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Politik

Operation Olivenzweig: Wie verrückt es wirklich ist

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Das Durcheinander in Afrin zu verstehen, ist nicht einfach. Im Norden Syriens treffen türkische Interessen auf kurdisches Unabhängigkeitsbestreben. Mittendrin: Die Zivilbevölkerung, radikale Milizen, die Freie Syrische Armee, Assad-Verbündete, Assad-Truppen, Russland und die USA. Der Versuch einer Erklärung.

Die schweren Kämpfe im Norden Syriens sind zu Wochenbeginn weiter eskaliert. Die Invasion der Türkei ist unübersichtlich, ihre Kooperationspartner sind von fragwürdiger Gesinnung und die Strategie erscheint angesichts der vielfältigen Interessen vor Ort wie eine Kamikaze-Aktion. Wie verrückt es wirklich ist, zeigt die folgende Übersicht:

Die kurdische YPG und die PYD

Die Kurden kontrollieren heute rund 700 der gut 900 Kilometer langen türkisch-syrischen Grenze. Die YPG kooperieren mit den USA. Sie werden vom US-Militär mit Waffen ausgerüstet. Die Intention dahinter: Sie sollen die vornehmlich leichten Rüstungsgüter wie Kalaschnikow und Panzerabwehrraketen gegen den IS verwendet. Das funktionierte im Zuge der Offensive auf die IS-Hochburg Raqqa sehr gut – mit Unterstützung der US-Luftwaffe.

Im kurdisch geprägten Norden Syriens hat die YPG mit der Partei PYD einen quasi-autonomen Kurdenstaat namens Rojava etabliert. Dort ist das Leben für syrische Verhältnisse relativ sicher. Rojava gilt als stabiler Hafen für Binnenflüchtlinge und ist durch die Präsenz der YPG fast gänzlich vom Krieg verschont geblieben. Afrin gehört zwar offiziell zu Rojava, ist aber geographisch vom Kerngebiet getrennt.

Mittlerweile steht fest: Die YPG setzen die vom US-Militär gelieferten Waffen gegen die türkische Armee ein. Sie schießen außerdem über die Grenze in die türkischen Orte Kilis und Reyhanli. Zusammengefasst: Die YPG schießt mit Unterstützung der USA und US-Waffen auf den US-Nato-Partner Türkei.

Die Türkei:

Die Türkei unter Staatschef Recep Tayyip Erdoğan fühlt sich von den Kurden bedroht. Das türkische Militär ging in der jüngsten Vergangenheit gegen kurdische Kämpfer der PKK im kurdisch geprägten Südosten der Türkei rigoros vor. So wurde die kurdische Stadt Cizre massiv zerstört – mit unzähligen zivilen Opfern. Es gilt als nachgewiesen, dass das türkische Militär mit Unterstützung der Regierung Erdoğan Verbrechen gegen die Menschlichkeit – Folter, Todesstrafe sowie gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung – beging.

In der Offensive auf Afrin kooperieren die türkischen Streitkräfte mit radikalen Milizen, der Freien Syrischen Armee und Stammeskriegern. Den Kämpfern ist nicht zu trauen. Denn in einer Bürgerkriegsgesellschaft wie Syrien versucht jeder Partei, ihre eigenen Interessen durchzuboxen. Wie blauäugig die Türken bei der Wahl ihrer Waffenbrüder ist, beweist der IS, mit dem die Türkei zum Beginn des Bürgerkriegs zumindest wirtschaftlich kooperierte.

Mit den USA liegt die Türkei im Clynch, weil Washington die YPG unterstützt. Außerdem wies ein Regierungssprecher Erdoğans die Kritik der USA an der „Operation Olivenzweig“ scharf zurück. Im Nachbarland Syrien ist die Türkei seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs gegen Assad.

Gleichzeitig sitzt die Türkei aber mit Assad-Unterstützer Russland bei Friedensverhandlungen in Astana an einem Tisch. Obwohl Russland ebenfalls die YPG unterstützt, sucht Erdoğan Putins Nähe. Warum? Die Türkei will es sich nicht wieder mit den Russen verscherzen, nachdem das türkische Militär 2015 einen russisches Kampfjet abgeschossen hatte und danach von Russland derart unter Druck gesetzt wurde, dass Wirtschaft und Tourismus darunter litten.  

Russland:

Die Russen erlauben zwar eine Präsenz der PYD in Moskau und kooperierten in der Vergangenheit punktuell mit ihr bei militärischen Aktionen gegen den IS. Ein Putin-Sprecher forderte die Türkei jüngst zur Zurückhaltung auf. Der Kreml gab aber de facto grünes Licht für die türkische Operation. Putin verfolgt damit den Plan, in Syrien Assad zu rehabilitieren und das westliche Nato-Bündnis zu schwächen. Die einfache Rechnung: Wenn die Türkei und die USA Stress wegen den Kurden haben, ist Russland lachender Dritter.

Die USA:

Auslöser der aktuellen Spannungen waren die USA. Ein Trump-Sprecher, der sein Vorgehen offenbar nicht mit US-Außenminister Rex Tillerson abgestimmt hatte, kündigte an, eine 30.000 Mann starke Truppe entlang der syrischen Nordgrenze aufstellen zu wollen. Sie sollte insbesondere aus Kämpfern der YPG bestehen. Die Türken waren – gelinde gesagt – natürlich not amused.

Generell gilt: Die USA stufen zwar die türkische PKK als Terrororganisation ein und akzeptieren die türkischen Sicherheitsinteressen. Erdoğans Bedenken ob der Kurden an der türkischen Südgrenze empfindet Washington als legitim. Gleichzeitig kooperieren die USA mit der YPG, die mit der PKK verbündet sind.

Im Kampf gegen den IS waren die kurdischen YPG-Kämpfer Lieblingspartner der IS-Streitkräfte. Jetzt, wo der IS als besiegt gilt, ließ Trump die Kurden fallen. Diese Entscheidung reiht sich ein in die kurdische Geschichte, die geprägt von Verrat zu sein scheint.

Deutschland:

Die Bundesregierung rief die Türkei zwar zur Zurückhaltung auf. Allerdings sucht Berlin in der jüngsten Vergangenheit wieder die Nähe zu Ankara. Das belastete deutsch-türkische Verhältnis schien sich vor der „Operation Olivenzweig“ wieder zu entspannen. Ob das angesichts der Ausweitung der türkischen Invasion so bleiben wird, ist allerdings mehr als fraglich.

Dass die türkische Armee mit deutschen Rüstungsgütern (zum Beispiel Leopard-II-Panzern) in Syrien kämpft, ist zwar nur ein Fußnote. Sie zeigt aber, welche Interessen in Deutschland aktuell priorisiert werden.

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