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Panorama

NSU: Einige Tatkomplexe noch nicht mal ansatzweise erörtert

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Der Prozess gegen Beate Zschäpe und einige mutmaßliche Helfer der NSU-Terroristen war von Beginn an als Mammutverfahren konzipiert. Entsprechend ist auch nach den ersten 60 Verhandlungstagen noch kein klares Bild zu erkennen. (Foto: dpa)

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Ein Schild mit der Aufschrift "Zschäpe" ist am 27.11.2013 im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in München (Bayern) hinter einem Mikrofon zu sehen.
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Mehr als 60 Verhandlungstage sind vorbei im Münchner NSU-Prozess. Stück für Stück formt sich ein Bild von der Terrorgruppe und ihren Taten. Weitgehend aufgearbeitet hat das Gericht die Morde der sogenannten Ceska-Serie: Mit der Pistole aus tschechischer Produktion erschossen die Rechtsterroristen neun Geschäftsleute ausländischer Herkunft. Die Bilder der blutigen Taten ähneln sich, die Geschichten der Opfer auch: Männer, die aus der Türkei oder Griechenland kamen und mit großem Fleiß versuchten, sich hier ein Leben aufzubauen – mal mit mehr, mal mit weniger Glück. Neun Mal zerschossene Leben, neun Mal ratlose Angehörige, die selbst ins Visier der Ermittlungen gerieten.

Und immer wieder Ermittler, die auch im Nachhinein keine Fehler eingestehen wollen, so als ginge es vor Gericht in erster Linie darum, eine falsch verstandene Berufsehre zu verteidigen. Anders der Vorsitzende Richter Manfred Götzl. Er zeigte zunehmend Geschick im Umgang mit den Angehörigen, gab ihnen und ihrem Schmerz Raum in dem Verfahren.

Am ergreifendsten war wohl der Appell der Mutter des in Kassel ermordeten Halit Yozgat, die sich direkt an die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wandte: „Jeder kann Straftaten begehen, aber ich bitte Sie um Aufklärung“, sagte sie. Seit dem Mord im April 2006 habe sie nie mehr als zwei Stunden schlafen können. „Denken Sie bitte immer an mich, wenn Sie sich ins Bett legen. Denken Sie daran, dass ich nicht schlafen kann“. Doch Zschäpe schwieg.

Das Bild der mutmaßlichen Täter – Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – blieb unscharf: Zwei Mörder in dunkler Radlerkleidung, die ihre Opfer kaltblütig exekutieren und in einem zynischen Bekennervideo verhöhnen. Beide sollen sich 2011 erschossen haben, um der Festnahme zu entgehen. Mittlerweile aber ist der Prozess in eine neue Phase getreten: Das Gericht versucht, das Umfeld des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ auszuleuchten. Allmählich gewinnt das Bild der Gruppe Konturen – ein Bild, das allerdings noch lange nicht frei ist von Widersprüchen und blinden Flecken.

„Elitäres Auftreten“

Erstaunlich ist, wie sich die drei offenbar an unterschiedlichste Milieus anpassen konnten. Da sind die Nachbarn aus der Frühlingsstraße in Zwickau, die fast jeden Tag bei Alkohol und Zigaretten im Keller beisammensaßen, ein Kreis, in dem sich keiner daran störte, dass auf dem Fernseher ein Bild von Adolf Hitler stand: „Als Erinnerung an meinen Bruder“, sagt einer von ihnen. „Das war das Einzige, was zu verwerten war in dieser Wohnung.“

Beate Zschäpe saß öfter in diesem Kreis und trank Prosecco – weit häufiger, als es nötig gewesen wäre, um die Fassade der Gruppe aufrechtzuerhalten. Man kann vermuten, dass sie sich in der dumpfen Kellergesellschaft wohlfühlte.

Mundlos und Böhnhardt hingegen hielten Abstand: „Mal Guten Tag und guten Weg, und das war’s“, sagte ein Nachbar. Das passt zu dem eher elitären Auftreten, das die beiden schon vor ihrem Untertauchen 1998 in der rechten Jenaer Szene hatten. Mundlos habe irgendwann nicht mehr mit ihm gesprochen, berichtet Zschäpes Cousin, habe ihn als „Assi“ beschimpft – weil der Cousin der Sauf- und Partyfraktion angehörte, während Mundlos sich „so nach oben gesteigert“ hatte, immer politischer wurde.

Eine ganz andere Seite lernten hingegen die Urlaubsfreunde kennen, die Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt im Sommer auf einem Campingplatz an der Ostsee trafen. Über Jahre hielten sie Kontakt zu den Familien: ein Informatiker-Paar, ein Bauingenieur und eine Drogistin, beide Paare mit Kindern – grundbürgerliche Menschen, denen noch immer das Erschrecken darüber anzumerken ist, mit wem sie es in Wirklichkeit zu tun hatten. Und gerade Mundlos – der dort als „Max“ auftrat – zeigte sich sehr kontaktfreudig, suchte immer wieder das Gespräch und kannte sich gut genug mit Computern aus, dass auch die Informatiker ihn für einen Experten hielten.

Bombenanschläge und Banküberfälle noch kein Thema

Auf dem Campingplatz waren die drei Anlaufpunkt für Kinder und Jugendliche, die Eltern ließen ihre Kinder mit Böhnhardt im Motorboot fahren, „man hat denen auch vertraut“, sagte einer von ihnen. Und Mundlos erzählte durchaus Dinge, die stimmten – dass sein Vater Professor für Informatik sei, und dass er selbst einen behinderten Bruder habe.

Das Bild von kontaktgestörten Killern, die sich nur dank Zschäpe in menschlicher Gesellschaft bewegen konnten – es wurde durch die Aussagen der Urlaubsfreunde korrigiert. Das Innenleben des Trios wird das Gericht noch eine Weile beschäftigen. Zschäpes Rolle innerhalb der Gruppe dürfte mitentscheidend sein, ob sie – wie angeklagt – als Mittäterin an den Attentaten verurteilt wird oder nur als Gehilfin.

Noch ist das Bild bruchstückhaft, und einige Tatkomplexe sind noch überhaupt nicht zur Sprache gekommen: die beiden Bombenanschläge in Köln zum Beispiel, das tödliche Attentat auf eine Polizeistreife in Heilbronn und die Banküberfälle, mit denen die drei ihr Leben im Untergrund finanzierten. Das Gericht hat schon jetzt Verhandlungstermine bis Ende 2014 angesetzt.

Das Interesse im Verhandlungssaal hat übrigens auch nach mehr als einem halben Jahr kaum nachgelassen – noch immer müssen an manchen Tagen Zuschauer draußen warten.

Für Dienstag (9.30 Uhr) hat das Oberlandesgericht München mehrere Urlaubsbekannte der mutmaßlichen Terroristen des NSU Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe als Zeugen geladen. In Vernehmungen bei der Polizei hatten sie unter anderem geschildert, dass die drei immer in bar zahlten und Zschäpe das Geld verwaltete. (dpa/dtj)