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Politik

Palastrevolten setzen Paläste voraus

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Die Erfolge von Verschwörungstheorien beruhen auf der Kraft ihrer Einfachheit und Verständlichkeit. Die komplexe Welt reduziert sich zunächst einmal auf einige wenige Akteure. Deren Handeln soll wiederum die komplexe Welt erklären. (Foto: cihan)

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Palastrevolten setzen Paläste voraus
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Der Blick auf den Tisch dieser Akteure soll sodann alles erklären, was vor sich geht. Über Abkürzungen retten Verschwörungstheorien ihre Anhänger vor einer langen und beschwerlichen Reise in das Meer von Informationen. Aus diesem Grund erklärt das ungeschriebene Gesetz jedwedes Verschwörungsdenkens – „Je weniger Information, desto mehr Verschwörung“ – die Kühnheit der Ignoranz. Verschwörungstheorien sind anspruchsvoll, da das Merkmal eines Ignoranten sein vermeintlicher Mut ist.

Der Arabische Frühling war demnach eine Verschwörung der Vereinigten Staaten. Der Militärputsch gegen den Arabischen Frühling war aber auch eine Verschwörung der USA. Der Parteichef der AKP war der kooperierende Leiter des „Großen Nahost-Projekts“ der USA. Das Anwachsen der Proteste im Gezi Park waren aber – ähnlich wie die Soros-Revolutionen – wieder seitens der USA, diesmal gegen die AKP-Regierung, geplant. Alles war demnach eine Verschwörung der US-Regierung. Als ob Washington genau wie Zeus – ein andauernd seine Ideen wechselnder und dadurch den bemitleidenswerten Menschen das Leben schwermachender Gott der Antike – vorgehen würde.

Beziehungsweise wird jede Verschwörungstheorie mit der gleichen Logik und Argumentation durch eine andere Verschwörungstheorie widerlegt. Wo aber eine Theorie gleichzeitig auch ihr eigenes Gegenteil erklärt, wird eigentlich überhaupt nichts erklärt – die Suche beginnt von Neuem.

Verschwörungen sind eher Maßnahmen der Eliten gegen die Massen

Gesellschaften sind komplizierte und komplexe Strukturen, welche durch keine Macht so leicht von der Stelle bewegt werden können. Gesellschaften ändern sich nur – diejenigen, die die Richtung und die Dynamik dieser Änderung erkennen können, füllen ihre Segel mit diesem Wind und schreiten voran. Diejenigen, welche versuchen, diese Änderung zu verhindern, erreichen mit dem Versuch der Unterdrückung oder mit Gewalt nur eine Verzögerung der Ereignisse und bezahlen dafür einen hohen Preis.

Man blicke bloß in die Staaten, in denen Blut fließt: Man findet Tyrannen, die um der Verwirklichung ihres eigenen Potenzials und den Schutz der Interessen einer kleinen Minderheit Willen versuchen, Veränderungen aufzuhalten und treten auf diese Weise Gesellschaften, welche auf der Suche nach Freiheit sind, gegenüber. Die Verschwörung ist dabei nicht die Forderung der Massen, welche Änderungen wollen, sondern das einzige Werkzeug der Tyrannen, welche diese aufhalten wollen.

Aber auch die ägyptische Armee zeigt ihre Lösung, indem sie mithilfe ihrer Scharfschützen gezielt Menschen innerhalb der Massen jagt, um sie zu eliminieren. Die Massen jedoch stellen ihre äußerst eindeutigen Ziele – wie ein anständiges Leben führen zu können sowie Freiheit und Schutz der Menschenwürde – auf die richtige Weise als Nachfrager innerhalb einer Demokratie dar.

Die Putschisten wiederum versuchen diese Änderung mithilfe von Verschwörungen zu verhindern. Die Ennahda-Regierung in Tunesien ist die Antwort auf die Nachfrage der Gesellschaft nach Veränderung. Die Ermordung der Oppositionsführer jedoch lässt Verschwörungstheorien mit Blick auf die Protagonisten der alten tyrannischen Ordnung entstehen, welche die Änderungen aufhalten wollen.

Wurden aber nicht auch in der Türkei säkular-kemalistische Intellektuelle jahrelang durch säkular-kemalistische Putschisten ermordet, um eine Atmosphäre des Chaos entstehen zu lassen? Diese Erkenntnis legt jedoch nahe, dass man die Verschwörungen nicht in der Dynamik der Gesellschaft, sondern eher in den Techniken derjenigen suchen sollte, welche durch das Chaos an die Macht gelangen wollen.

Konsequenter Pluralismus statt Verschwörern und Verschwörungsideologen

Gesellschaftliche Dynamiken können jedoch nicht mit Verschwörungstheorien erklärt werden. Die Demokratie erhält ihre eigentliche Macht ja gerade daraus, dass sie die politische Konkurrenz aus dem Bereich der einfachen Verschwörungstheorien entfernt und stattdessen an die reiche Dynamik der Gesellschaft übergibt. Je weniger Akteure im politischen Wettbewerb stehen, desto mehr erweitert sich der Raum der Verschwörungen. Wenn die Demokratie funktioniert und auf pluralistische Weise einen Gleichgewicht erstellt, kann überhaupt keine Verschwörung ihr Ziel erreichen. Weil sie ihr Ziel nicht erreichen kann, kommt auch niemand auf die Idee, eine Verschwörung vorzubereiten. Um eine Palastrevolte ausführen zu können, muss man zunächst einmal einen Palast bauen und dann die Macht mit der dunklen Welt dieses Palastes begrenzen.

Deshalb sind auch die sozialen Proteste gegen die AKP-Regierung in der Türkei nicht das Ergebnis einer Verschwörung. Doch nachdem diese Proteste begonnen hatten, wurde die Zahl der Verschwörer, die darauf ihr Süppchen kochen wollten, unüberschaubar. Es gibt einen klaren Zusammenhang: Setzt man die Dynamik dieser Proteste mit einer Verschwörung in Verbindung, dann bringt man das Land in eine dankbare Situation für die Operationen der Verschwörer. Denn man kann das Problem nicht verstehen und nicht lösen – und genau dies ist das Ziel der Verschwörer.

Die Elite in der Türkei hat sich verändert. Die neue Elite hat ihre eigene Kultur noch nicht schaffen können. Die alte Kultur zeigt sowohl einen Widerstand, als auch eine Änderung. Wir erleben einen Kulturschock. Es wird ein politisches Verständnis benötigt, das sich an kulturellen Pluralismus – in dem jeder seinen Platz finden wird – anpasst und uns dadurch vor Verschwörungen schützt.

Autoreninfo: Mümtaz’er Türköne, geb. 1956 in Istanbul, vollendete 1990 sein Doktoratsstudium an der Politikwissenschaftlichen Fakultät der Universität Ankara und arbeitet jetzt als Autor und Journalist. Er ist Kolumnist der „Zaman“.