt und borniert.“

Den Lösungsansatz sieht der 75-jährige bei dem Menschen selbst: „Nehmt die profit-maximierende Brille ab und entfesselt euch von der Idee, immer mehr Geld verdienen zu müssen“, sagt er, „wenn sich die Menschen ändern, wird sich die Welt automatisch auch verbessern.“

Große Unternehmen seien perfekt darin, Geld zu verdienen, aber nicht darin, durch ihr unternehmerisches Handeln den Menschen zu helfen und die Welt zu verändern (Social Business). Er versuche durch seine Vorträge Menschen dazu zu inspirieren, ihr Potential auch für das Social Business einzusetzen und die Welt zum Positiven zu verändern. „Im Grunde genommen muss sich jeder die eine fundamentale Frage stellen: Was ist der Sinn des Lebens? Ist es Profitmaximierung? Nein! Der Mensch lebt nur einmal und das nur für eine kurze Zeit, also müssen wir Gutes für unsere Mitmenschen tun.“ Für seine Ausführungen erhält der sympathische Yunus immer wieder Applaus aus dem Saal.

Geld vor allem für Frauen

Die Grameen Bank von Muhammad Yunus legt ihren Fokus auf Frauen. Über 90% der Kreditnehmer sind weiblich. Zu Beginn sei das Verhältnis ausgeglichen gewesen, so Yunus. Aber schnell sei deutlich geworden, dass Frauen viel effektiver mit dem Geld umgingen, als ihre Männer, die das Geld für Zigaretten oder ähnliches verprasst hätten. Frauen jedoch hätten ihren Familien geholfen und seien erfolgreich gewesen, obwohl ein großer gesellschaftlicher Druck auf ihnen gelastet habe. „Sie waren zögerlich und hatten Ängste, denn es hieß, Frauen könnten mit Geld nicht umgehen. Aber die Frauen in Bangladesch haben mit den Mikrokrediten viel besser gewirtschaftet als ihre Männer. Daher haben wir uns entschieden, hauptsächlich an Frauen Geld zu verleihen“, erklärt der Friedensnobelpreisträger.

Viel Kritik hätten sie deswegen einstecken müssen, auch von Gelehrten oder „solchen, die sich dafür hielten.“ Durch ihre Unternehmenspolitik würden sie Frauen dazu verleiten, ihre Familien zu vernachlässigen und sich ihren Männern zu widersetzen. „So ein Schwachsinn. War nicht die Chadidscha, die Frau unseres Propheten, eine der erfolgreichsten Unternehmerinnen ihrer Zeit? Diese Männer kennen das Leben des Propheten nicht und haben Angst vor dem Erstarken ihrer Frauen“, sagt Yunus, der während seines Auftreten stets eine bescheidene und höfliche Aura wahrt.

Muhammad Yunus’ Konzepte der Mikrokredite und des Social Business haben weltweit große Resonanz gefunden. So hat die Weltbank das Konzept der Mikrokredite in ihr Portfolio aufgenommen. Des Weiteren entstand in Kooperation mit dem Lebensmittelkonzern Danone das Projekt, Danones beliebten Kinderjoghurt mit Nährstoffen wie Protein, Eisen, Calcium besonders anzureichern und lediglich für die Produktionskosten zum Verkauf an arme und unterernährte Regionen bereitzustellen. Diese und viele weitere Projekte weltweit wurden von den Ideen Muhammad Yunus’ inspiriert. Auch die 400 Studenten im Saal sind spürbar beeindruckt von seinen Ideen. Zum Ende des Vortrags gibt es stehenden Applaus.

Ob und wie viele unter ihnen in Zukunft die Brille der Profitmaximierung abnehmen und den Menschen in den Fokus ihres (unternehmerischen) Handelns setzen werden, bleibt offen. Hoffentlich viele. Hier im Herzen Londons. Im Herzen der Bankenmetropole.