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Kolumnen

Die Sehnsucht nach der gesamtdeutschen Idylle

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Die Stimmung in Dresden war nicht gut. Und das hat nicht nur an den Demonstranten gelegen, die den Bundespräsidenten, den Bundestagspräsidenten und die Bundeskanzlerin, die drei höchsten Repräsentanten des Staates, beschimpft und beleidigt haben. Das war schlimm, das ist zu verurteilen. Aber nun nach Verboten zu rufen, dafür einzutreten, dass die Polizei gefälligst „Zonen der Ruhe“ zu schaffen habe, damit Feierlichkeiten am 3. Oktober ungestört verlaufen könnten, geht an den Realitäten vorbei. Es ist in einer liberal verfassten Demokratie auch gar nicht zu gewährleisten. In Wirklichkeit haben zwei seit langem existierende Tendenzen dafür gesorgt, dass der Festtag in Sachsen nicht so verlief, wie es sich die überwältigende Mehrheit der Dresdner und Deutschen gewünscht hat.

Die erste Tendenz hat damit zu tun, dass das Bekenntnis der Deutschen zum Nationalstaat weiterhin gestört ist. Störungsfrei ist es nur, wenn die Fußballnationalmannschaft vor Beginn eines Spiels die Nationalhymne singt. Als in Berlin die Mauer fiel und der damalige Regierende Bürgermeister Walter Momper bei einer Demonstration in Anwesenheit von Bundeskanzler Kohl die Nationalhymne anstimmte, gab es ein gellendes Pfeifkonzert. In vielen Gegenden Deutschlands ist es unmöglich, Bundeswehrrekruten öffentlich zu vereidigen. Die Veranstaltungen werden gestört, selbst dem populären Ex-Bundeskanzler Schmidt passierte dies vor einigen Jahren, als er vor dem Berliner Reichstag die Festansprache hielt.

Das schwierige Verhältnis zur Nation hat sich nun auch in Sachsen gezeigt, einem Bundesland, das seit geraumer Zeit negative Schlagzeilen macht, aber dennoch das interessanteste der fünf neuen Bundesländer ist. Vor allem die Dresdner leiden unter dem Vorwurf, die Hauptstadt der Pegida-Bewegung zu sein. Die Stadt und ihre Einwohner sind ein spezielles, ein schwieriges, ein komplexes Thema. Die Bombennacht vom Februar 1945 spielt darin eine gewichtige Rolle. Dagegen würden die Medien in Südfrankreich nie auf die Idee kommen, Negativschlagzeilen über Cannes und Nizza zu verbreiten, Zentren des Welttourismus, zusammen mit dem Hinterland aber auch Hochburgen der Partei von Marine Le Pen.

Die zweite Tendenz, die sich in Dresden überdeutlich gezeigt hat, ist die, dass Deutschland nicht mehr das Land ist, das es 1989/90 war. Die Feierlichkeiten laufen aber noch immer so ab, als hätte es das Vierteljahrhundert dazwischen nicht gegeben. Es sind die 25 Jahre, die die Demographie Deutschlands, die Zusammensetzung der Bevölkerung, das Erscheinungsbild der Städte verändert haben. Und auf diese Veränderung, die die Politiker anscheinend als letzte realisieren, finden sie keine Antwort. Die Reden, die in der Semper-Oper gehalten wurden, verrieten Hilflosigkeit, wirkten rückwärtsgewandt.

Hinzu kommt nun, dass die Kanzlerin seit einem Jahr in der Frage der Flüchtlinge gegen eine Mehrheit im Lande regiert. Die Deutschen sind hilfsbereit, sie sind aber auch Realisten. Das, was der österreichische Außenminister am Wochenende in einer Tagesschau sagte, fände ihre Zustimmung. Aber es gibt zur Zeit keinen deutschen Spitzenpolitiker, der dies so sagt. Somit war die Elite des Landes am 3. Oktober in Dresden für einige Minuten der Straße ausgeliefert. Das passiert selten, umso größer war der Schock.

Die Schlussfolgerung aus den Vorgängen in Dresden kann nur lauten, alles dafür zu tun, dass in der Gesellschaft ein Mindestkonsens herrscht. Die Belastungen und Anforderungen an das Land werden hoch bleiben. Beschwichtigungsformeln helfen daher nicht weiter. Die Bundesrepublik bleibt nicht die sie ist, sie ist ein anderes Land, als sie es 1990 war. Es gibt keinen Weg zurück in eine gesamtdeutsche Idylle. Wohin sich Deutschland fortan entwickelt, entwickeln soll, darüber muss gestritten werden. Das Unvermeidliche den Menschen zu sagen, den Veränderungsfaktor einzubeziehen, Feierlichkeiten zum 3. Oktober entsprechend auszurichten, wird zu den Aufgaben der Zukunft gehören. Die Politiker müssen gleichzeitig den Kontakt zur Bevölkerung zurückzugewinnen, der anscheinend verloren gegangen ist.

In ihrer schwierigen Lage hat die Bundeskanzlerin am Ende des Tages etwas getan, was übersehen zu werden drohte, sie hat am 3. Oktober, dem Tag der offenen Moschee, den Imam getroffen, auf dessen Gotteshaus ein Anschlag verübt worden war, ein wichtiges Signal in Tagen der Erregung, der Neigung zur Überreaktion.