Connect with us

Geschichte

99 Jahre angeblicher Genozid: Armenier gedenken

Spread the love

Im April 1915 ordnete der osmanische Innenminister Talât Bey erste Verhaftungen in Konstantinopel an. Bis heute wird über die Bewertung der anschließenden Deportationen der Armenier mit hunderttausenden Opfern gestritten.

Published

on

Armenier gedenken im Jahr in Jerewan dem angeblichen Genozid von 1915.
Spread the love

Mit den Verhaftungen von zunächst 235 Personen, die der armenischen Elite in Istanbul zugeordnet werden, setzten am 24. und 25. April 1915 jene Ereignisse ein, die in weiterer Folge zur blutigen Vertreibung der armenischen Bevölkerung aus dem Osmanischen Reich führte – jenem Ereignis, das von armenischer Seite und von einigen westlichen Staaten heute als so genannter „armenischer Genozid“ gewertet wird.

Der politische Niedergang des Osmanischen Reiches, das nicht uneigennützig vonstatten gehende Drängen europäischer Mächte gegenüber der Hohen Pforte zur Übernahme europäischer politischer Rezepte, das Liebeswerben des Russischen Zarenreiches gegenüber den christlichen Armeniern, gewalttätig ausartende Konflikte zwischen Armeniern und Kurden (die unter anderem in mehreren Massakern zwischen 1894 und 1896 kulminierten) und mehrere versuchte oder vollendete Anschläge armenisch-nationalistischer Kräfte gegen Vertreter des Osmanischen Reiches hatten auch im osmanischen Vielvölkerreich die Saat für Nationalitätenkonflikte aufgehen lassen.

Anfangs gab es innerhalb der armenischen Volksgruppe Sympathien für die Jungtürken, die sich gegen die auch von den Armeniern als unterdrückerisch wahrgenommene Politik Sultan Abdulhamids II. wendeten und diesen zu politischen Reformen drängen wollten. Allerdings verstärkten sich innerhalb der Komitees für Einheit und Fortschritt (İttihad ve Terakki Cemiyeti) nach der Wiederinkraftsetzung der liberalen Verfassung 1908 die nationalistischen Tendenzen.

Die militärischen Niederlagen des Osmanischen Reiches im Tripoliskrieg und im Ersten Balkankrieg 1912 und 1913 sowie die Unterstützung Russlands im Ersten Weltkrieg, durch die sich die Armenier ein Mehr an Autonomierechten versprochen hatten, verschärften die zunehmend negative Einstellung innerhalb der türkischen Eliten, aber auch innerhalb der Bevölkerung gegen die nationalen Minderheiten und damit auch gegen die Armenier.

Eskalierende Nationalitätenkonflikte

Bereits vor dem am 27. Mai 1915 in Kraft gesetzten Deportationsgesetz hatte es Massenhinrichtungen entwaffneter Armenier durch die unter anderem von Kurden und entlassenen Strafgefangenen dominierte Spezialeinheit Teşkilat-ı Mahsusa sowie erste Deportationen aus Adana, Zeytun und Dörtyol gegeben. Gleichzeitig kam es zu Übergriffen und Terroranschlägen sowohl gegen dem Osmanischen Reich gegenüber loyale Armenier als auch gegen türkische Zivilisten im Zusammenhang mit dem Armenieraufstand in Van im April 1915 und durch Anhänger der armenisch-sozialistischen Huntschak-Partei, die durch Unruhen und die Provokation blutiger Racheaktionen Russland zum Eingreifen ermutigen wollten.

Innenminister Talât Bey ordnete daraufhin erst die Verhaftung namhafter Angehöriger der armenischen Elite in Konstantinopel an, diese wurden in weiterer Folge ausgeweitet und mit dem Deportationsgesetz vom Mai 1915 wurde die Grundlage für die Massenvertreibungen geschaffen, deren Hauptphase bis 1917 andauern sollte und die zum Tod von mehreren hunderttausend Menschen geführt haben soll.

Die armenische Regierung, Angehörige armenischer Lobbyverbände im Ausland und zahlreiche Regierungen westlicher Staaten werten das damalige Geschehen als geplanten Genozid. Dabei beruft man sich auf angebliche Aussagen Talât Beys und anderer politischer Führungskräfte des Osmanischen Reiches, die das Ziel einer gänzlichen Ausrottung der armenischen Bevölkerung auf türkischem Boden angestrebt haben sollen.

Ankara bestreitet geplante Vernichtung der Armenier  

Die türkischen Regierungen bestreiten diese Darstellung bis heute. Man bestreitet in Ankara nicht, dass es – so die offiziellen, von der Türkei anerkannten Zahlen – ca. 300 000 Tote gegeben hatte. Eine Absicht auf vorsätzliche oder geplante Vernichtung der Armenier sei jedoch nicht nachweisbar und es seien eher Überfälle, Hunger und Seuchen gewesen, sie zu der hohen Opferzahl beigetragen hätten.

Die Deportation sei eine aus Sicht des Osmanischen Reiches erforderliche Notmaßnahme gewesen, die auf die mangelnde Loyalität der armenischen Bevölkerung gegenüber dem Staat zurückzuführen wäre, die sich auch in Übergriffen armenischer Extremisten gezeigt habe, denen 570 000 Türken zum Opfer gefallen sein sollen. Es habe auch eine Reihe jungtürkischer Erlasse gegeben, die Deportierten gut zu behandeln.

In der Türkei wurden bis in die 2000er-Jahre zahlreiche Personen, welche in ihren Publikationen und Texten die These eines „Genozids“ bejahten, auf der Basis des § 301 des türkischen StGB („Beleidigung des Türkentums“) zu Freiheits- oder Geldstrafen verurteilt. Seit einigen Jahren kann über die Thematik weitgehend offen diskutiert werden. Die türkische Regierung hatte die Bildung einer türkisch-armenischen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Ereignisse angeregt. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch an der Verweigerungshaltung der armenischen Regierung.