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Odabaşı: „Ich liebe es gegen den Strom zu schwimmen“
Nachwuchsregisseur Mirza Odabaşı hat es mit seinem neuen Film in das Programm von ARD EinsFestival geschafft. Wir sprachen mit ihm über seine Arbeit. Außerdem verrät er uns, warum er vorerst keinen Film über Flüchtlinge machen wird.
Das ARD EinsFestival zeigt am 13. April den Film des erfolgreichen Nachwuchsregisseurs Mirza Odabaşı „Leiden-schafft“. In dem Film kommen berühmte Namen der HipHop-Szene zu Wort, unter anderem EkoFresh, Chefket und Marteria. Im DTJ-Interview spricht der Filmemacher Odabaşı über seinen Werdegang, die Rolle der Sozialen Medien und darüber, warum er vorerst keinen Film über Flüchtlinge machen wird.
DTJ: Lieber Mirza, Dein Werdegang als professioneller Filmemacher ist ziemlich spannend. Welche Schwierigkeiten hast Du überstehen müssen?
Mirza Odabaşı: Mein letzter Film ist dafür ein gutes Beispiel, denn so wie der Film auch „Leiden-schafft“ heißt, gibt es Dinge, mit denen ich mich auseinandersetzten musste. Es gibt gewisse Umstände, die zu einem Schaffensprozess führen. Die größte Schwierigkeit ist, dass ich erst was habe, wenn ich es mache. Mir sagt nicht jemand, was ich zu tun habe. Natürlich hat das seine Vorteile. Aber ich bin erst dann relevant, wenn ich monate- oder jahrelang etwas selbstständig auf die Beine gestellt habe. Das heißt, ich schwimme ganz oft gegen den Strom und bin auf mich alleine gestellt. Das erschwert es, Filmemacher in dieser Form zu sein, ist aber wiederum meine antreibende Kraft, meine Leidenschaft eben. Ich liebe es, gegen den Strom zu schwimmen.
DTJ: Was passiert, wenn Du für Deine Arbeit keine Abnehmer findest? Wenn Du etwas Tolles auf die Beine stellst, aber nicht genau weißt, was daraus wird?
Mirza Odabaşı: Es gibt sicherlich gute wie schlechte Momente, an denen du an deinem Projekt zweifelst. Es kommt vor und man verliert die Bindung dazu. Bislang überwiegen aber die guten Erinnerungen. Die Motivation ist, dass Menschen dich über diesen Prozess hinaus unterstützen. Außerdem habe ich in mir einen großen Drang, etwas zu schaffen. Ich komme mit meiner Leidenschaft über die Runden, aber es ist eigentlich kein vorrangig kommerzieller Hintergrund. Das Verdiente wird in neue Projekte investiert. Die stärkste treibende Kraft ist für mich also der gesellschaftliche Bedarf über diese Themen und Probleme zu reden. Auf der einen Seite therapiere ich mich selbst damit, sehe aber gleichzeitig, dass es auch vielen anderen so geht.
Du sprichst von Selbsttherapie und davon, dass auch andere daran ein Beispiel nehmen. Leben wir in einer kranken Gesellschaft?
Ich kann nur für mich sprechen. Selbst wenn ich weiß, dass es andere gibt, die es nachempfinden. Du lebst in einer Gesellschaft, wo du hin und wieder ausgeschlossen wirst. Das ist ja kein Geheimnis. Mein Film beschreibt diesen Zustand. Ich habe mit vielen Leuten gesprochen. Der eine ist mehr erfolgreich, der andere etwas weniger. Jeder hat aber auf eine gewisse Art und Weise einen Leidensprozess hinter sich, ob es gesellschaftlich ist oder musikalisch. Nicht anders ergeht es mir. Ich setzte mich damit auseinander. Das hat automatisch den Therapie-Effekt, in dem man mit diesen Leuten spricht. Anschließend verarbeitet man die Informationen, die auf einen niederprasseln. In meinem Fall konkret, in dem ich alles dann zusammenführe und auf die Leinwand bringe. Als meinen eigenen Film.
Deine Filmtitel sind anders. Dein erster Film hatte einen nummerischen Titel, Dein zweiter ist ein Neologismus. Warum?
Ich gehe einen Austausch ein. Ein fertiger Satz oder ein konkreter Titel sagt dann vielleicht schon zu viel. Außerdem braucht es auch Raum, um den genannten Austausch eingehen zu können. Das sah ich auch schon bei meinen Fotoausstellungen, als die Leute neben mir standen und völlig neue, eigentlich ihre eigenen Perspektiven auf meine Arbeit projizierten. Verwirrung ist immer gut.
Ist das für Dich ein Mittel, um gute Filme zu machen?
Ich gehe da nicht taktisch heran.
In Deinem Film liegt das Hauptaugenmerk auf der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Wir beobachten einen krassen Anstieg der Gewalt durch die Rechtsextremen. Flüchtlingsheime brennen. Das alles erinnert an die neunziger Jahre. An Solingen und Mölln. Was ist zu tun?
Es bedarf des Dialogs. Das tue ich durch meine Filme, denn das kann ich. Darin sehen ich meinen persönlichen Beitrag. Ich versuche Lösungsansätze aufzuzeigen. In dem Film „Leiden-schafft“ habe ich die Fremdenfeindlichkeit in den Vordergrund gestellt. Fremdenfeindlichkeit war unter anderem der Grund, warum die Kids in Berlin-Kreuzberg sich damals in der HipHop-Szene wiedergefunden haben. Wenn du in den 80er Jahren als türkischer Jugendlicher nicht in deutsche Clubs, sondern ausschließlich in amerikanische oder britische Clubs der Alliierten reinkommst, ist es eine logische Konsequenz, dass du Rap hörst und Breakdance tanzt. Damit möchte ich den Betroffenen natürlich auch ein Stück weit eine Stimme geben.
In Deinem Film kommen Mord und Totschlag vor, die von der rechten Szene ausgehen. Du willst mit Deinem Film so etwas doch verhindern. Ist das kein Widerspruch?
In den vergangenen Jahren haben wir uns mit der Flüchtlingswelle in eine sehr brenzlige Situation versetzt. Aber auf der anderen Seite bringt dies auch sehr viel Gutes mit sich. Das heißt, die Entwicklung geht in beide Richtungen. Das Problem ist, dass über die schlechten Sachen viel mehr berichtet wird, denn sie erregen mehr Aufmerksamkeit. Das ist übrigens auch die viel einfachere Art zu arbeiten. Für mich stellt das ein Problem dar, weshalb ich versuche, das Thema in meinem Film ganz vorsichtig anzugehen. Also: Ich will nicht Schaden anrichten! Wenn man den Film „Leiden-schafft“ dramaturgisch betrachtet, sind diese explizit negativ belasteten Aspekte schnell abgehakt und man geht sofort zu den Lösungsansätzen über und es wird ein positives Bild vermittelt. Das sollte in jeder Diskussion so sein. Aber in unserer Zeit sitzt man in einem sicheren und warmen Zimmer vor dem PC und führt solche Diskussionen über die asozialen Netze.
Was sind denn die guten Dinge, von denen Du sprichst?
Ich kann jedenfalls sagen, was keine Lösung ist. Ich glaube es gibt keinen Konflikt, den wir im Internet lösen können. Ich glaube auch, dass Facebook und Co. so ziemlich das schlechteste sind, was uns in den letzten Jahren widerfahren ist. Ich habe keine konkrete Lösung, auch nicht in meinen Filmen. Aber wir sollten definitiv nicht weiter auf soziale Medien setzen. Vor allem muss der Hass dort aufhören, dem muss ein Ende gesetzt werden. Selbst anständige Leute – denn die meisten sind ja für ein friedliches Miteinander – befassen sich dort mit negativen Themen. Sie berichten von unangenehmen Begegnungen in der U-Bahn, oder von ihren Erfahrungen systematischer Ausgrenzung. Das führt zu nichts.
Du hattest vor diesen Filmen an einem Film über Flüchtlinge gearbeitet. Was ist aus ihm geworden?
Ich habe Ende 2013 in Hamburg St.Pauli vier Tage in einer Kirche mit Flüchtlingen aus Lampedusa verbracht. Ich war der einzige, der überhaupt filmen durfte. Ich kann mich noch erinnern, wie vor der Kirche dutzende Journalisten und Kameramänner von Al Jazeera, ZDF und anderen großen Medien Schlange standen, um in der Kirche filmen zu dürfen. Niemand wurde hineingelassen. Nur ich durfte dabei sein und mit diesen Menschen sprechen. Meine Aufnahmen und Begegnungen waren sehr bewegend. Diese Flüchtlingssituation hat sich heute in eine völlig andere Richtung entwickelt, wo ein Diskurs nicht mehr möglich ist. Es ist genau so wie mit der Integrationsdebatte. Sie verliert ihre Dynamik, wird politisiert und für persönliche Zwecke missbraucht.
Hast Du Dich deswegen geschämt?
Du musst dir vorstellen: Es kommen Leute zu mir, mit kommerziellen Absichten und sagen „Hey, es wäre genau der Zeitpunkt, einen Film über Flüchtlinge zu machen!“. Dabei war ich schon in Hamburg und habe gefilmt, als noch nicht einmal von syrischen Flüchtlingen die Rede war. Das wäre genau der Zeitpunkt gewesen darüber zu reden. Einen Diskurs zu beginnen. Aber es jetzt zu tun, hat nur noch einen kommerziellen Gedanken. Es geht jetzt nur noch darum, sich zu positionieren, ohne dass dich jemand dazu fragt, oder in irgendwelchen Kommentarspalten unterzugehen. Jetzt ist es zu spät.
Wieso?
Die Debatte wird auf einem Niveau geführt, als ob sich die Leute über einen neuen Trend in der Mode unterhalten würden. Ich bekam zu der Zeit auch einige Anfragen, so von einer bekannten Talkshow-Sendung, mich zu der Flüchtlingsthematik zu äußern, die ich dann nicht annahm. Ich glaube, wir brauchen nicht noch einen weiteren „Experten“. Die Aufzeichnungen und die persönlichen Begegnungen werden mich ein Leben lang begleiten. Vielleicht gibt es irgendwann in der Zukunft eine günstigere Gelegenheit, an das ebenso große Leid von Lampedusa zu erinnern.
Was hast Du als nächstes vor?
Die nächste Herausforderung wäre ein Spielfilm. Mal sehen, was mich erwartet. Ich will nichts überstürzen.
Der Film „Leiden-schafft“ ist am 13. April im ARD EinsFestival zu sehen.