Connect with us

Politik

„Ende“ der Optionspflicht: Der Teufel steckt im Detail

Spread the love

Allenthalben warnen uns Politiker, wie schlimm „Parallelgesellschaften“ wären. Die geplante Neuregelung des Staatsbürgerschaftsrechts durch die Große Koalition schafft jedoch faktisch alleine schon mal sechs davon per Gesetz. (Foto: screenshot/ZDF)

Published

on

Der deutsche und türkische Pass - screenshot ZDF
Spread the love

GASTBEITRAG Mit der Verlautbarung, dass sich im Koalitionsvertrag der künftigen schwarz-roten Regierung die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts auf die Abschaffung des Optionszwangs beschränken wird, ist in der türkischen Community in Deutschland nicht nur große Wut, sondern auch große Verwirrung aufgetreten. Durch die geplante Neuregelung wird regelrecht eine Spaltung innerhalb der Community der in Deutschland lebenden Türkinnen und Türken eintreten.

Dieser Artikel soll dazu dienen, etwas Licht ins Dunkel zubringen und einen groben Überblick über die Sachlage zu verschaffen. Mir scheint es, als ob man sowohl vor der Wahl als auch jetzt einige Dinge schlichtweg nicht bedacht hat.

Die türkische Community lässt sich demnach nämlich künftig in folgende Gruppen unterteilen:

a) diejenigen, die nicht in Deutschland geboren wurden, aber sich einbürgern ließen;

b) diejenigen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind;

c) diejenigen, die zwischen den Jahren 1990-2000 geboren wurden, den deutschen Pass gem. §40 b StAG nachträglich neben ihrer türkischen Staatsbürgerschaft beantragt haben und beide Pässe noch haben;

d) diejenigen, die Option c) schlichtweg verschlafen haben, aber laut Gesetz damals einen Anspruch darauf gehabt hätten;

e) diejenigen, die Optionskinder waren und sich bereits für einen Pass entschieden haben;

f) diejenigen, die nach dem Jahr 2000 zur Welt gekommen sind und deren Eltern ausländisch sind.

Angesichts der nunmehr sechs Gruppen, die künftig durch so eine lausige „Reform“ entstehen werden, bleibt mir – wie Ihnen sicherlich auch – erst einmal die Spucke weg. Schritt für Schritt werden wir uns nun den Rahmen der Abschaffung der Optionspflicht ansehen und die einzelnen Gruppen abarbeiten.

Bis die Änderung in Kraft tritt, werden weitere Bürger ihren Pass verlieren

Im Koalitionsvertrag heißt es: „Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatigkeit wird akzeptiert. Im Übrigen bleibt es beim geltenden Staatsangehörigkeitsrecht.“

„Für die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kinder“, bedeutet, dass Gruppe a) vollkommen vernachlässigt wird. Diese Gruppe wird regelmäßig auf keinen Fall durch diese Neuregelung die Möglichkeit haben, einen Doppelpass zu erlangen. Sie ist nicht in Deutschland geboren.

„Entfällt der Optionszwang“, bedeutet nichts anderes als dass die Regelung nur für Optionskinder gilt. Somit fallen die Gruppen b) und d) ebenfalls aus dem Raster. Wenn wir uns auf die einfachen Tatbestandmerkmale der Aussagen aus dem noch nicht von den SPD-Mitgliedern abgesegneten Koalitionsvertrag konzentrieren, dann gibt es keinen Doppelpass für diese drei Gruppen.

Zunächst einmal können wir also sagen, dass diejenigen, die aktuell zwei Pässe haben, von der zukünftigen Abschaffung des Optionszwanges profitieren können. Das sind nämlich nur die Optionskinder. Sind Sie kein Optionskind, dann gibt es laut Koalitionsvertrag für Sie keinen Doppelpass. Im Besitz eines Doppelpasses wird sicherlich die Gruppe f) sein.

Die Wortfolge „in Zukunft“ schließt außerdem schon einmal die Gruppe e) aus. Denn die waren zwar Optionskinder, sind aber jetzt keine mehr.

Somit bleibt nur noch die Gruppe c), der ebenfalls ein Verlust des Doppelpasses droht.

Warum? Darum: „Sehr geehrte Frau Gül, wir können nachvollziehen, dass mit der Ankündigung der Abschaffung der Optionsregelung zahlreiche Fragen aufkommen. Bis das Staatsangehörigkeitsgesetz geändert und in Kraft getreten ist, gilt weiterhin die Optionsregelung. Ob der Bund mit der Abschaffung der Optionsregelung Übergangsregelungen treffen wird und wie diese ausgestaltet sein werden, ist uns nicht bekannt. Zurzeit können wir jedem Optionspflichtigen, der das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, dringend raten, einen Antrag auf Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung zu stellen.“

Diese Email, die mir einen Tag nach der Bekanntgabe des Koalitionsvertrages zugegangen ist, stammt vom Integrationsministerium BaWü. Übrigens habe ich auch weitere Emails von anderen Behörden und Parteivorständen erhalten, die 1:1 dasselbe wiedergeben und die von mir oben bereits ausgeschlossenen Gruppen ebenfalls ausschließen.

Hinter der Fassade des Einwanderungslandes wird weiter Assimilationspolitik betrieben

Für diejenigen, die ihr 21. Lebensjahr bereits erreicht haben, bleibt nichts anderes übrig als zu hoffen, dass die Politiker dieses Unding namens Koalitionsvertrag endlich dingfest machen und so schnell wie möglich ein Gesetz verabschieden. Vermutlich wird dieser Prozess – wenn alles gut läuft – zwei Jahre dauern. Das bedeutet unter dem Strich, dass die deutsche Behörde einigen weiteren Optionskindern einen Pass abnehmen wird.

Wir haben zwar nun gemeinsam die wesentlichen Tatbestandsmerkmale abgearbeitet, aber ein Wesentliches übersehen, das mir wirklich sehr große Sorgen bereitet: nämlich die „Kinder ausländischer Eltern“ – und ausländisch ist nach dem Grundgesetz derjenige, der nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Die Regelung, die sie betrifft, bedeutet einen weiteren Ausschluss vieler Kinder, deren Eltern schon Deutsche geworden sind. Status quo ist, dass Deutschland hinten rum lieber weiterhin eine schleichende Assimilierungspolitik betreibt, aber sich von vorne doch schon mal gerne als eine Einwanderungsgesellschaft ausgibt.

Deshalb ist die Abschaffung des Optionszwanges auf keinen Fall als Fortschritt zu sehen. Unter dem Strich bleibt nämlich alles unverändert. Es ist ein riesiger Rückschritt, da vor der Abschaffung der Inlandsklausel kein Deutscher, der seinen Wohnsitz im Inland hatte, seine deutsche Staatsangehörigkeit verlor, wenn er eine andere Staatsangehörigkeit erwarb.

Das ist eigentlich genau die Regelung, die die komplette türkische Community umfasst hätte.

Was bleibt dem Türken in Deutschland bzw. dem Deutschen mit türkischem Migrationshintergrund nun eigentlich noch zu tun?

Jetzt Beibehaltungsantrag unter Berufung auf Koalitionsvertrag stellen!

Allen Optionskindern, die derzeit noch keine 21 Jahre alt sind, wird dringlich geraten, einen Beibehaltungsantrag gem. §25 Abs.2 StAG bei der Staatsangehörigkeitsbehörde zu stellen. Als Begründung empfiehlt es sich, auf den Koalitionsvertrag hinzuweisen. Einem Verlust des Doppelpasses vorbeugen zu wollen, ist ausreichend. Dieses Schreiben bitte unterzeichnen, deutschen Reisepass und Schul- oder Immatrikulationsbescheinigung bzw. einen sonstigen Nachweis über eure Tätigkeit kopieren und an die Staatsangehörigkeitsbehörde schicken.

Dem Rest, der in Deutschland geboren ist und ausländische Eltern hat bzw. hätte, bleibt nichts anderes übrig, als auf die Verabschiedung eines Gesetzes zur Abschaffung der Optionspflicht zu warten. Erst wenn das geschafft ist und wenn uns weitere Detailregelungen keinen Strich durch die Rechnung machen, kann man sich auf den Gleichheitsgrundsatz gemäß Artikel 3 GG berufen und notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht gehen, um sein Recht durchzusetzen.