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Gesellschaft

Özils und Gündoğans werden auch in den Unternehmen gebraucht

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Als hätte man aus Solingen und dem NSU-Terror nichts gelernt, finden hetzerische Pamphlete in Deutschland immer noch Anklang. Trotzdem wiegen die erreichten Fortschritte im Zusammenleben zwischen Autochthonen und Einwanderern schwerer. (Foto: ap)

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Özils und Gündoğans werden auch in den Unternehmen gebraucht
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KOMMENTAR Statt Hass verströmt sie Liebe, statt nach Vergeltung zu rufen, wirbt sie um Vergebung. Mevlüde Genç hat vor 20 Jahren bei einem fremdenfeindlichen Brandanschlag auf ihr Solinger Haus zwei Kinder, zwei Enkel und eine Nichte in den Flammen verloren. Trotz ihres unermesslichen Schmerzes überkamen die gläubige Muslima niemals Rachegedanken. Statt verbittert in ihre türkische Heimat zurückzukehren, hat die 70-Jährige zwischenzeitlich demonstrativ die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Wie selbstverständlich hat sie zuletzt als CDU-Wahlfrau den Bundespräsidenten Joachim Gauck mitgewählt. Mehr an Integration geht nicht.

Dennoch herrscht in Deutschland am 20. Jahrestag des abscheulichen Solinger Attentats keine heile Multi-Kulti-Welt. Rechtsausleger wie Thilo Sarrazin schüren mit pseudowissenschaftlichen Pamphleten die Überfremdungsangst der Deutschen. Schwelbrände eines latenten Rassismus werden hier mit Benzin gelöscht. Zugleich haben sich die deutschen Sicherheitsbehörden bis auf die Knochen blamiert, weil sie auf dem rechten Auge blind waren und die ungeheuerliche Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrundes an ausländischen Geschäftsleuten jahrelang einem angeblich kriminellen Migrantenmilieu zuschrieben. Die Verfassungsschützer hatten den Rechtsterrorismus in Deutschland überhaupt nicht auf ihrem Schirm. Aber der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem die braune Brut kriecht.

„Wo aber Gefahr ist, da wächst das Rettende auch“, schreibt der deutsche Philosoph Friedrich Hölderlin. Längst haben die Politiker parteiübergreifend begriffen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Die Özils und Gündoğans werden nicht nur in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gebraucht, sondern auch in den Unternehmen und an den Universitäten. Nur mithilfe der Migranten lässt sich unser wirtschaftlicher Wohlstand sichern – und unser Rentensystem. In der dritten Generation der Zuwandererkinder machen fast die Hälfte Abitur. Die Integrationsfortschritte in den Schulen sind fast so groß wie auf den Fußballplätzen.

Ausbaufähige Willkommenskultur

Trotz dieser positiven Entwicklung lässt unsere Willkommenskultur zu wünschen übrig. Viele Migranten haben immer noch das Gefühl, abschätzig behandelt zu werden. Sie vermissen die Augenhöhe in den alltäglichen Begegnungen, die sie häufig als Diskriminierung erleben. Insofern haben viele Deutsche ihre Lektion aus dem Solinger Brandanschlag nicht wirklich gelernt. Die vier jugendlichen Mörder, die das Haus der Gençs aus „Hass auf die Kanaken“ heraus feige abfackelten, haben ihre langjährigen Strafen inzwischen verbüßt. Neben der strafrechtlichen Bewältigung der Tat fehlt es jedoch an einer konsequenten politischen Aufarbeitung. Die Rechtsstellung der Ausländer hat sich seit Solingen kaum verbessert. Das Wahlrecht wird ihnen bis heute ebenso vorenthalten wie die doppelte Staatsbürgerschaft.

Zur Integration gehört aber auch die Bereitschaft, sich integrieren zu lassen – mit allen Rechten, aber auch sämtlichen Pflichten. Auch die Einwanderer sind in der Pflicht, in ihrer Community für die Werte des Grundgesetzes zu werben und fundamentalistischen Tendenzen entgegenzuwirken. Ein gemeinsamer Sportunterricht für Jungen und Mädchen stellt keinen feindseligen Akt gegenüber religiösen Überzeugungen dar. Die mancherorts beobachtbare Gefahr paralleler Rechtsordnungen darf nicht aus den Augen verloren werden. Falsch verstandene Toleranz ist hier völlig verfehlt.

Die leidgeprüfte Mevlüde Genç hat auch nach dem Brandschlag ihr Vertrauen in diesen Rechtsstaat nicht verloren. Unverdrossen wirbt die deutsch-türkische Mutter Courage für die strikte Einhaltung von Recht und Gesetz bei gleichzeitiger Anerkennung unterschiedlichster Kulturen und Religionen. Die einfache, aber radikale Botschaft dieser frommen Frau richtet sich an Gläubige wie Atheisten: Mensch bleiben!