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Panorama

NSU-Prozess: Umgang mit „Kleinem Adolf“ sorgt für Verwirrung

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Der Ex-Verfassungsschützer Andreas T. muss nun im Zeugenstand unter Wahrheitspflicht über seine Rolle im Umfeld des Mordes an Halit Yozgat aussagen. Das Gericht zog nicht alle Akten bei, was jetzt schon zu Irritationen führt. (Foto: dpa)

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Der Zeuge und ehemalige Verfassungsschutz-Mitarbeiter Andreas T. geht am 03.12.2013 im Oberlandesgericht in München (Bayern) zum Verhandlungssaal. Dort wurde der Prozess um die Morde und Terroranschläge des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) fortgesetzt.
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Am Dienstag wurde der NSU-Prozess in München fortgesetzt und mittlerweile spitzt sich dabei der Streit um die dubiose Rolle eines ehemaligen Verfassungsschützers zu: Nebenklage-Anwälte werfen dem Oberlandesgericht München mangelnden Aufklärungswillen vor. Der Senat lehnt es ab, die gesamten Akten über den Ex-Verfassungsschützer Andreas T. in den Prozess aufzunehmen, der beim Mord an Halit Yozgat in Kassel am Tatort war.

T. saß im hinteren Raum eines Internet-Cafés in Kassel, als die Neonazi-Terroristen dort im April 2006 den 21-jährigen Halit Yozgat ermordeten. Er behauptet, er habe nichts von der Tat mitbekommen; Ermittlungen gegen ihn wurden eingestellt. Seine Anwesenheit hatte jedoch für Spekulationen gesorgt.

Das Gericht hatte nur einen Teil der Akten aus dem Verfahren gegen T. beigezogen. Dies mache deutlich, „dass auch dieses Gericht eine vollständige Aufklärung der Tat zum Nachteil Halit Yozgat nicht wünscht“, sagte Nebenklageanwalt Alexander Kienzle, der Angehörige des Opfers vertritt. Er beantragte, die für Dienstag geplante Vernehmung T.s zu verschieben, bis die Akten komplett vorliegen.

Das Gericht lehnte den Antrag am Dienstagnachmittag ab. Die Aufklärungspflicht des Gerichtes erfordere die Beiziehung nicht, sagte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl. Die Akten könnten nach Überzeugung des Gerichts nichts zur Klärung der Anklagevorwürfe beitragen.

Zahlreiche Nebenklageanwälte hatten sich dem Antrag angeschlossen, aber auch die Verteidiger von Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben. Der Senat riskiere nicht nur eine Revision wegen mangelnder Aufklärung, sondern auch eine „Legendenbildung in der rechtsextremistischen Szene“, wenn er die Akten nicht komplett beiziehe, argumentierte Anwalt Kienzle.

Ausgebildeter Observationsbeamter mit fehlendem Durchblick

Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler sagte, gerade in der türkischstämmigen Bevölkerung sei wegen der Ermittlungspannen nach den NSU-Morden Unsicherheit entstanden. „Es besteht die Gefahr, dass der Vertrauensverlust perpetuiert wird.“ VS-Observationsbeamter Andreas T.: Zur falschen Zeit am falschen Ort?

Bereits vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages hatte Andreas T. eine außerordentlich zweifelhafte Figur gemacht und viele Fragen nicht plausibel beantworten können. Nun wird auch im Gerichtsprozess die Aussage des ehemaligen hessischen Geheimdienstmitarbeiters mit Spannung erwartet. Auch die von ihm geführte Quelle, der Neonazi Benjamin G., wird vor dem OLG befragt.

Vor dem Untersuchungsausschuss bekräftigte der 45-jährige Ex-Verfassungsschützer im September 2012 seine Aussage, wonach er am 6. April 2006 einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sei, nämlich am Tatort des Mordes, wo er von einem Computer des Internetcafés aus mit einer Bekanntschaft von „ilove.de“ geflirtet haben will. Von dem Mord an Halit Yozgat selbst habe er nichts mitbekommen.

T. hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seit vielen Jahren beim Inlandsgeheimdienst gearbeitet. Wie ARD-Journalist Patrick Gensing auf dem Enthüllungsblog „publikative.org“ berichtet, erhielt der ehemalige Postbeamte eine spezielle Ausbildung als Observationsbeamter, was bei den Ausschussmitgliedern die Frage aufwarf, warum ausgerechnet ein derart qualifizierter Mitarbeiter nichts von einem Mord oder zumindest von den möglichen Tätern im Laden oder auf der Straße mitbekommen haben will. Doch weder Schussgeräusche noch Pulverdampf, oder Blutspritzer sollen dem frisch in seine außereheliche Onlineaffäre verliebten, verheirateten Staatsdiener unmittelbar nach der Tat am Tatort aufgefallen sein.

T. war, so die „publikative“ weiter, seit 2003 bei der VS-Hauptstelle Kassel und führte dort insgesamt sechs Quellen: fünf im Bereich „Ausländerextremismus“ und eine rechtsextreme. Ausgerechnet am 6. April 2006 hatte T. nach eigenen Angaben zwei Mal Kontakt zu seiner rechtsextremen Quelle.

„Interesse an Geschichte war bekannt“

Bislang war nur von einem Gespräch die Rede, T. führte aber aus, er habe mittags einen Anruf der Quelle erhalten und diese am Nachmittag zurückgerufen. Im März 2012 hatte T. bei der Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft angegeben, er habe „keine Erinnerung an ein derartiges Telefonat“ – trotz mehrfacher Vorhaltung seitens der Ermittler. Vor dem Ausschuss hingegen betonte T., er habe mittlerweile durch Aufzeichnungen in seinem Kalender rekonstruieren können, dass es im Gespräch mit der Quelle um Geldforderungen gegangen sei.

T., der in seiner Jugend Naziliteratur besessen haben und in dessen Elternhaus ein Baseballschläger gefunden worden sein soll, obwohl er diesen Sport nie ausgeübt haben will, wollte auch nichts davon wissen, dass er in seinem Heimatdorf den Beinamen „Kleiner Adolf“ getragen habe – er konnte sich dies nur damit erklären, dass sein „Interesse an Geschichte“ bekannt gewesen wäre.

Dass er sich nicht umgehend, nachdem die Medien über den Mord berichtet hatten, bei der Polizei als Zeuge meldete, konnte er ebenfalls nicht erklären, dies sei ein Fehler gewesen. Die „publikative“ ist darüber hinaus auch noch über weitere Zusammenhänge verwundert: „Warum habe sich T. im Juni 2006 mit seiner Vorgesetzten getroffen – und zwar an einem Ort, der nicht von der Polizei abgehört werde, wie man zuvor in einem Telefongespräch besprochen hatte, wie aus Abhörprotokollen hervorging? T. schlug seiner Vorgesetzten P. eine Autobahnraststätte bei Kassel vor, man habe dort lediglich „menschliche Dinge“ besprochen. Auch bei drei Terminen beim Verfassungsschutz in Wiesbaden nach dem Mord sei es nur um dienstliche Dinge gegangen, über eine Strategie gegenüber der Polizei sei nie die Rede gewesen.“

„Unergiebige“ Quelle bedroht Sicherheit Hessens

Als T.s mutmaßliche Quelle noch einmal befragt wurde, führte diese aus, sie habe sich im April 2006 noch einmal mit T. getroffen, dieser sei dabei ungewöhnlich nervös gewesen. Der Rechtsextreme habe T. zu dem Mord befragt, weil er dachte, der Geheimdienstler wüsste vielleicht etwas darüber. Daraufhin habe T. zu stottern begonnen, so die Quelle weiter. Zu der Schießerei habe er nur rumgedruckst. Den Mitgliedern des U-Ausschusses gegenüber erklärte T. auf entsprechenden Vorhalt, er sei zu dieser Zeit in einer schlechten Verfassung gewesen.

Was die Quelle anbelangt, die immerhin 2001 am Rande einer Demonstration der vom langjährigen V-Mann Tino Brandt geleiteten „Thüringer Heimatschutzes“ festgenommen worden sein soll, klagte T., diese wäre nicht ergiebig gewesen. Ungeachtet dessen soll das hessische Innenministerium im Jahre 2006 eine Vernehmung derselben verhindert haben, da die Sicherheit des Bundeslandes in Gefahr gewesen wäre. Auch an Kontakte zum gewaltaffinen rechtsextremistischen Netzwerk „Blood & Honour“ will T. sich nicht erinnern können.

T. sei auch nicht aufgefallen, dass die Quelle einen Aufkleber der Kameradschaft Gera auf dem Portemonnaie gehabt habe. Die Quelle wurde übrigens wenige Monate nach dem Mord in Kassel abgeschaltet, das sei T. aber nicht bekannt gewesen.

Nun soll der ehemalige Verfassungsschützer an 1,5 Verhandlungstagen noch einmal zu allen noch offenen Fragen befragt werden. (dpa/dtj)