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Politik

NSU-Prozess: Was wollte der bayerische Verfassungsschutz in Thüringen?

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Der Verfassungsschutz soll einen V-Mann in die rechte Szene gedrängt haben. Dieser sagt aus, er habe frühzeitig von einer „Braunen Armeefraktion“ gewarnt. Was wusste der deutsche Inlandsgeheimdienst wirklich? (Foto: dpa)

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Und täglich grüßt der Verfassungsschutz: Wie in dem Hollywoodklassiker „Und täglich grüßt das Murmeltier“ scheint der NSU-Prozess in einer endlosen Kette von Wiederholungen festzustecken. In dem Film von 1993 sitzt der Fernsehmoderator Phil Connors in einer Zeitschleife fest. Er durchlebt wieder und wieder den selben Tag. Im NSU-Prozess geht es zwar nicht um einen Tag. Dennoch sind die repetitiven Momente der Beweisaufnahme frappierend.

In der Hauptverhandlung vor dem Münchener Oberlandesgericht tauchen wieder und wieder Beweise für Unstimmigkeiten bei den deutschen Sicherheitsbehörden in Bezug auf die Terrorgruppe des sog. „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) auf. Der letzte Fall in der Kette von Unregelmäßigkeiten, Missverständnissen und Fehltritten handelt zum wiederholten Male vom Verfassungsschutz.

Die Nebenkläger-Anwälte warfen einem Beamten des Thüringer Verfassungsschutzes am Mittwoch eine Falschaussage im Zeugenstand vor. Der Sicherheitsbeamte war V-Mann-Führer des späteren Gründers des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS), Tino Brandt. In dieser Gruppe waren die späteren mutmaßlichen NSU-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos aktiv, bevor sie in den Untergrund gingen.

Was wusste der Verfassungsschutz wirklich?

Der THS gilt als Keimstätte der späteren Terrorgruppe. Hier sollen sich die mutmaßlichen NSU-Mitglieder radikalisiert haben. Erstaunlich wenig ist bislang über das Innenleben der Erfurter Neonazi-Organisation bekannt, obwohl der Verfassungsschutz den THS überwachte. Die angebliche Falschaussage nimmt Bezug auf einen Anruf eines Thüringer Polizeiführers an den Verfassungsschützer im November 2011, unmittelbar nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos.

Der Polizist habe ihn über den Tod der beiden Neonazis in Kenntnis gesetzt, sagte der Verfassungsschützer in der vergangenen Woche vor dem Münchener Gericht. Der Anruf habe ihn zwei Tage nach dem Auffliegen des sog. NSU am 6. November 2011 erreicht. Nebenkläger des Prozesses betonten allerdings, dass der Beamte vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages berichtet hatte, der Anruf habe ihn bereits am 4. November erreicht.

An diesem Tag stand allerdings offiziell noch nicht fest, wer die beiden Toten in dem Eisenacher Wohnwagen waren. Demnach sei eine der beiden Aussagen falsch, konstatierte Rechtsanwalt Stephan Kuhn und forderte die Staatsanwaltschaft auf, Ermittlungen gegen den Beamten aufzunehmen. Wieder einmal kommt der NSU-Prozess auf die gleiche Frage zurück: Was wussten die deutschen Sicherheitsbehörden und Dienste wirklich?

V-Mann warnt vor „Brauner Armeefraktion“

Ein weiterer ehemaliger V-Mann sollte am Mittwoch ebenfalls Licht ins Dunkel bringen. Kai D. war allerdings anders als Tino Brandt kein Überzeugungstäter. Er gab vor Gericht an, erst auf Weisung des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz in die Neonazi-Szene eingestiegen zu sein.

Kai D., der von 1994 bis 1997 regelmäßig an den berüchtigten „Mittwochsstammtisch“ des THS teilnahm, erinnert sich dennoch an wenig aus dieser Zeit. Namen seien ohnehin nicht gefallen, sagte er im Prozess. Er will jedoch bereits 1997 vor einer „Braunen Armee-Fraktion“ gewarnt haben. „Da kam Ungemach auf uns zu“, sagte er vor Gericht. Kurze Zeit nach dieser Warnung sei er „ehrenhaft“ entlassen worden.

Damit steht fest: Der bayerische Verfassungsschutz saß in Person von Kai D. in der Thüringer Neonazi-Szene buchstäblich mit am Tisch. Was wollte der Verfassungsschutz eines anderen Bundeslandes in Thüringen? Und warum wurde Kai D. so plötzlich entlassen? Das Münchener Oberlandesgericht wird sich offensichtlich dringend mit den Akten der bayerischen Verfassungsschützer beschäftigen müssen.

Was macht der bayrische Verfassungsschutz in Thüringen?

Bezeichnend für den Prozess ist ein weiterer Umstand vom Mittwoch. Denn Kai D. ist nur Platzfüller. Das Münchener Oberlandesgericht hatte eigentlich einen anderen Zeugen geladen, der mit der Beschaffung der Mordwaffe in Verbindung gebracht wird. Der in der Schweiz lebende Rechtsextremist war der Ladung des Gerichts jedoch nicht nachgekommen.

Die Terrorgruppe des sogenannten NSU soll von 2000 bis 2011 aus Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bestanden haben. Auf ihr Konto sollen mehrere Morde und Banküberfälle gehen.

Zschäpe ist seit 2013 wegen Mittäterschaft in zehn Mordfällen, besonders schwerer Brandstiftung und Mitgliedschaft in und Gründung einer terroristischen Vereinigung vor dem Münchener Oberlandesgericht angeklagt. Mittlerweile haben die Taten des NSU fünf Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Länderebene beschäftigt und unzählige Entlassungen und Rücktritte verursacht. Erkenntnisse bleiben jedoch rar und Verschwörungstheorien zugleich beliebt.