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Politik

Die Neuordnung des Nahen Ostens: Kurdistan entsteht, Iran gewinnt, Türkei verliert

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Im Nahen Osten werden die Grenzen neu gezogen. Es wird wohl ein kurdischer Staat entstehen. Neben den USA, der EU und Israel ist Iran der Gewinner, die Türkei hingegen zählt zu den Verlierern. (Foto: reuters)

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Hassan Ruhani und Abdullah Gül.
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ANALYSE Nach einem Jahrhundert werden die Spielkarten im Nahen Osten von neuem verteilt. Syrien befindet sich am Abgrund, der Irak steht vor der Spaltung und Ägypten hat in der Region kaum noch Mitspracherecht. Auch die Regierung in Ankara muss nun regungslos zusehen, wie sich die Grenzen unweit seiner südlichen Flanke verändern. Es zeichnet sich ab, dass im Nahen Osten nichts mehr beim Alten bleiben wird. Weder der Irak noch Syrien werden ihre staatliche Einheit wahren können. Zudem heizen radikale Salafisten ethnisch-konfessionelle Konflikte an. Und der Westen, der die Konflikte in der Region ausbremsen könnte, zeigt sich wenig betroffen. Schließlich bekämpfen sich ja Muslime gegenseitig.

Ein türkischer Diplomat beschreibt die Lage im Nahen Osten wie folgt: „Macht Euch keine großen Sorgen, was den selbsternannten Kalifenstaat angeht. Weder die globalen noch die regionalen Mächte werden zulassen, dass ein solcher Staat dauerhaft Bestand haben kann. Aber eins steht fest, wir müssen uns auf neue Staaten, Grenzen und möglicherweise weitere militärische Auseinandersetzungen einstellen. Die alten Karten sind bedeutungslos. Die erste Spaltung könnte in Nordirak vollzogen werden.“

Auch die Türkei ist für einen kurdischen Staat

Diese Skizzierung der Lage im Nahen Osten deckt sich auch mit den Aussagen des Regierungssprechers der AKP, Hüseyin Çelik, ab. Vor einigen Tagen äußerte er sich gegenüber der Financial Times, dass die Türkei keine ablehnende Haltung einnehmen werde, wenn es zu einem unabhängigen Kurdistan kommen sollte. Auch Ankara scheint sich also den neuen Grenzziehungen gefügt zu haben.

Ein einflussreicher politischer Berater in Ankara hingegen äußert sich folgendermaßen: „Die Teilung des Irak und die Entstehung des kurdischen Staates können nicht mehr aufgehalten werden. Ankara wird versuchen, das unabhängige Kurdistan anzuerkennen, ohne dabei jedoch den Zorn der arabischen Anrainerstaaten auf sich zu ziehen. Auch der Westen möchte ein unabhängiges Kurdistan, mindestens so viel wie die Kurden selbst.“

Die westlich-israelische Achse unterstützt das Entstehen eines kurdischen Staates nicht aus bloßem Idealismus und bloßer Liebe gegenüber den Kurden. Dass Israel historisch gute Beziehungen mit den Kurden pflegt, hat geopolitische Gründe. Aus israelischer Sicht würde sich im Nahen Osten somit ein neuer Verbündeter herauskristallisieren und zugleich hätte man den ewigen Feind, nämlich den sunnitischen Raum, gespalten und deutlich geschwächt. Außerdem könnten der Westen und Israel die Erdölreserven des Landes erschließen. Ein unabhängiges Kurdistan hätte auch die Möglichkeit, über die kurdischen Minderheiten in der Türkei und im Iran Einfluss auf diese beiden Staaten auszuüben. Deshalb wäre ein unabhängiges Kurdistan für den Westen und Israel ein durchaus lukratives Geschäft, um ihren politischen, wirtschaftlichen und regionalen Einfluss auszubauen.

Aus dem arabischen Frühling ist ein arabischer Winter geworden

Auch im Inneren waren die Bedingungen für einen kurdischen Staat noch nie so erfolgversprechend. Die Teilung des Irak begann praktisch mit dem Abzug der USA 2003 und vertiefte sich schließlich durch die Politik des schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki. Die Schiiten im Süden, die Sunniten im Zentrum des Landes sowie die Kurden im Norden haben ihre Grenzen schon längst gezogen. Das föderale Parlament hat nun seit April nicht mehr getagt und demonstriert durchaus, dass so etwas wie Einheit und Gemeinsamkeit im Irak kaum noch vorhanden ist.

Da kommt die terroristische Extremistengruppe Isis den verschiedenen Parteien für ihr spalterisches Vorhaben sehr gelegen. Denn dadurch haben sich die Schiiten, Sunniten und Kurden bewaffnet und haben damit begonnen, „ihre Grenzen“ zu verteidigen. Zudem hat sich die zentrale irakische Armee aufgelöst. Nicht weil die Isis das Land betreten hat, sondern weil die Parteien es so wollen, steht das Land nun vor der finalen Spaltung.

Nicht nur der Irak, auch Ägypten und Syrien, wo vor zwei Jahren noch euphorisch der „arabische Frühling“ gefeiert wurde, sind am Boden zerstört. Die revoltierenden Protestbewegungen dieser Länder müssen nun den Kürzeren ziehen. In Ägypten sah es eine Zeitlang so aus, als wenn die Muslimbruderschaft als Sieger des Umsturzes hervorgeht. Doch inzwischen sitzen tausende ihrer Anhänger in Haft und hunderte wurden zum Tode verurteilt. In Syrien hingegen hat Assad es geschafft, seine Machtposition zu sichern. Der arabische Frühling hat dem Nahen Osten weder Heil noch Demokratie gebracht, sondern sogar dazu geführt, dass die betroffenen Länder große Schritte nach hinten gemacht haben. Die zunehmende Vertiefung der religiösen, ethnischen und konfessionellen Spaltung verspricht der Region eine grauenvolle Zukunft.

Nicht nur USA, EU und Israel sind die Gewinner

Die Gewinner der neuen Ordnung des Nahen Ostens sind nicht nur mit Israel, der EU und den USA begrenzt, sondern auch der Iran zählt zu den Profiteuren. Die tiefe Spaltung in der sunnitisch-arabischen Achse wird die Position des Iran deutlich stärken. Der sogenannte „schiitische Halbmond“ wird sich weiterhin ausdehnen. Zudem beschädigt das Dasein extremistisch-terroristischer Gruppen wie das der Al-Qaida und Isis das Ansehen des sunnitischen Islams. Aus Sicht Teherans sind das gute Nachrichten. Mit Hassan Rohanis Wahl zum Präsidenten hat sich auch eine deutliche Annäherung zwischen dem Iran und dem Westen abgezeichnet. Washington hat auch schon die ersten Zeichen gegeben, dass sie die Rolle ihres „neuen“ Verbündeten bei der neuen Gestaltung des Nahen Ostens berücksichtigen werden.

Doch mit was für einem Nahen Osten wird die Welt es künftig zu tun haben? Zunächst einmal zeichnet sich ab, dass es recht lange dauern wird, bis sich die neue Ordnung komplett etabliert hat. In der Zwischenphase werden die alten Grenzen ihre Bedeutung zunehmend verlieren, ethnisch geprägte Konflikte werden zunehmen und schließlich wird ein noch viel tiefgründiger gespaltener Naher Osten hervorstechen. Nichtstaatliche Akteure wie die Al-Qaida und Isis werden in den Vordergrund treten und ihnen wird eine Rolle in der regionalen Politik zuteil werden. Während sich die Grenzen und Hauptstädte verändern, wird logischerweise zwischen den nichtstaatlichen Akteuren ein Kampf um Einfluss im Nahen Osten entflammen. Doch auch wenn sich die neue Ordnung etabliert hat, wird der Irak weiterhin ein Pulverfass bleiben.

Nahostexperte Dr. Alper Dede von der Zirve-Universität in Gaziantep erklärt: „Die neue Ordnung im Nahen Osten wird sicherlich den Kurden zuspielen, doch daneben ergeben sich auch für Israel und für den Iran neue Spielräume. Dass es in kurzer Zeit zum Entstehen eines unabhängigen Kurdistans käme, wäre keine Überraschung mehr. Gleich danach wird es höchstwahrscheinlich zur Gründung eines schiitischen Staates im Süden des Irak kommen. Zu guter Letzt werden die irakischen Sunniten versuchen ihren eigenen Staat auf die Beine zu stellen, was jedoch schwierig werden könnte, weil ihnen terroristische Gruppen wie die Isis im Weg stehen. Doch es ist davon auszugehen, dass der Westen die Isis langfristig im Nahen Osten nicht dulden wird.“

Und die Verlierer….

Die Gewinner der neuen Ordnung des Nahen Ostens sind eigentlich leicht festzustellen. Doch was ist mit den Verlierern? Ohne Zweifel gehört Ankara zu den Verlierern der neuen Ordnung. Und sie hat sogar selber entscheidend dazu beigetragen. Die Türkei erlebt nun die Folgen ihres Abenteuers in Syrien und im Irak. Mit beiden Staaten herrscht momentan eine düstere Feindschaft. Im Falle Syrien hat sich Ankara von der allgemeinen Haltung des Westens gelöst und hat sich schließlich in der Region als auch in der Welt alleinstehend wiedergefunden. Obwohl noch vor dem Ausbruch des arabischen Frühlings die Türkei als demokratisches Modell für die islamische Welt diente, hat sich das Blatt innerhalb von nur drei Jahren gewendet. Die Veränderungen unmittelbar an den eigenen Grenzen werden wirtschaftliche, politische und kulturelle Probleme mit sich bringen. Auch dafür ist Ankara nicht vorbereitet.

Ankara konnte in seiner Nahostpolitik seit 2011 keine nennenswerten Erfolge verbuchen und zudem haben sich die Ziele und „roten Linien“ der türkischen Nahostpolitik gewandelt. Beispielsweise hat Ankara es nicht geschafft, die irakischen Turkmenen vor den Milizen der Isis zu schützen. Sie überlässt sogar die turkmenische Stadt Kirkuk seinem Schicksal. Auch die Beziehungen zu Syrien und Ägypten sind desaströs. Obwohl die türkische Regierung ihre Haltung gegenüber Damaskus und Kairo gelockert hat, hat sie ihre eigentliche Politik nicht revidiert.

Anstatt zu versuchen, auf die revolutionären Veränderungen im Nahen Osten Einfluss auszuüben, hat die türkische Regierung ihre Zeit damit verbracht, sich mit innenpolitischen Diskussionen zu beschäftigen. Wer jetzt nicht mit am Tisch sitzt, wird auch künftig kaum Mitspracherecht in der Region haben. Die Isolation der Türkei könnte sich weiter vertiefen.

Ankara ist sich der Gefahr nicht bewusst

Die Vertiefung der Spaltung Syriens und des Irak gefährdet die Sicherheit der südlichen Grenzen der Türkei. Der Raum zur südlichen Grenze der Türkei wird nicht mehr von einer staatlichen Autorität kontrolliert, sondern von nichtstaatlichen Akteuren. Im Norden Syriens hat sich weitestgehend die PKK festgesetzt, zudem werden zentrale Teile des Irak und Syriens gegenwärtig von der Isis kontrolliert. All diese Entwicklungen werden ihre Wirkung in der Türkei zweifelsfrei entfalten. Dass nach Syrien nun auch der Irak afghanistanähnliche Zustände annimmt, könnte in der Türkei hingegen zu pakistanähnlichen Zuständen führen, das heißt, das Land könnte sich zu einem Rückzugsort für Extremisten entwickeln und innenpolitisch stark destabilisiert werden. Obwohl die Aussichten finster sind, betrachten in der Türkei konservative Denker, Politiker und Bürokraten die extremistischen Gruppen an der Grenze noch immer mit Sympathie. Deshalb tun sie sich auch schwer damit die kommenden Gefahren zu erkennen. Das Gegenmittel gegen den salafistisch-terroristischen Trend liegt im Sufismus, also im traditionellen Islam.

Erschienen in dem Wochenzeitschrift „Aksiyon“ am 09.07.2014.