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Politik

NSU-Prozess: Die Angeklagten

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Bereits vor Prozessbeginn gelang es engagierten Journalisten, mithilfe vertraulicher Quellen und antifaschistischer Archive einen tiefen Einblick in die Strukturen des braunen Terrors zu erhalten. DTJ porträtiert die Angeklagten. (Foto: epa)

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NSU-Prozess: Die Angeklagten
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Sollten die Unwägbarkeiten rund um die Vergabe der Presseplätze nicht zu einer neuerlichen Verschiebung des Prozessbeginns sorgen, wird am 6. Mai vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München der Strafprozess gegen Beate Zschäpe sowie vier mutmaßliche Unterstützer und Gehilfen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) beginnen. Bereits gegen Ende des letzten Jahres hatte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe vor dem Münchener Gericht Anklage gegen das mutmaßliche Mitglied der NSU, Beate Zschäpe, sowie gegen vier mutmaßliche Unterstützer und Gehilfen des NSU erhoben. Aus an die Medien durchgesickerten Verhörprotokollen und antifaschistischen Archiven ist bereits vor Prozessbeginn einiges über die Biografien und die Tatvorwürfe gegen die fünf Angeklagten bekannt geworden.

Die 37-jährige Hauptangeklagte Beate Zschäpe wird der Mittäterschaft hinsichtlich der Ermordung von acht Mitbürgern türkischer und einem Mitbürger griechischer Herkunft sowie des Mordanschlags auf zwei Polizeibeamte in Heilbronn beschuldigt. Auch wird ihr versuchter Mord durch Sprengstoffanschläge des NSU in der Kölner Altstadt und in Köln-Mülheim zur Last gelegt.

Der kriminelle Sumpf in und um den „Thüringer Heimatschutz“

Zschäpes rechtsradikaler Hintergrund ist unbestritten. Viele Fotos und Filmaufnahmen zeigen sie bei rechtsradikalen Demonstrationen in mehreren deutschen Städten. Mit 18 schloss sie sich einer Neonaziclique in Jena an, in der sie damals schon die späteren NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kennenlernte. Obwohl Zschäpe aus einer akademischen Familie stammt, verließ sie bereits nach der zehnten Klasse die Schule und jobbte als Malergehilfin. 1998 fand die Polizei in ihrer Wohnung Waffen und Nazipropaganda. Zschäpe wurde schon damals verdächtigt, am Bau von Bomben beteiligt zu sein. Als gegen sie Haftbefehl erlassen wurde, tauchte sie unter. Als der NSU Ende 2011 aufflog, soll sie eine Explosion in einem Wohnhaus in Zwickau verursacht haben, um Beweise zu vernichten.

Den beiden ehemaligen thüringischen NPD-Funktionären Ralf Wohlleben (37) und Carsten Schultze (32) wird vorgeworfen, durch die Beschaffung der Tatwaffe Ceska 83 „nebst Schalldämpfer“ an den NSU-Morden beteiligt gewesen zu sein. Bevor Wohlleben seine NPD-Funktionärslaufbahn startete, bildete er mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe die neonazistische „Kameradschaft Jena“ und war mit Schultze im Thüringer Heimatschutz aktiv, einem Zusammenschluss rechtsradikaler Kameradschaften in Thüringen. Wohlleben gestaltet als Fachinformatiker für Systemintegration freiberuflich Internetseiten, Schultze ist gelernter Kfz-Lackierer. Schultze behauptet, er sei 2000 aus der rechten Szene ausgestiegen. Wegen seinem offenen Bekenntnis zur Homosexualität sei er in Szene und Partei nicht mehr akzeptiert worden. Er stellt sich der Anklage als Kronzeuge zur Verfügung und gesteht, die Tatwaffe gekauft und an Wohlleben übergeben zu haben – zur Weiterreichung an den NSU. Wohlleben wird auch noch durch einen weiteren Zeugen belastet, die über viele Jahre hinweg untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe regelmäßig mit Geld versorgt zu haben.

Weitere Anklagen sind möglich

André Eminger (33) aus Brandenburg wiederum ist angeklagt, weil er am Sprengstoffanschlag des NSU in der Kölner Altstadt und an Raubüberfallen des NSU beteiligt gewesen sein soll. Beruflich hat er die Video-Firma Aemedig in Zwickau betrieben und soll das Paulchen-Panter-Bekennervideo mitproduziert haben. Nach Bekanntwerden des NSU wurde in seinem Wohnmobil ihn schwer belastendes Material gefunden.

Die Anklage gegen den Gabelstaplerfahrer Holger Gerlach (38) lautet, den NSU unterstützt zu haben. Gerlach, wohnhaft in der Nähe von Hannover und aus Jena stammend, soll zwischen 1997 und 2004 der äußerst militanten Gruppierung „Freie Nationalisten Hannover“ angehört, inzwischen aber der rechten Gewalt abgeschworen haben. Gerlach ist ebenfalls geständig. Den Ermittlern sagte er, er habe sich noch im Mai 2011 mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe getroffen und Böhnhardt einen Reisepass besorgt. Da er Böhnhardt ähnlich sehe, habe er diesen bereits von 2001 an mit Ausweisen, einem Führerschein und Krankenkassenkarten versorgt, die Böhnhardt ein Jahrzehnt lang im Untergrund nutzte.

Seine Aussagen belasten auch den inhaftierten Wohlleben schwer. Laut Gerlach soll Wohlleben offenbar die Schlüsselrolle im Kreis der NSU-Unterstützer eingenommen haben. Dass Gerlach gegen seinen ehemaligen Kameraden aussagt, wurde ihm seitens der Behörden honoriert: Der Bundesgerichtshof hat Mitte letzten Jahres den Haftbefehl gegen ihn aufgehoben.

Da die Zahl der Unterstützer des NSU öffentlich inzwischen mit 129 Personen angegeben wird, fragen sich viele kritische Beobachter der Bundesanwaltschaft und anderer Sicherheitsbehörden, weshalb bisher nur vier der Terrorhelfer angeklagt sind. Die Strafverfolgungsbehörden reagieren darauf mit dem Verweis auf weiterhin andauernde umfangreiche Ermittlungen.

Autoreninfo: Martin Lejeune, 32, ist freier Journalist in Berlin mit dem Schwerpunt Politikberichterstattung. Er wird als freier Korrespondent ab Montag vom NSU-Prozess in München berichten.