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Politik

Vernichtete Handydaten und eine Überraschungszeugin

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Die Liste der Fehler bei der NSU-Aufklärung wird immer länger: Die Staatsanwaltschaft Gera hat Gesprächsprotokolle des Handys von Uwe Böhnhardt ohne Auswertung gelöscht. Indes sagt beim Münchener NSU-Prozess eine Überraschungszeugin aus. (Foto: reuters)

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Neue Pannen bei der NSU-Aufklärung: Die Staatsanwaltschaft Gera hat Gesprächsprotokolle des Handys von Uwe Böhnhardt ohne Auswertung gelöscht.
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Zur Überwachung des NSU-Terroristen Böhnhardt sind im ARD-Politikmagazin „Fakt“ erstaunliche Neuigkeiten veröffentlicht worden. Die Staatsanwaltschaft Gera hatte Handydaten aus der Zeit vor dem Untertauchen des Trios ohne abschließende Bewertung gelöscht. Es habe sich dabei um mehrere Stunden lange Gespräche gehandelt, die Böhnhardt über einen Zeitraum von vier Wochen geführt haben soll.

„Fakt“-Angaben zufolge wurden die Verbindungsdaten samt der Standorte der Funkzellen des Handys nicht gelöscht. Mit diesen Informationen konnte „Fakt“ Gespräche Böhnhardts mit Unterstützern des Trios, Aufenthaltsorte der Terroristen und Kontaktpersonen rekonstruieren. Dass die Ermittler darin keinen Ermittlungsansatz sahen, ist ein fataler Fehler. Zumal das Handy nach Ende der Überwachung noch einen Monat aktiv war.

Verwunderung im Bundestag

Inwiefern die Vernichtung der Handydaten das Abtauchen und die Straftaten des NSU ermöglichte, muss derweil noch geklärt werden. Die Abhöraktion und die spätere Datenvernichtung wurden im NSU-Untersuchungsausschuss bislang nicht behandelt. Die Mitglieder im Untersuchungsausschuss wussten bis zu dieser Woche nichts von der Existenz der Verbindungsdaten.

Im Bundestag löste die Neuigkeit Verwunderung aus: Christian Binninger, der CDU-Obmann im ehemaligen Untersuchungsausschuss, nannte es ein „Rätsel“, warum diese Datenmenge nicht genutzt wurde. „Wir werden, wenn wir solche Fakten jetzt zur Kenntnis nehmen, Fragen an die Bundesregierung richten“; sagte Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen).

Überraschender Auftritt mit Erinnerungslücken

Derweil gab es mit der Aussage einer Zeugin, die bislang schwieg, eine echte Überraschung im NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht. Mandy S. steht unter dringendem Verdacht, das NSU-Trio um Beate Zschäpe im Untergrund unterstützt zu haben.

Im Frühjahr 1998 stand angeblich ein Skinhead vor ihrer Tür und fragte, ob sie drei „Kameraden“ Unterschlupf bieten könnte. Sie dachte sich nichts dabei: „Ich wusste nicht, wer es ist, wusste nicht, worum es geht.“

Die 38-jährige Friseurin aus Schwarzenberg in Sachsen hat offenbar das Abtauchen Böhnhardts, Mundlos’ und Zschäpes unmittelbar mitbekommen, soll gar dabei geholfen haben und Zschäpe ihre Identität geliehen haben. Heute will sie mit der Szene nichts mehr zu tun haben.

Deswegen wird gegen sie in einem gesonderten Verfahren des Generalbundesanwaltes wegen Verdachts der Terrorunterstützung ermittelt. Um sich nicht selbst zu belasten, hätte sie die Aussage verweigern können.

In der Zeugenbefragung kristallisierte sich jedoch schnell heraus, dass Mandy S. nicht bereit war alle Fakten auf den Tisch zu legen. Stattdessen sprach sie erst zögernd, später fast trotzig von Erinnerungslücken und musste sich immer wieder die Frage gefallen lassen, warum sie sich an so vieles nicht erinnern konnte.

Zeugin von Polizei beeinflusst?

Überdies erklärte die Zeugin, dass sie die Mitglieder des NSU-Trios auf Fotos nicht erkannt habe. Ihren Angaben zufolge könne sie nicht bestätigen, dass die Personen mit denen sie Kontakt hatte, tatsächlich die gesuchten Rechtsterroristen gewesen seien. Im weiteren Verhandlungsablauf nahm sie eine frühere Aussage, die sie zu Beate Zschäpe gemacht hatte, zurück. Sie sei von der Polizei massiv in ihrer Zeugenbefragung beeinflusst worden.

Die Zeugenaussage von Mandy S. sorgte bei der Zschäpe-Anwältin Anja Sturm für Hoffnung. „Bislang – die Vernehmung ist ja noch nicht abgeschlossen – hat sie dazu gesagt, dass sie die Person nicht wiedererkannt hat. Aber sie hat auch bekundet, dass ihr sozusagen von allen Seiten, auch im Rahmen der Vernehmung schon gesagt wurde, das sei Frau Zschäpe“, sagte Sturm.

Viele Fragen bleiben offen

„Wir werden der Zeugin noch sehr intensiv auf den Zahn fühlen, weil nicht alles, was sie heute von sich gegeben hat, mich überzeugt“, kündigte der Nebenkläger-Anwalt Mehmet Daimagüler in der ARD an. „Nicht mehr genau wissen wollen, was man besprochen hat und auf der anderen Seite sagen: ’Wir haben insgesamt 24 stunden zusammengehockt’, das ist viel Zeit und ich glaube, dass da seitens des Gerichts – aber auch von Seiten der Nebenklage –viele, viele Fragen kommen werden.“

Die zähe Gerichtsverhandlung kann von der Überraschungszeugin nur profitieren. Die Nebenkläger erhoffen sich neue Erkenntnisse durch die Aussage der sächsischen Friseurin. Mandy S. kannte erwiesenermaßen Größen der rechten Szene – auch in den Städten wo Migranten ermordet wurden. Wie viel wusste sie wirklich von den Machenschaften des Terrortrios? Und woher hatte Zschäpe ihre Adresse?