Connect with us

Politik

„Islamhasser gehen auf den ersten Blick genauso vor wie Muslime“

Spread the love

Nicht alle Deutschen sind Nazis, nicht alle Polen Autodiebe, nicht alle Muslime Terroristen – Dr. Sabine Schiffer erklärt, wie unser Unterbewusstsein mit Negationen umgeht. (Foto: dpa)

Published

on

Spread the love

In Teil 1 des Interviews mit der Islam- und Medienwissenschaftlerin Dr. Sabine Schiffer sprachen wir über die politischen und medialen Folgen des Anschlags auf Charlie Hebdo in Paris und den Distanzierungswettlauf, der im Anschluss unter Muslimen entbrannte.

Im zweiten Teil geht Schiffer auf Wendungen wie „Das hat nichts mit dem Islam zu tun“ ein und zeigt auf, wie zwecklos derartige Formulierungen sind.

Es kamen in den Folgetagen und kommen immer noch Vertreter muslimischer Verbände und muslimische Theologen zu Wort. Was machen die Stimmen aus der Mitte der Muslime beim Medienauftritt falsch/richtig?

Auch hier befinden sich die Muslime in einem Teufelskreis. Man kann jeden Gesetzestext, jeden religiösen Text, alle Ideale und jede Ideologie missbrauchen. Wer nun „koranisch“ zu solchen Ereignissen Stellung nimmt, stellt die Glaubenslehren des Islams als relevant in diesen Kontext. Und letztendlich kann man ja nicht die Komplexität einer Textexegese deutlich machen, sondern ist gezwungen, in der Auswahl einiger Zitate zu verbleiben. Genau das tun Islamhasser auch, und sie rechtfertigen damit gar ihre „Argumentationsweise“, weil sie ja auf den ersten Blick genauso vorgehen wie Muslime, nur halt andere Stellen auswählen. Genauso wie im Übrigen immer Fanatiker Texte in ihrem fanatischen Sinne interpretieren.

Und Verneinung erkennt das Unterbewusstsein ja nicht. Also, jede Äußerung wie „Das hat nichts mit dem Islam zu tun“ ist überflüssig, weil sie genau diese Verbindung wiederholt. Außerdem kommen manche Menschen erst drauf, dass an einer Verbindung was dran sein könnte, wenn man Selbstverständliches ausspricht. Da braucht man noch nicht einmal einen Henryk Broder, der auf seiner „Achse des Guten“ schon lange gezielt vorbereitet, was sich aktuell auf der Titelseite des Focus niederschlägt. Auf achgut.com gibt es Fallsammlungen unter dem Titel „Das hat alles nichts mit dem Islam zu tun“, wo die Untaten von Boko Haram mit Anschlägen in Libyen, Syrien oder sonstwo quasi als „islamische Tat“ angeboten werden. Diese Ironisierung der Aussage von muslimischen Sprechern hat nun ihren vorläufigen und völlig humorlosen Höhepunkt auf dem Focus-Cover gefunden, wo in dicken Lettern steht DOCH.

Ja, und nicht wenige Muslime setzen sich – eigentlich lobenswerterweise – mit dem Missbrauch ihrer Religion durch Extremisten auseinander. Selbstkritik halte ich immer für einen richtigen Ansatz, weil ja nur jeder bei sich selbst anfangen kann, wenn man etwas verändern möchte. Aber hier fehlt die Machtanalyse. Man müsste sich von muslimischer wie nichtmuslimischer Seite mehr mit dem Thema Geostrategie befassen und erfassen, warum genau viele Konfliktherde in der sog. islamischen Welt liegen. Das hat etwas mit Weltherrschaftsansprüchen, Wirtschafts- und Ressourcenfragen sowie denen nach den Ressourcenwegen zu tun. Man schaue sich beispielsweise mal an, wann Al Qaida im Jemen auftauchte und an welcher Meerenge der Jemen liegt – dann klärt sich auch schnell, warum im gegenüberliegenden Somalia schon lange Krieg brodelt.

Kommt man in diesem Kontext mit Äußerungen zur Kategorie „Was sagt denn der Koran dazu?“, dann bedient man falsche Zuweisungen und Frames selbst.

Ja, aber Muslime, die solche Anschläge begehen, haben doch ihren Islam verraten. Warum soll man das nicht thematisieren?  

Weil diese Muslime eben nicht nur ihren Islam verraten haben, sondern auch ihre Verfassung. Man geht als vermeintlich Betroffener vielleicht schnell in die Falle, die Zuweisung zu akzeptieren, dass man primär als Muslim wahrgenommen wird. Man ist aber immer viel mehr und wenn man will, dass das wahrgenommen wird, muss man es auch selber vormachen. An dieser Stelle können Muslime sehr viel tun, indem sie die aufgestellten Fettnäpfe umgehen und nicht die geformten Schablonen bedienen.

Als schwächere Glieder in einer Diskurshierachie zeigt das leider den geringen Spielraum, der den Muslimen als Dauerdiffamierte hier zugewiesen wurde. Jedenfalls in Bezug auf die herrschende Meinung können sie kaum selbst gestalten – sich aber mit entsprechenden Kräften verbünden. Muslime – wie die meisten Bürger – entscheiden ja nicht darüber, was veröffentlicht wird und was nicht. Ihnen wird man auf Grund des großen und geschürten Misstrauens auch am wenigsten glauben. Dass etwa die aktuellen Schablonen falsch sind, zeigt ein kurzer Blick in die Statistik. Hier hat sich einer die Mühe gemacht. Tatsächlich werden die wenigsten Terrorakte von Muslimen verübt. Wir wirkt das auf Sie? Überzeugend? Oder apologetisch? Leider ist es mit unser aller Aufklärung nicht so weit hin, wie gerne idealisiert wird. Rational ist das alles nicht mehr.

Sie sprechen oft von einem Herrschaftsdiskurs. Was heißt das für die mediale Darstellung des Attentates?

Der Frame der Verteidigung der Meinungsfreiheit gegen einen mächtigen Feind ist vollkommen falsch. Freilich kann man alles durch den Kakao ziehen und Charlie Hebdo war da einigermaßen konsequent und hat alles verspottet, zuletzt im Dezember mit einer antisemitischen Veröffentlichung, wo alle Juden aufgefordert wurden zu spenden, damit sie noch für 2014 Spendenquittungen erhalten könnten, um ihre Steuerlast zu reduzieren. Die Unterstellung wird wohl deutlich. Nun haben wir es aber spätestens seit dem sog. Karikaturenstreit nicht mehr mit einem linken Protestblatt zu tun, das sich gegen Herrschaft positioniert, sondern da hat man den Herrschaftsdiskurs mitgetragen. Das mag damals ein Missverständnis gewesen sein, weil man vielleicht nicht wusste, dass die Jyllands Posten kurz vor der Aufforderung, Muhammad-Karikaturen zu zeichnen, antichristliche Karikaturen abgelehnt hatte. Damals meinte man im Sinne der Verteidigung der absoluten Meinungs- und Pressefreiheit diese nachdrucken zu müssen – und man ging noch darüber hinaus. Man hat aber damit, und tut es permanent, eine schwache Gruppe attackiert. Das ist antilinks und stützt die herrschende Klasse. Entgegen allen Allmachtsfantasien, die sich in dem Wort „Islamisierung“ ausdrücken, sind Muslime weltweit nicht diejenigen, die die politische Agenda vorgeben – auch nicht Saudi-Arabien, das seit 1973 in einer eng gefassten und abhängigen Symbiose mit den USA lebt, wie es u.a. John Perkins in seinem Buch „Bekenntnisse eine Economic Hintman“ aufdeckt.

Viele sprechen von „Europas 11. September“. Was ist ihre Einschätzung?  

Die Gräben wurden tiefer gezogen. Die Überwachungspläne wurden wieder aus der Schublade gezogen. Wenn es der Zivilgesellschaft nicht gelingt, hiergegen zusammen zu stehen, dann wird die Entwicklung keine gute sein.

Sie haben ein Foto, das wir als DTJ Online bei einem Artikel verwendet hatten, kritisiert. Darauf war ein Plakat mit der Aufschrift „Nicht jeder Muslim ist ein Terrorist“ abgebildet. Warum ist die Verwendung solcher Fotos problematisch?

Dieses Bild fällt unter die Kategorie „Das Gegenteil von gut, ist gut gemeint“. Das war sicher gut gemeint von den Demonstranten gegen Pegida, aber es zeigt auch ein tiefsitzendesVorurteil. Denn so ein Text enthält eine Präsupposition, eine Unterstellung. Gegenproben erleichtern oft das Durchschauen – versuchen wir es: Nicht alle Deutschen sind Nazis. Nicht alle Juden sind Finanzhaie. Nicht alle Männer sind Machos. Nicht alle Polen sind Autodiebe. Hinter all den Verneinungen, die das Unterbewusstsein gar nicht erkennt, stecken Behauptungen. Diese will man eigentlich konterkarieren, aber man verstärkt mit solchen Sätzen derlei Grundannahmen. Derer Sprachfallen gibt es viele. Manche öffentlich Aktiven lassen sich deshalb Rhetorik-Schulungen angedeihen. Das wäre vielleicht ein Tipp auch für die Vertreter muslimischer Verbände.

Rechnen Sie mit einer weiteren Eskalation in den kommenden Wochen und Monaten?

Ja. Mit derlei Eskalationen rechne ich schon lange, auch aufgrund der permanenten Diskursbeobachtungen, die wir im Institut machen. Bisher ist es nicht gelungen, die Teufelskreise zu durchbrechen. Und solange sich an der ungerechten Weltwirtschaftsstruktur nichts ändert, deren Erhalt mit Kriegen abgesichert wird, bin ich pessimistisch. Dabei bin ich überzeugt, dass es kostengünstiger und sowieso menschlicher und damit deeskalierend wäre, wenn man faire Strukturen implementieren würde – wozu man mit einer fairen Bezahlung von Rohstoffen beginnen könnte.

Wer ist aktuell in Europa mehr gefährdet: Muslime oder Juden?

Entschuldigen Sie, aber die Frage zieht mir schon etwas die Schuhe aus. Wie wir in unserem Buch „Antisemitismus und Islamophobie – ein Vergleich“ aufzeigen, bringt eine Opferkonkurrenz zwischen Minderheiten nichts, sondern nur deren solidarisches Zusammenstehen. Das haben einige Vertreter ganz aktuell eindrücklich gezeigt. Juden und Muslime gegeneinander auszuspielen, ist ebenfalls Teil von Herrschaftsdiskurs. Sie sind als Minderheiten gleichermaßen gefährdet und darum gilt es, sie auch gleichermaßen zu schützen – was bisher nicht geschieht. Und das bedeutet auch gleichermaßen gegen antijüdische wie antimuslimische und weitere Ressentiments vorzugehen – und auch da haben wir noch einiges nachzuholen.