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Kolumnen

Mustafa Yeneroğlu: Der Retter der Deutschland-Türken

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Meinen ersten, live erlebten Wahlkampf habe ich genau vor Augen:

Es muss Ende der 70er Jahre gewesen sein. Ich war noch keine sieben Jahre alt. Wir lebten damals noch im Dorf in der westlichen Türkei. Wahlen standen an und es kamen Vertretet von der Milli Selamet Partisi (MSP) von Necmettin Erbakan. Sie standen vor dem Dorfplatz, von potentiellen Wählern umringt. Ich guckte durch die Beine des Wahlvolks und versuchte zu verstehen, was da überhaupt vor sich geht.

Da zog einer der Männer seinen Schuh aus, nahm ihn in die Hand und fragte:

„Meine lieben Mitbürger… Was kostet dieser Schuh? Er kostet 20 Lira. Wenn ihr uns wählt, wenn wir an die Macht kommen, dann wird dieser Schuh nur 5 Lira kosten. Jawohl, nur 5 Lira.“

Mittlerweile ist viel Zeit vergangen. Erbakan ist nicht mehr unter uns. Aber seine Schüler sind heute an der Macht, auch wenn sie zwischenzeitlich ihre Abstammung geleugnet und behauptet hatten, sie hätten ihr früheres Hemd der Milli Görüş-Tradition ausgezogen.

Heute steht wieder eine Wahl an, fast 40 Jahre nach meinem ersten Wahlkampf-Erlebnis. Am 7. Juni wählt das türkische Wahlvolk ein neues Parlament. Diesmal sind auch uns aus Deutschland bekannte Gesichter im Rennen. Einer von ihnen: Mustafa Yeneroğlu, früher Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), jetzt AKP-Kandidat.

Nun, was bieten heute die Parteien an? Was versprechen sie dem Wahlvolk? Was hat sich seitdem geändert? Was unterscheidet sie von Wahlkämpfern hier in Deutschland?

Wahl-Ver‘sprechen oder vorsätzliche Lüge?

Um mit dem letzen anzufangen: Auch hier in Deutschland geht es viel um Geld und Umzuverteilendes. Aber hier geht es um kleine Prozentpunkte. Ein Kandidat für die Berliner Bürgermeister-Wahl würde wohl mit dem Versprechen, sagen wir mal den Preis für die Dauerkarte der Berliner Verkehrsbetriebe von monatlich 60 Euro auf 15 Euro zu senken, einige Probleme bekommen. Sogar für Linke ginge das zu weit.

Aber in der Türkei ging es damals. Es ging aber auch lange Zeit danach, als (gut-)gläubige Muslime von angeblichen Holdings wie Yimpaş oder Kombassan mit Versprechen von bis zu 45 Prozent und mehr Rendite jährlich oftmals um die Ersparnisse ihres Lebens gebracht wurden.

Und es geht auch heute noch:

Die CHP von der Opposition verspricht die Verdoppelung der sozialen Hilfeleistungen, die pro-kurdische HDP will den Mindestlohn auf 1800 Lira anheben. Heute beträgt sie um die 950 Lira, eine Erhöhung um fast 100 Prozent. Die regierende AKP geht da praktischer vor: Sie verteilt Kohle an Bedürftige. Für der Partei näherstehende oder besser betuchte gibt es andere Arten der Begünstigungen, Aufnahme in den Staatsdienst ohne die umständlichen Aufnahmeprüfungen zum Beispiel.

AKP verspricht eigene Bedeutung abzuschaffen

Die AKP, die fest unter der Kontrolle von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan zu stehen scheint,  steht für die Umwandlung des Systems. Er wünscht sich unverhohlen 400 Abgeordnete. Dann sieht er die Möglichkeit, das parlamentarische System in ein Präsidialsystem türkischer Art umzuwandeln. Vergegenwärtigt man sich die Lage vor Ort, wird dann wohl für Andersdenkende nicht mehr viel Platz sein in der Türkei. Dann wird er wohl nach Art des Ludwig XIV. sagen können, und zwar mit gutem Grund: „Devlet Benim“ (L’État, c’est moi / Der Staat bin ich).

Die CHP verspricht in dieser Hinsicht soziale Gerechtigkeit sowie die Wahrung des freien, parlamentarischen Regimes. Die HDP dagegen macht sich für demokratische Autonomie und Bildung in der Muttersprache stark, was für die kurdischen Wähler von Bedeutung sein dürfte.

Die nationalistische MHP verspricht auch mehr Hilfen sowie Wahrung nationaler Interessen.

Yeneroğlu: Guter Kandidat in der falschen Partei?

Kommen wir zum Kandidaten aus Deutschland. Mustafa Yeneroğlu ist auf Wahlkampftour in Deutschland. Auch er hat einige hübsche Versprechungen für die potentiellen Wähler. Sie reichen von ganz praktischen bis zu existentiellen Identitäts-Fragen.

Mustafa Yeneroğlu

Er verspricht, für die Wahrung der Muttersprache und Kultur der Deutschland-Türken einzutreten. Er hat auch ganz praktische Versprechen, wie zum Beispiel mit den aus Deutschland hergebrachten Handys in der Türkei länger telefonieren zu dürfen sowie mit den deutschen Kennzeichen in der Türkei länger verweilen zu können. Auch in menschenrechtlicher Hinsicht ist er auf der Höhe der Zeit. Er verspricht, gegen Diskriminierung und Rassismus vorzugehen, denen türkische Mitbürger in Deutschland ausgesetzt sind.

Das sind durchaus kluge Versprechen. Er wird viel zu tun haben, falls er gewählt wird. Er kann dann sofort beginnen, vor der eigenen Haustür zu kehren. Vor kurzem wurde ein Mitarbeiter einer Nachrichten-Agentur nicht in eine Berliner Milli-Görüş-Moschee hineingelassen, da er von der „falschen Agentur“ sei. Es ist die Regierung seiner Partei, die die Bevölkerung spaltet, Hexenjagd auf Andersdenkende betreibt, jedem die Entscheidung aufzwingt: Entweder bist du für oder gegen mich.

Lieber Mustafa… Du hättest Dir viel Arbeit erspart, hättest Du die Sache mit Diskriminierung und Rassismus weggelassen. Man muss nicht unbedingt alles bringen, was modern klingt.

Glaub mir, das Versprechen des Schuhpreissenkers vor 40 Jahren war glaubwürdiger.