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Politik

„Oy hakkını kullan!“: Wahlkampf auf Türkisch

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Deutschtürken sind im Wahlkampf in Baden-Württemberg eine wichtige Zielgruppe. Parteien und Politiker werben bei ihnen um Stimmen. Und auch die Gemeinde selbst will mit einer groß angelegten Kampagne mobilisieren – vor allem aus Angst vor der AfD.

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Drei Worte begegnen den türkischstämmigen Einwohnern Baden-Württembergs seit Wochen immer wieder: „Oy hakkını kullan“. Der Slogan heißt übersetzt „Nutze dein Wahlrecht“ und steht für eine groß angelegte Kampagne. Deren Ziel ist es, Bürger mit türkischem Migrationshintergrund dazu zu bewegen, sich an der Landtagswahl am 13. März zu beteiligen.

Auf Festen, Konzerten, Hochzeiten oder beim Freitagsgebet in Moscheen schauen Aktivisten der Kampagne vorbei, verteilen Broschüren und informieren über den Wahlvorgang. „Wir haben die Kampagne gestartet, damit sich Bürger mit türkischem Migrationshintergrund ihrer Rolle als Entscheidungsträger bewusst werden“, sagt Gökay Sofuoğlu. Er ist Vorsitzender des Vereins Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg und organisiert die Aktion gemeinsam mit anderen Verbänden.

Die Kampagne zielt Sofuoğlu zufolge vor allem gegen den wachsenden Erfolg der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD). „Wenn türkischstämmige Wähler der Urne fernbleiben, können die AfD und andere rechte Bewegungen noch größer werden. Deshalb muss unsere Wahlbeteiligung dringend wachsen“, mahnt Sofuoğlu.

Auf dem Facebook-Auftritt der Aktion schreibt eine Nutzerin: „Lasst uns verhindern, dass in unseren Städten rechte Parteien wie die AfD stärker werden!“ Für Kerim Arpad, Geschäftsführer des Deutsch-Türkischen Forums Stuttgart (DTF), ist der neue „offene Rassismus“, der jetzt „auch ein politisches Sprachrohr gefunden“ habe, Initialzündung für die Kampagne. Das zeige, dass es inzwischen eine höhere Sensibilität in der türkischen Gemeinde für die Wichtigkeit von Wahlen gebe. „So etwas hatten wir bisher nicht in dieser Form“, meint Arpad.

Gezielter Wahlkampf bei Deutschtürken

Auch die Parteien suchen den direkten Kontakt zur türkischstämmigen Zielgruppe. Als das DTF Ende Februar eine Podiumsdiskussion veranstaltete, kamen Kandidaten von CDU, SPD, Grünen und FDP. Unter dem türkischen Motto „SPD ve biz“ („SPD und wir“) luden Spitzenkandidat Nils Schmid und seine türkischstämmige Ehefrau Tülay am vergangenen Mittwoch nach Stuttgart ein. Rund 800 Besucher kamen.

Auch die Grünen „kämpfen um jede Stimme“, erzählt die türkischstämmige Kandidatin Muhterem Aras. Sie wurde 2011 in ihrem Wahlkreis Stuttgart 1 nicht nur „Stimmenkönigin“ der Grünen. Sie wurde zur ersten deutschen Abgeordneten mit Migrationshintergrund überhaupt, die direkt in einen Landtag gewählt wurde. Die Türkischstämmigen seien bei klassischen Wahlveranstaltungen „oft unterrepräsentiert“, meint Aras. Deshalb gebe es oft andere Wege.

„Wir schalten Anzeigen in türkischsprachigen Zeitungen, geben Interviews im türkischen Radio, besuchen türkische Verbände und Vereine, gehen in die Moscheen“, sagt sie. Auch im „Haustürwahlkampf“ seien die Grünen seit diesem Jahr unterwegs. Die Themen und Wünsche, die türkischstämmigen Bürgern besonders am Herzen liegen, seien kaum andere als sonst in der Bevölkerung. An erster Stelle stehen demnach „Bildungsfragen und Wohnraum“.

Türkische Innenpolitik immer noch präsent

Manche interessieren sich aber eher für die Politik in der Türkei. Gerade der Konflikt zwischen dem türkischen Militär und der PKK beschäftigt viele Menschen im Südwesten. Der 23-jährige Seymen Açiner aus der Nähe von Heilbronn verfolgt die Entwicklungen täglich in Zeitungen und im Internet. Wählen will er nicht, er spricht von einem generellen Misstrauen gegenüber Politikern. „Kurz vor den Wahlen wollen sie immer unsere Stimmen, aber insgeheim werden sie doch von anderen Interessen geleitet“, sagt er.

Der Heidelberger Anwalt Memet Kılıç, der vier Jahre für die Grünen im Bundestag saß, sieht als Grund für fehlendes Interesse einen Mangel an Identifikationsfiguren. „Die Parteien brauchen mehr Kandidatinnen und Kandidaten mit Migrationshintergrund in ihren Reihen“, meint er. Dann sieht er Chancen für eine höhere Wahlbeteiligung. (dpa/dtj)