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Politik

„Sie haben mir aber nicht gesagt, dass Sie ein Kopftuch tragen“

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Im Deutsch-Arabischen Zentrum Berlin-Neukölln berichteten muslimische Frauen den Bundestagskandidaten über ihre täglichen Diskriminierungserfahrungen. Die anwesenden Politiker taten immerhin schon mal ihr Bestes, überrascht zu wirken. (Foto: A. Maarouf)

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Im Deutsch-Arabischen Zentrum Berlin-Neukölln berichteten muslimische Frauen den Bundestagskandidaten über ihre täglichen Diskriminierungserfahrungen.
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„Qualität ist entscheidend und nicht Nationalität!” Dies waren die Worte des FDP-Direktkandidaten für den Wahlkreis 8, Axel Bering, am vergangenen Freitag bei der Veranstaltung eines Projekts des Deutsch-Arabischen-Zentrums (Leiterin Frau Potschka) gegen die Diskriminierung von Musliminnen. Es wurden Politiker eingeladen, welche die im Bundestag vertretenen Parteien CDU, SPD, FDP, Die Grünen/Bündnis 90 und die Linke vertraten.

Das Deutsch-Arabische Zentrum (DAZ) für Bildung und Integration wurde 2008 in Berlin-Neukölln gegründet. Anlass der Gründung waren die Zunahme der Anzahl straffälliger Kinder und Jugendlicher mit arabischem Migrationshintergrund sowie die steigende Zahl an Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die die Schule mit keinem oder nur einem sehr schlechten Abschluss beendeten. Das Ziel war es, ein Deutsch-Arabisches Zentrum für Bildung und Integration als Anlaufstelle für arabische und deutsche Mitbürger zu gründen. Der Veranstalter war das Frauenprojekt des Deutsch-Arabische-Zentrum „Al Nisa” (arabisch für „die Frauen”).

Das Thema des Freitagmorgens lautete „Diskriminierung von Musliminnen – Was kann die Politik dagegen tun?” Unter der Moderation der Leiterin des EJF gAG (Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk gemeinnützige AG), Frau A. Potschka, der Projektleiterin Frau M. Wettach und Frau Dr. N. Abdul- Wahab berichteten deutsche, arabische und türkische Musliminnen über ihre persönlichen Erfahrungen und diskutierten mit den Direktkandidaten Neuköllns über politische Handlungsmöglichkeiten.

Neben dem FDP-Direktkandidaten Axel Bering waren der Kreisvorsitzende der SPD in Berlin-Neukölln und stellvertretende Landesvorsitzende der Berliner SPD, Dr. Fritz Felgentreu aus dem Ausschuss für Familien- und Bildungspolitik, CDU-Direktkandidatin Christina Schwarzer vom Finanzausschuss, Grünen-Direktkandidatin Anja Kofbringer vom Ausschuss Integration und Frauen und Linke-Direktkandidat Ruben Lehnert anwesend.

„Sie haben mir aber nicht gesagt, dass Sie ein Kopftuch tragen“

In den drei Stunden der Veranstaltungen bot sich ein hervorragendes Schauspiel: Während gebildete, größtenteils Kopftuch tragende Frauen von ihren schlechten Erfahrungen berichteten, taten die Politiker entsetzt, so als wäre es das erste Mal, dass sie von solchen Diskriminierungen hörten.

Das erste Thema handelte von der Diskriminierung auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Hier nannten Frauen im Alter von 20-50 Jahren verschiedene Beispiele der Diskriminierung, wie Vorurteile gegen das Kopftuch, die fehlende Anerkennung des Studienabschlusses aus dem Heimatland und die Ablehnung gegen die muslimische Glaubenszugehörigkeit, vor allem bei deutschen Frauen.

Eine Kopftuch tragende Erzieherin nannte ein Beispiel dafür, dass sie wegen des Kopftuches abgelehnt wurde. Beim telefonischen Bewerbungsgespräch wären die Leiter der Kindertagesstätte begeistert von ihrem einwandfreien Deutsch gewesen und sie gaben an, es käme ihnen sehr entgegen, dass ihre Muttersprache Arabisch sei. Mit viel Optimismus ging diese Dame zum Bewerbungsgespräch und bekam als erstes zu hören: „Sie haben mir aber nicht gesagt, dass Sie ein Kopftuch tragen!”

Die Erzieherin verstand nicht, was das Problem damit sei und erklärte es als Vorteil, da die Kinder mit Migrationshintergrund sehen würden, dass man trotz Kopftuches und trotz anderer Religionen die Möglichkeit habe, etwas zu erreichen. Allerdings schickte der Arbeitgeber die Erzieherin nach Hause und sie erhielt wenige Tage später die Absage, in der stand, dass sie aufgrund ihres Studiums für die Kita überqualifiziert sei. Was die Erzieherin aber vor allem verärgerte, war, dass sie zwar bei ehrenamtlicher Arbeit gerne in Kitas oder Schulen mitwirken darf, doch sobald es darum ginge, eine feste Einstellung zu erhalten, werde das Kopftuch zum Hindernis.

Diesem Beispiel folgten zahlreiche andere. Eine angehende Hebamme wurde aufgrund ihres Kopftuches kein Arbeitsplatz gewährt, eine türkische Mutter wurde gefragt, ob sie auch „sozialisiert“ wäre. Daraufhin antwortete sie mit der Gegenfrage, was denn in den Augen des Arbeitgebers „sozialisiert“ bedeute, ob man einen Minirock oder eine Hose tragen solle, wenn man schon die Sprache sehr gut beherrscht und sich, so weit es geht, integriert hat. Eine weitere Erzieherin wurde beim Bewerbungsgespräch nach ihrer Konfession gefragt und ihr wurde gesagt, dass sie, solange sie nicht mit den Kindern anfange, im Koran zu lesen, den Praktikumsplatz bekommen würde. Eine studierte Lehrerin und Erziehungswissenschaftlerin aus Jordanien muss in Berlin einfachste Arbeit verrichten, für die man keinen Abschluss benötigt, da ihr Abschluss in Deutschland nicht anerkannt wird.

„Baldige Ehefrauen“ sollen nicht mitreden dürfen

Außerdem wurden muslimische Schülerinnen, die sich während des Ausbildungsjahres für das Kopftuch entschieden hatten und davor keins trugen, gefragt, ob sie nun verheiratet wären. Sie wurden von den Lehrern nicht ernst genommen und es wurde ihnen teilweise nicht erlaubt, im Unterricht mitzudiskutieren, mit der Begründung „Du wirst ja sowieso bald heiraten, für deinen Mann kochen und keine eigene Meinung haben dürfen.”

Trotz der Integration dieser Frauen wurden ihnen viele Barrieren aufgestellt und die Frage an die Politiker war vor allem, wie sie diese Barrieren beheben könne.

Der Linke-Direktkandidat R. Lehnert war so entsetzt, dass er nicht auf alle Fragen antworten konnte. „Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich bin so empört, ich bin nicht in der Lage auf alle Fragen zu antworten. Ich möchte nur sagen, dass wir gegen Diskriminierung ankämpfen. Wir stellen uns vor die Moscheen in Berlin, um sie vor den Angriffen der Neonazis zu schützen.”

Der relativ unbeeindruckt wirkende Axel Bering von der FDP war der Meinung, dass man als Gesellschaft gemeinsam gegen Diskriminierung kämpfen müsse. „Dies ist kein Prozess, der von heute auf morgen erfolgt.”

Anja Kofbringer von den Grünen sprach sich gegen das Arbeitsverbot für Flüchtlinge aus, da dieses zu großen Diskriminierungen führe. „Wir hindern Menschen aktiv daran, zu arbeiten. Es ist klar, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist!” Mit Blick auf die Schilderungen der betroffenen Frauen forderte sie alle Betroffenen herzlich auf, sie zu kontaktieren, um gemeinsam eine Lösung zu finden, da man laut Grundgesetz gegen solche Arbeitgeber klagen könne.

CDU-Vertreterin distanziert sich unentwegt von ihrer eigenen Partei

Der SPD-Vertreter Dr. Felgentreu war im Laufe der Veranstaltung eher zurückhaltend und sagte, dass man eine „Anerkennung für die Ausbildung oder die Abschlüsse” schaffen müsse.

Christina Schwarzer wiederum schien einen Anti-CDU-Kampf zu starten. Im Laufe der Veranstaltung betonte sie mehrmals, bei diesem und jenem Punkt nicht mit ihrer Partei übereinzustimmen und eine andere Ansicht zu bestimmten Themen hätte. Als sie daraufhin vom Publikum gefragt wurde, warum sie denn dann in dieser Partei sei, wenn sie eine andere politische Ansicht hätte und ob man, wenn man sie wählen würde, Schwarzers Meinung oder die der CDU wählen würde, war die Antwort der Kandidatin ein verschämtes Lachen. Bezüglich der Diskriminierung der Frauen sagte sie, dass „es beschämend ist, dass diesen Frauen so etwas geschieht. Man soll aufgrund seiner Qualifikation etwas erreichen können, ganz gleich, woher man kommt oder welche Religion man hat.”

Ob die Politiker diese muslimischen Frauen überzeugen konnten, bleibt offen. Dies wird sich am Ende der kommenden Woche zeigen. Hilfreiche Antworten oder Handlungsmöglichkeiten eröffneten sich bei dieser Veranstaltung nicht. Die einzigen Überzeugenden waren die Frauen, die den Mut hatten, sich zu Wort zu melden und entschlossen sind, weiterhin für ihre Rechte zu kämpfen.