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Politik

Nichts neues bei der CHP: Erfolglos, zerstritten und auf der Suche nach Orientierung

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Nach der Wahlniederlage der CHP begehrt der ultrasäkularistische Parteiflügel auf. Der Abgeordnete Muharrem İnce hat bereits seine Kandidatur gegen Kılıçdaroğlu angekündigt. Schafft die ehemalige Staatspartei den Wandel zu einer Volkspartei? (Foto: rtr)

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Nach der Wahlniederlage der CHP begehrt der ultrasäkularistische Parteiflügel auf. Der Abgeordnete Muharrem İnce hat bereits seine Kandidatur gegen Kılıçdaroğlu angekündigt. Schafft die ehemalige Staatspartei den Wandel zu einer Volkspartei?
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Der Sieg hat viele Väter, die Niederlage nur einen. Und Letztere hat Kemal Kılıçdaroğlu seit seinem Amtsantritt als Vorsitzender der größten türkischen Oppositionspartei, der Cumhuriyet Halk Partisi (Republikanische Volkspartei; CHP) am 22. Mai 2010 nun möglicherweise ein mal zu oft erlebt.

Gemessen an den Ergebnissen war die Amtszeit des vor vier Jahren an die Stelle des über einen Sexskandal gestolperten Deniz Baykal getretenen Kılıçdaroğlu zweifellos ein Fiasko. Kılıçdaroğlu, der 2009 das Rennen um den Posten des Oberbürgermeisters von Istanbul gegen Kadir Topbaş verlor, scheiterte im September 2010 beim Verfassungsreferendum, als seine Partei dessen Ablehnung angestrebt hatte. Auch bei den Parlamentswahlen 2011 zog die CHP klar den Kürzeren. Die Kommunalwahlen im März 2013 stärkten, obwohl Kılıçdaroğlu einige besonders dogmatische Positionen innerhalb der Partei zurückgedrängt und diese geöffnet hatte, wieder die regierende Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung; AKP). Und auch die Präsidentenwahlen am 10. August endeten für den gemeinsamen Oppositionskandidaten Ekmeleddin İhsanoğlu, den Kılıçdaroğlu über die Köpfe zahlreicher Altkemalisten innerhalb der Partei durchgesetzt hatte, einmal mehr auf dem zweiten Platz.

Nun rebelliert vor allem die alte Garde gegen den Ökonomen und Finanzwissenschaftler aus der an die prokurdische Barış ve Demokratik Partisi (Partei für Frieden und Demokratie; BDP) gefallenen früheren CHP-Hochburg Tunceli, dem sie bereits des Öfteren vorgeworfen hatten, eine zu konservative Linie zu verfechten. Kılıçdaroğlu scheint sich in sein Schicksal zu fügen. Gegenüber Reportern erklärte er am Donnerstag, er werde, wie von den innerparteilichen Kritikern gefordert, einen außerordentlichen Parteikongress abhalten. Dieser soll am 5. September stattfinden. Stellvertreter Haluk Koç erklärte, auf diese Weise wolle man die Diskussion um die Präsidentschaftswahlen beenden

Innerparteiliche Kritiker erreichten notwendige Unterschriftenanzahl nicht

Zwar gelang es den Kritikern, die es für einen strategischen Fehler hielten, einen gemeinsamen Kandidaten mit der Milliyetçi Hareket Partisi (Partei der Nationalen Bewegung; MHP) zu suchen, nicht, genügend Unterschriften für einen außerordentlichen Kongress zur Bestimmung eines neuen Parteichefs zu sammeln. Kılıçdaroğlu wollte aber offenbar nicht zulassen, dass seine Autorität weiter untergraben wird, und trat die Flucht nach vorne an.

„Wir sind die Partei, die die Demokratie in diesem Land eingeführt hat“, begründet Kılıçdaroğlu diesen Schritt. „Wir sind in derselben Partei mit unterschiedlichen Auffassungen, aber jedem sollte auch klar sein, dass wir der Parteidisziplin gegenüber strikt loyal sein sollten.“

Mit Muharrem İnce hat auch bereits ein möglicher Herausforderer für den noch amtierenden Parteivorsitzenden seinen Hut in den Ring geworfen. Der Abgeordnete für Yalova war einer jener innerparteilichen Kritiker, die auf einen außerordentlichen Kongress drängten, und hat bereits angedeutet, selbst kandidieren zu wollen. „Ich bin sehr froh darüber. Eine Kandidatur für den Parteivorsitz anzukündigen ist Teil der Traditionen unserer Partei und unserer Demokratie. Die letzte Entscheidung liegt bei den Delegierten“, äußerte sich İnce.

„Ergenekon“-naher Verein als Hausmacht des Herausforderers

Sollte er gewählt werden, werde er seinen Posten des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden zurücklegen, kündigte İnce an. Er gilt als vehementer Unterstützer des früheren Vorsitzenden Deniz Baykal und als Vertreter des ultrasäkularistischen Parteiflügels, dessen Hausmacht vor allem der Atatürkçü Düşünce Derneği (Verein zur Förderung der Ideen Atatürks) ist, dessen Provinzvorsitzender in Yalova der frühere Chemie- und Physiklehrer war.

Der Verein war federführend bei den Massendemonstrationen gegen die Regierung Erdoğan 2007, deren Ziel es war, einen Militärputsch gegen die gewählte Administration durchzuführen. Zahlreiche Exponenten des Vereins stehen im Verdacht, an den Aktivitäten der regierungsfeindlichen Parallelstruktur „Ergenekon“ beteiligt gewesen zu sein.

Die Erfolglosigkeit der CHP ist jedoch nicht nur abhängig von Personen und Wahlerfolgen. Die Partei Atatürks wird von vielen Türken immer noch als die Staatspartei schlechthin betrachtet, die sie bis zu dem Übergang in das Mehrparteiensystem im Jahre 1946 tatsächlich war. (rtr)

Auch andere Vertreter der innerparteilichen Opposition wie die Istanbuler Abgeordnete Nur Serter zeigten sich zufrieden mit der Ankündigung Kılıçdaroğlus. „Das war unsere Erwartung. Wir sind zufrieden damit“, äußerte sich Serter gegenüber der Nachrichtenagentur Anadolu.

CHP: Von Staatspartei zur Volkspartei?

Die Erfolglosigkeit der CHP ist jedoch nicht nur abhängig von Personen und Wahlerfolgen. Die Partei Atatürks wird von vielen Türken immer noch als die Staatspartei schlechthin betrachtet, die sie bis zu dem Übergang in das Mehrparteiensystem im Jahre 1946 tatsächlich war. So sah und sieht sich die CHP immer noch als „Hüterin der Kemalismus“, auch wenn sie es nicht so laut ausspricht, wie bis vor einigen Jahren. Die CHP hat sich lange einem demokratischem Konkurrenzkampf auf dem Wählermarkt verweigert. Unter der AKP-Regierung hat sie die schmerzhafte Erfahrung gemacht, dass sie ohne ein demokratisches Profil nicht nur nicht mehr an die Regierung kommt, sondern ihr die Unterstützung der kemalistischen Eliten, Großunternehmen und laizistisch ausgerichteten Medien nicht reicht. Denn die AKP hat sich – die CHP nachahmend – zur Staatspartei entwickelt und es dabei nicht versäumt die Unetrstützung der Bevölkerung beizubehalten. Auch wenn diese Entwicklung durch die Anwendung anti-demokratischer Mittel erfolgte.

Mit derartigen Strategien hat die CHP in der Vergangenheit bereits reichlich Erfahrung gesammelt und steht nun zum ersten mal in ihrer Geschichte vor der Aufgabe für ihr politisches Konzept die Unterstützung der türkischen Wähler zu gewinnen. Denn ohne eine Mehrheit in der Bevölkerung wird es der CHP nicht gelingen, die neue Staatspartei AKP von der Macht zu verdrängen.