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Politik

NSU-Komplex: Wann hält Merkel ihr Versprechen nach „voller Aufklärung“?

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Zwei mutmaßliche NSU-Mitglieder sollen für Firmen eines V-Mannes des Bundesverfassungsschutzes gearbeitet haben: Beate Zschäpe und Uwe Mundlos. Dennoch blieb die Fahndung ohne Erfolg. Warum?

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Gedenkfeier für Halit Yozgat
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„Schwer erträglich“ für die Mordopfer des NSU – so wertet der Münchner Rechtsanwalt Yavuz Narın, Nebenkläger im NSU-Prozess, die jüngsten Enthüllungen über das Umfeld des „ Nationalsozialistischen Untergrunds“. Demnach könnte ein zeitweiliger V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz zwei der abgetauchten mutmaßlichen NSU-Terroristen in seinen Firmen beschäftigt haben: Uwe Mundlos und Beate Zschäpe.

Das war in den Jahren, als das Trio Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt im Untergrund lebte. Die eine Behörde – die Polizei – fahndet nach den dreien, eine andere – der Verfassungsschutz – arbeitet mit einem Mann zusammen, der die Gesuchten zum Teil bei sich beschäftigt? Das, so Narıns Kollege Mehmet Daimagüler, „überrascht sogar mich“.

Der V-Mann, um den es geht, heißt Ralf Marschner, Deckname „Primus“. Einigen Journalisten gilt er seit Jahren als wichtige Figur im Umfeld des NSU. Spiegel oder Süddeutsche Zeitung gingen der Frage nach, ob und wie gut er das NSU-Trio kannte. Die Chemnitzer Freie Presse titelte schon im Februar 2013: „Jobbte Beate Zschäpe in rechtem Szeneladen in Zwickau?“ Letztlich ließen sich die Hinweise aber nie erhärten.

Jetzt sieht es so aus, als bestätige sich die Sache doch. Ein früherer Kompagnon Marschners erinnert sich, er habe im Jahr 2004 dessen Laden „Heaven and Hell“ finanziert. Frage an den Kompagnon: „Kannten Sie die Mitarbeiterinnen, die dort arbeiteten?„“ Selbstbewusste Antwort: „Ja, alle.“ Nachfrage: „War eine von ihnen Beate Zschäpe?“ Antwort: „Darauf antworte ich nicht am Telefon.“ Und dann, gleich darauf: „Ich habe nicht nein gesagt“. Und dann schließlich: „Ich hätte ja auch nein sagen können.“

Neue Fundstücke erhärten Vermutung

Also ja? Das würde zu einem Aktenfundstück passen. Es betrifft die Vernehmung eines anderen Zwickauer Neonazis im Februar 2012, ebenfalls ein früherer Geschäftspartner Marschners. An einer Stelle dieses Vernehmungsprotokolls ist eine Frage der Vernehmer notiert, die eigentlich keine Frage ist, sondern eine Feststellung: „Es liegen Erkenntnisse vor, dass die Beate Zschäpe im Ladengeschäft „Heaven and Hell“ gearbeitet oder wenigsten (sic!) ausgeholfen haben soll.“

Das war während der Jahre, als der NSU mutmaßlich zehn Menschen ermordete. Neun Opfer – griechisch- und türkischstämmige Gewerbetreibende – wurden aus rassistischen Gründen ermordet. Der zehnte Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 ist bis heute rätselhaft. Im selben Jahr verschwand V-Mann Marschner aus Zwickau.

Eine müsste es genau wissen – Beate Zschäpe. Anfrage bei ihrem Anwalt Mathias Grasel; der antwortet, er wolle die Information „weder bestätigen noch dementieren“. Auch beim Bundesverfassungsschutz müsste derartiges bekannt sein. Dort antwortet eine Sprecherin nur, es gebe dazu „keine Erkenntnisse“ – dieselbe Antwort wie auf die Frage, ob auch Uwe Mundlos für Marschner arbeitete.

Das, so berichtet die „Welt“, soll ein paar Jahre vorher gewesen sein, in den Jahren 2000 bis 2002. Mundlos sei unter seiner Tarnidentität „Max Florian Burckhardt“ von Marschner als Bauleiter eingesetzt worden, brisanterweise auf Baustellen in Nürnberg und München. Das „Welt“-Autorenteam um Stefan Aust berichtet: „Marschners Firma und damit Mundlos waren zu einer Zeit auf Baustellen im Raum Nürnberg und München aktiv, als dort die ersten von insgesamt zehn Morden des NSU verübt wurden.“

Marschners Firma habe auch Mietfahrzeuge eingesetzt – einige an den Tagen, an denen die NSU-Mitglieder in Nürnberg einen türkischen Änderungsschneider und in München einen türkischen Obst- und Gemüsehändler erschossen haben sollen – Abdurrahim Özüdoğru und Habil Kılıç.

„Jetzt versteht man die Aktion Konfetti“

„Der Ball liegt jetzt bei der Bundesanwaltschaft, beim Bundesamt für Verfassungsschutz, beim Bundesinnenministerium und bei der Bundeskanzlerin“, sagt Nebenklage-Anwalt Narın. Sein Kollege Daimagüler erinnert an das Versprechen der Bundeskanzlerin nach „voller Aufklärung“ und sagt zugleich: „Jetzt versteht man die Aktion Konfetti“. So wird das Aktenschreddern im Bundesamt für Verfassungsschutz genannt, bei dem ausgerechnet Unterlagen über V-Mann „Primus“ alias Ralf Marschner vernichtet wurden.

Marschner war 2013 als V-Mann aufgeflogen. Nach Stationen in Irland und Österreich landete er in der Schweiz, wo er bis heute lebt, und Liechtenstein, wo er arbeitet. In Vernehmungen bestritt er, die drei mutmaßlichen NSU-Terroristen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gekannt zu haben.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll Marschner 2002 abgeschaltet haben. Was es über sein neues Leben im Ausland weiß und ob es ihm beim Neustart half, gehört auch zu den Dingen, über die die Behörde nicht sprechen will. „Das sind operative Dinge“, sagt eine Sprecherin auf Anfrage, „dazu äußern wir uns generell nicht“. Es ist genau diese Art von Antwort, die die Sache für die Mordopfer so schwer erträglich macht.

Unterdessen haben am Mittwoch mehrere hundert Menschen in Kassel an das mutmaßlich letzte Mordopfer des NSU erinnert. Der Kleinunternehmer Halit Yozgat war vor zehn Jahren am 6. April 2006 mit zwei Schüssen aus einer schallgedämpften Pistole getötet worden. Bei der Gedenkfeier forderte Hessens stellvertretender Ministerpräsident Tarek Al-Wazir (Grüne) am Mittwoch eine umfassende Aufklärung der Bluttat und sagte: „Ich entschuldige mich auch vor der Familie Yozgat für das Versagen des Staates.“

Die Gedenkfeier fand am Halitplatz statt, der nach dem Opfer benannt ist. Es war die neunte und letzte Tat einer Mordserie an Kleinunternehmern ausländischer Herkunft in Deutschland seit 2000. (dpa/ dtj)