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Politik

Özdemir stellt gesunden Menschenverstand des Gerichts in Frage

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Die Kritik an der Vergabe der Presseplätze beim NSU-Prozess reißt nicht ab. Grünen-Chef Özdemir hofft auf ein Einlenken. Die rigide Haltung des OLG München findet aber auch Fürsprecher. (Foto: epa)

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Özdemir stellt gesunden Menschenverstand des Gerichts in Frage
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Der Druck auf das Oberlandesgericht (OLG) München, zum NSU-Mordprozess auch türkischen Medien eine Berichterstattung zu ermöglichen, hält an. „Formal hat man sicherlich alles richtig gemacht“, bescheinigte der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir am Donnerstag im „ZDF-Morgenmagazin“ dem OLG. „Ob man den gesunden Menschenverstand eingeschaltet hat, da mache ich doch ein sehr großes Fragezeichen dahinter.“

Özdemir forderte das Gericht zum Einlenken auf. So spreche zum Beispiel „nichts, gar nichts, außer Sturheit“ dagegen, das Verfahren für Journalisten in einen anderen Raum zu übertragen. Das gebe es selbst beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Er könne sich nicht vorstellen, dass es das Gericht bei der gewählten Regelung belasse. „Das würde einen schon erschaudern lassen, wenn es wirklich dabei bleibt.“

Der Grünen-Bundesvorsitzende wies auf den drohenden Ansehensverlust Deutschlands in der Welt hin. „Es ist einer der wichtigsten Prozesse im Nachkriegs-Deutschland“, sagte er. „Das ist ein Prozess, der nicht nur national, sondern auch international viel Aufmerksamkeit erregt. Man schaut auf unser Land, will wissen, wie wir umgehen mit all den ganzen Pannen und Versäumnissen, die es gab während der NSU-Mordserie.“

Deutschland müsse alles dafür tun, um deutlich zu machen, dass man nichts zu verbergen habe, sagte Özdemir. „Dieser Prozess ist einer, der zeigt, wo Deutschland steht: Wir sind ein Rechtsstaat.“

Zusage vom OLG, dass türkische Medien eingebunden werden?

Auch die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer der NSU-Morde, Barbara John, hofft auf eine Lösung im Streit um die Presseplätze für türkische Medien beim Münchner NSU-Prozess. Sie habe noch einmal mit dem Oberlandesgericht in München gesprochen, sagte John der „Passauer Neuen Presse“ (Donnerstag). „Das Oberlandesgericht hat mir zugesagt, die türkischen Medien einzubinden – was auch immer das heißt. Ich hoffe, dass das Problem gelöst werden kann.“

Für das Verfahren, das am 17. April beginnt, soll kein türkisches Medium einen der 50 reservierten Plätze für Journalisten im Gerichtssaal bekommen, obwohl acht der zehn Mordopfer der rechtsextremen Terrorzelle NSUtürkischer Abstammung waren. „Es wäre besser gewesen, den Prozess in einen größeren Saal zu verlegen“, meinte John.

Der Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Siegfried Kauder (CDU), verteidigte das Gericht gegen die wachsende Kritik. „Eine Videoübertragung in einen anderen Saal hätte ein bisschen was von Schauprozess und Public Viewing und wäre ein Verstoß gegen die Menschenwürde der Angeklagten“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Donnerstag).

Kauder: Prozess ist kein Public Viewing

Mit Blick auf den Ausschluss türkischer Medien von garantierten Sitzplätzen fügte Kauder hinzu: „Ob türkisch oder nicht türkisch, danach unterscheidet die Justiz nicht. Im Übrigen wird immerhin die Hälfte der Sitzplätze für Journalisten freigehalten. Die Entscheidungen des Gerichts bewegen sich im Rahmen des rechtlich Zulässigen und Möglichen.“

Dagegen plädierte der Verfassungsrechtler Wolfgang Hoffmann-Riem für eine nachträgliche Zulassung türkischer Medien. Diese hätten angesichts von acht türkischen Opfern ein spezifisches Interesse an dem Verfahren. „Ich würde dem Gerichtspräsidenten raten, dass er in sich geht und sich einen Ruck gibt. Und dabei feststellt, ich habe eine Regel erlassen, die war zu rigide, ich habe nicht alles bedacht. Und deswegen versuche ich jetzt einen Ausweg mit Flexibilität“, sagte der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht am Mittwoch in den „ARD-Tagesthemen“.

„Das wäre kein Gesichtsverlust, ich glaube, die Hochachtung aller wäre ihm gewiss“, meinte Hoffman-Riem. Möglichkeiten seien etwa die Videoübertragung in einen anderen Gerichtssaal oder der von verschiedenen deutschen Medien angebotene Tausch der Plätze mit türkischen Kollegen.

Auch die Bundesregierung hatte am Mittwoch Verständnis dafür gezeigt, dass das Interesse der türkischen Medien an dem Verfahren groß sei. „Die Hoffnung muss sein, dass mit diesem Medieninteresse auch sensibel umgegangen wird“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Das OLG hatte die Akkreditierungen nach eigener Darstellung nach Eingang der Anträge vergeben – demnach waren andere Medien schneller als die türkischen.