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Gesellschaft

Jahrestag der NSU-Aufdeckung: Woran scheitert Deutschland seit nunmehr drei Jahren?

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Vor drei Jahren wurden die Taten des NSU-Terrors aufgedeckt. Die Empörung war groß. Davon ist heute nicht mehr viel zu spüren. Der NSU-Prozess in München lahmt, die Zahl rechtsextremer Gewalttaten steigt. (Foto: dpa)

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Die Taten der mutmaßlichen Terrorgruppe „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) ließen Deutschland im Herbst 2011 nicht los. Wer wollte schon in einem Land leben, in dem Menschen sterben, während Sicherheitsbehörden wegschauen? Fassungslosigkeit, Empörung und Wut auf Politik und Polizei machten die Runde: Wie konnte das nur geschehen?

Sebastian Edathy (SPD), der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag sprach später von einem „Struktur- und Mentalitätsproblem“. Linke Politiker beklagten tiefsitzende Ressentiments gegen Zuwanderer bei den deutschen Sicherheitsbehörden und der Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, forderte gar eine Quote für Polizisten mit Migrationshintergrund.

Ein Prozess, drei Untersuchungsausschüsse und zahlreiche Demonstrationen, Protestaktionen und Gedenktage: Seither ist viel passiert. Gedenkfestivals fanden statt, der Verfassungsschutz wurde reformiert und die einzige Überlebende seit nun mehr als eineinhalb Jahren prozessiert.

Der dritte Jahrestag des Auffliegens des sogenannten NSU zeigt dennoch klar und deutlich: Obwohl Rechtsextremismus in Deutschland nach den Ausschreitungen bei der Hooligan-Demo am vergangenen Wochenende in Köln wieder einmal die Schlagzeilen füllt, ist das Interesse am sogenannten NSU verschwunden. Die mageren Ergebnisse der Aufarbeitung und das verlorene Vertrauen haben ihre Spuren hinterlassen.

Einige der größten Rätsel des sogenannten NSU sind noch immer ungeklärt. Wie konnten die drei Neonazis überhaupt abtauchen? Wurde das mutmaßliche zehnte Opfer, die Polizistin Michelle Kiesewetter, nur zufällig ausgewählt? Wie groß war das Helfernetz? Haben die V-Leute dem Verfassungsschutz wirklich so wenig berichtet? Oder „wurden“ dort Informationen verschwunden?

Der Prozess gegen Beate Zschäpe und ihre Unterstützer findet in den Medien kaum mehr statt. Dabei war der Beginn der Verhandlungen im vergangenen Jahr eigens wegen des hohen Presseinteresses verschoben worden. Per Losverfahren musste damals geklärt werden, wer eine Akkreditierung erhielt. Heute bleiben die Reihen im Saal des Münchener Oberlandesgerichts auch auf der Pressetribüne immer öfter leer.

Im Prozess selbst geht es schleppend voran. Beate Zschäpe sagt nichts und der vorsitzende Richter Manfred Götzl müht sich weiterhin mit schweigsamen Zeugen aus der Neonaziszene ab. Weiterhin liefert der Prozess mehr Fragen als Antworten. Aufgrund der vielen Ermittlungspannen erscheint es fast so, als wolle man die Taten des sogenannten NSU nicht aufdecken.

„Sie kommen, reden und verschwinden wieder“

Selbstverständlich sind es schwierige Fragen. Doch hatte im Vorfeld des NSU-Prozesses irgendjemand einen einfachen Verhandlungsverlauf erwartet? Nein! Es wird höchste Zeit, dass endlich eine bedingungslose Aufklärung der NSU-Mordserie beginnt.

Indes wird deutlich, dass Rechtsextremismus keinesfalls ein verschwindendes Phänomen in der Bundesrepublik ist. Neonazis agieren noch häufiger gewalttätig. Aus einer Statistik der Bundesregierung geht hervor, dass seit Bekanntwerden des sogenannten NSU sogar eine Steigerung rechtsradikaler Gewalttaten stattgefunden hat. Kaum verwunderlich, dass die Bundesregierung mittlerweile von einem „erhöhten Gefährdungspotenzial“ spricht.

Die Opfer haben das Vertrauen in die deutsche Demokratie längst verloren. „Es wird höchste Zeit, dass der NSU vollständig aufgeklärt wird“, sagt Mahmut Öztürk, ein Kioskbesitzer aus der Kölner Keupstraße, wo Mundlos und Böhnhardt im Juni 2004 eine Nagelbombe zündeten und 22 Menschen zum Teil schwer verletzten. Seit der Aufdeckung des NSU hätten viele Politiker seine Straße besucht. „Sie kommen, reden und verschwinden wieder. Wirklich verändern, tun sie nichts“, sagt er.

Die Mordserie an acht türkischstämmigen und einem griechischen Händler sowie einer Polizistin ist die wohl größte Schande der Bundesrepublik seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Opfer werden nicht wieder lebendig, aber die lückenlose Aufklärung wäre eine Genugtuung für die Hinterbliebenen. Der Jahrestag ist eine traurige Erinnerung gegen das Vergessen.