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Gesellschaft

Parallelgesellschaften sind okay!

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„Parallelgesellschaften“ haben einen schlechten Ruf. Doch auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen, sind sie Realität, nicht (nur) in Bezug auf Migranten – und sie sind nicht verwerflich. Denn entscheidend ist, was man aus ihnen macht. (Foto: cihan)

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Parallelgesellschaften sind okay!
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GASTBEITRAG Theoretisch ist doch unsere Gesamtgesellschaft in Subgesellschaften eingeteilt. Da gibt es die Wohlhabenden und die Ärmeren, die Rocker und die Hip-Hopper, die Schüler und die Rentner, die Juden und die Christen, die Türken und die Polen, die Unternehmer und die Angestellten, und so weiter, und so fort. Die Auflistung könnte man noch endlos weiterführen und würde immer zwei Cluster unserer Gesellschaft gegenüberstellen, die sich auf den ersten Blick zwar unterscheiden, aber mit Sicherheit auch ihre Schnittmengen haben. Schon sind die Subgesellschaften gar nicht mehr so theoretisch, sondern ziemlich praktisch vorhanden. Naturgemäß haben diese Gruppen ihre Sphären, in denen sie verkehren und zu den anderen Gruppen keinerlei Verbindungen haben. Das nennt man dann gemeinhin Parallelgesellschaft.

Der Türke in Deutschland hat den Anspruch, maximal türkisch zu sein. Minimal kompromissbereit sieht er sich aber auch als einen Teil der deutschen Gesellschaft. Während er zu türkischen Feiertagen in Deutschland sich an seine türkische Herkunft erinnert, ist er unweigerlich auch Bestandteil beispielweise eines Tags der Deutschen Einheit. Je tiefer sich die türkische Community in die unterschiedlichen Gruppen und ihre Sphären einarbeitet, desto größer sind die Schnittmengen mit den weiteren Parallelgesellschaften. Während manch einer mit dem Fundament des Türkisch-Seins in sein Leben steigt und sich dann wandelt, mehr Unternehmer als Türke wird, mehr Rocker als Türke, mehr Deutscher als Türke, bleiben andere bei ihrem Fundament und eignen sich die restlichen Eigenschaften der Gruppen als Add-on an. Maximal ambivalent kann und sollte jeder seinen eigenen Drive im Leben für sich finden können. Das gleiche Kopplungsverhältnis gilt für alle anderen Gruppen unserer Gesellschaft, jeder ist frei in seiner persönlichen Entwicklung.

Ein wichtiger gemeinsamer Nenner in dieser Divergenz sollte minimale Teilnahmslosigkeit sein. Damit werden tragfähige Akteure der Gesellschaft hervorgebracht, die sich fernab des Lobbyismus für die Belange aller interessieren und bei Bedarf einmischen, Stellung beziehen, empören und präsent sind. Der Äther unserer Gesellschaft ist zugänglich für uns alle, die in der Bundesrepublik Deutschland leben.

Wie Zahnräder ineinander greifen

Wenn wir soweit sind, dass sich vermeintlich nicht kreuzende Gruppen so starke Schnittmengen haben, dass sie füreinander Stellung beziehen, empören und präsent sind, haben wir Großes geschaffen. Wenn Türken bei den Flutkatastrophen in Ostdeutschland mit anpacken, Deutsche sich von den NSU-Morden betroffen zeigen, Unternehmer sich über Studiengebühren echauffieren, Studierende bei Rentenkonzepten mitdenken, haben wir emphatische Kräfte in der Gesellschaft, die mit einem gemeinsamen Mindset wie Zahnräder ineinander greifen.

Das bedeutet, dass Parallelgesellschaften okay sind, sie sind nicht verwerflich. Sie sind keine Theorie, sie sind Realität und das ist Status quo. Die Konvention ist an der Stelle zu brechen und mit neuartigen Denkmustern zu versehen, an der jede Parallelgesellschaft mit ihren Zahnrädern floriert, maximal sie selbst wird und durch ihre Schnittmengen und Verflechtungen zu anderen Parallelgesellschaften und ihren Zahnrädern Verknüpfungen schafft und mit systematischer Intelligenz für aller Wohl mitarbeitet, minimal teilnahmslos.

Wenn wir diese Idee wegweisend mitnehmen und richtig angehen, führt das zu einer Diversitätskompetenz in unserer Gesellschaft. Was die allgemeine Betriebswirtschaft schon lange erkannt hat, sollte der Zivilgesellschaft nicht vorenthalten werden: Es ist okay, wenn wir alle anders sind, es ist gut, wenn wir alle anders sind, es ist förderlich, wenn wir alle anders sind; solange alle Mitarbeiter im Unternehmen für die selben Ziele wirken, ist Diversitätskompetenz ein gutes Tool.

Will heißen: Solange alle Parallelgesellschaften in Deutschland für Deutschland arbeiten, sind sie förderlich für unsere Bundesrepublik Deutschland. Tamam?

Cihan Sügür ist 1990 in Castrop-Rauxel geboren und in Dortmund aufgewachsen. In Stuttgart, Düsseldorf, München, Istanbul und Santa Barbara hat er sein Duales Studium absolviert und ist derzeit für die Deutsche Bahn europaweit aktiv. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit der digitalen Welt (www.digitalnativeblog.de), ist Vorstandsmitglied der größten Vereinigung türkischer Studierender und Akademiker (TD-Plattform), Mitglied im Think Tank des Zahnräder Netzwerks, Stipendiat der Deutschlandstiftung Integration, Ambassador für den 16th World Business Dialogue, Distinguished Delegate im Harvard PAIR, Preisträger der Deutschen Islam Konferenz und Teilnehmer der Live-Sendung „log in“ auf ZDFinfo.